Arbeitersiedlungen

Anwerbeplakat

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden im Ruhrgebiet viele neue Schachtanlagen und die Zechenbetreiber brauchen Arbeitskräfte. Mit Plakaten sollten sie angeworben werden.

Von Christoph Teves (Aufzeichnung)

Damals war das Ruhrgebiet nur dünn besiedelt. Deshalb kamen zunächst Arbeiter aus dem nahen Münsterland und dem Rheinland. Doch der Bedarf an Bergleuten wuchs und wuchs. Schon bald schickten die Zechen ihre Anwerber in weiter entfernte Gebieten auf die Suche nach Arbeitskräften – vor allem nach Polen und in die preußischen Ostprovinzen.

Wie auf diesem Anwerbeplakat, das ab 1887 in ostpreußischen Gaststätten aushing, warben die Zechenbetreiber mit sicheren Jobs, hohen Löhnen und guten Wohnungen.

"Masuren!

In rein ländlicher Gegend, umgeben von Feldern, Wiesen und Wäldern, den Vorbedingungen guter Luft, liegt, ganz wie ein masurisches Dorf, abseits vom großen Getriebe des westfälischen Industriegebietes, eine reizende, ganz neu erbaute Kolonie der Zeche Victor bei Rauxel.

Diese Kolonie besteht vorläufig aus über 40 Häusern und soll später auf etwa 65 Häuser erweitert werden. In jedem Hause sind nur 4 Wohnungen, zwei oben, zwei unten. Zu jeder Wohnung gehören etwa 3 oder 4 Zimmer. Die Decken sind 3 Meter hoch, die Länge bzw. Breite des Fußbodens beträgt über 3 Meter. Jedes Zimmer, sowohl oben, als auch unten, ist also schön groß, hoch und luftig, wie man sie in Städten des Industriegebiets kaum findet.

Zu jeder Wohnung gehört ein guter, hoher und trockener Keller, sodass sich die eingelagerten Früchte, Kartoffeln etc. dort sehr gut erhalten werden. Ferner gehört ein geräumiger Stall, wo sich jeder sein Schwein, seine Ziege oder seine Hühner halten kann. So braucht der Arbeiter nicht jedes Pfund Fleisch oder seinen Liter Milch zu kaufen.

Je zwei Wohnungen im Erdgeschoss und im ersten Stock | Bildquelle: Bauaufsichtsamt Stadt Bottrop

Endlich gehört zu jeder Wohnung auch ein Garten von etwa 23 bis 24 Quadratruten. So kann sich jeder sein Gemüse, sein Kumpst und seine Kartoffeln, die er für den Sommer braucht, selbst ziehen. Wer noch mehr Land braucht, kann es in der Nähe von Bauern billig pachten. Außerdem liefert die Zeche für den Winter Kartoffeln zu billigen Preisen. Dabei beträgt die Miete für ein Zimmer (mit Stall und Garten) nur 4 Mark monatlich, für die westfälischen Verhältnisse jedenfalls ein sehr niedriger Preis. Außerdem vergütet die Zeche für jeden Kostgänger monatlich 1 Mark. (...)

Die ganze Kolonie ist von schönen breiten Straßen durchzogen, Wasserleitung und Kanalisation sind vorhanden. Abends werden die Straßen elektrisch erleuchtet. Vor jedem zweiten Hause liegt noch ein Vorgärtchen, in dem man Blumen oder noch Gemüse ziehen kann. Wer es am schönsten hält, bekommt eine Prämie.

In der Kolonie wird sich in nächster Zeit auch ein Konsum befinden, wo allerlei Kaufmannswaren, wie Salz, Kaffee, Häringe usw. zu einem sehr billigen Preise von der Zeche geliefert werden, auch wird dort ein Fleischkonsum eingerichtet werden. (...) Für die Kinder sind dort 2 Schulen erbaut worden, sodass sie nicht zu weit zu laufen brauchen, auch die Arbeiter haben bis zur Arbeitsstelle höchstens 10 Minuten zu gehen. Bis zur nächsten Bahnstation braucht man etwa eine Stunde. (...)

Wer sparsam ist, kann noch Geld auf die Sparkasse bringen. Es haben sich in Westfalen viele Ostpreußen mehrere Tausend Mark gespart. Das Geld ist dann wieder in die Heimat gekommen, und so hat die Heimat auch etwas davon gehabt. Überhaupt zahlt diese Zeche wohl die höchsten Löhne. Feierschichten kommen dort nicht vor, vielmehr Überschichten, sodass Arbeiter immer Verdienst haben werden. Entlassungen masurischer Arbeiter werden, außer dem Falle grober Selbstverschuldung nicht vorkommen.

Masuren! Es kommt der Zeche hauptsächlich darauf an, brave, ordentliche Familien in diese ganz neue Kolonie hineinzubekommen. Ja, wenn es möglich ist, soll diese Kolonie nur mit masurischen Familien besetzt werden. So bleiben die Masuren ganz unter sich und haben mit Polen, Ostpreußen usw. nichts zu tun. Jeder kann denken, dass er in seiner masurischen Heimat wäre."

Quelle: Franz-Josef Brüggemeier: Leben vor Ort. Ruhrbergleute und Ruhrbergbau, 1889-1919, München 1984, S. 25-27