Schafe auf dem Deich am Ijsselmeer

Niederlande

Deichbau in den Niederlanden

"Deichen oder weichen" wurde schon früh zum Überlebensprinzip der Niederländer. In der Frühzeit baute man Erhebungen, die sogenannten Warften. Die aufgeschütteten Hügel aus Stallmist und Erdsoden boten Schutz vor Sturmfluten. Doch das reichte bald nicht mehr aus.

Von Almut Röhrl

Der Kampf gegen das Wasser

Die ersten Deiche baute der Mensch vor rund 1000 Jahren. Sie dienten hauptsächlich dem Schutz der landwirtschaftlichen Flächen während des Sommers. Im Winter waren diese Flächen oft durch Stürme überflutet. Solche Erdwälle wurden aus schwerem Kleieboden gebaut, den man aus dem Schwemmland der Nordsee holte.

Im Spätmittelalter setzten sich die Stackdeiche durch. Vor dem Deich befand sich eine bis zu zwei Meter hohe vertikale Wand aus Holzplanken. Allerdings prallte das Meer mit voller Wucht darauf und so wurde sie schnell beschädigt.

Die Stackdeiche waren zudem aufwändig im Bau und in der Instandhaltung. Es war besser, den Deich langsam flach ansteigen zu lassen, um den Wellen möglichst wenig Angriffspunkte zu bieten.

Ab dem 18. Jahrhundert gab es schließlich Deiche mit flacherer Böschung, sowohl auf der Seeseite als auch auf der Binnenseite. Diese Entwicklung hat man bis heute beibehalten.

Moderne Deiche können bis zu 100 Meter breit sein. Dazu kommt der Deichverteidigungsweg, um bei einem Deichschaden schnell vor Ort reparieren zu können. Auf der Wasserseite verläuft der Treibselabfuhrweg, damit angeschwemmter Unrat weggeräumt werden kann.

Nah am Wasser gebaut

Planet Wissen 11.01.2019 05:27 Min. Verfügbar bis 11.01.2024 SWR

Ohne die Deiche würden heute zwei Drittel der Niederlande von der Nordsee verschlungen: Amsterdam, Rotterdam oder Den Haag wären von der Landkarte verschwunden und fünf Millionen Menschen wären heimatlos.

Der bekannteste Deich der Niederlande ist der Afsluitdijk, der Abschlussdeich. 1932 fertiggestellt, hielt er zwar der gewaltigen Sturmfluten stand, reichte aber zum Schutz des Landes nicht aus.

Die Sturmflut von 1953

In der Nacht auf den 1. Februar 1953 zog ein schwerer Sturm, der in Orkanstärke aus Nordwest blies, zusätzlich mit einer Springflut auf. Dieses seltene Zusammenspiel von Wetter und Gezeiten führte zur größten Naturkatastrophe der Niederlande im vergangenen Jahrhundert.

An mehr als 60 Stellen brachen die Deiche. Über 1800 Menschen ertranken damals in den Fluten, ebenso wie hunderttausende Tiere.

Vor allem der Südwesten der Niederlande wurde überflutet, die Provinz Zeeland im Mündungsdelta von Rhein, Maas und Schelde.

Überschwemmte Siedlung während der Sturmflut 1953

Das Wasser stieg über Nacht um fünfeinhalb Meter

Dass die Wucht der Flut für die meisten Menschen eine Überraschung war, lag sicher auch daran, dass das Wetter damals noch nicht so langfristig vorhergesagt werden konnte und es noch keine Massenmedien zur schnellen Verbreitung der Warnungen gab.

Zwar sah man eine raue See und spürte einen starken Wind, aber dass nachts das Wasser um fünfeinhalb Meter steigen würde, hatte niemand erwartet.

Seit jeher sind die Niederlande katastrophale Sturmfluten gewohnt. Einige davon sind berühmt, wie die Marcellusflut im 12. Jahrhundert. Spätere Sturmfluten waren im Ausmaß allerdings katastrophaler, weil die Niederlande viel dichter besiedelt waren. Der Schaden an Mensch, Tier, Hab und Gut war folglich größer.

Der Deltaplan – Schutz gegen Sturmfluten

Bereits ein Jahr nach der Flutkatastrophe wurde die Deltakommission ins Leben gerufen. Man wollte einer Wiederholung solch einer gigantischen Katastrophe vorbeugen. Große Wasserbauprojekte mit riesigen Sperranlagen im offenen Meer wurden geplant: die Deltawerke.

Die Provinz Zeeland, der südliche Teil der Provinz Südholland und der westliche Teil der Provinz Westbrabant sollten fortan vor Hochwasser und Sturmflut geschützt werden.

Von 1959 bis 1997 wurden insgesamt 15 Bauwerke als Deltaprojekt realisiert – eine technische Meisterleistung. Ein ganzes System von neuen Dämmen, Deichen und Schleusen verkürzte die Küstenlinie Zeelands um rund 700 Kilometer.

Dazu plante die Deltakommission anfangs, die Meeresarme zwischen den zeeländischen Inseln von der Nordsee mit sehr hohen und beständigen Dämmen abzutrennen. Nur der Nieuwe Waterweg und die Westschelde sollten offen bleiben. Sie waren und sind nötig, damit Seeschiffe die Häfen von Rotterdam und Antwerpen anfahren können.

Als letztes wurde die Maeslandkering fertig, die den Hafen von Rotterdam vor der Nordsee schützt. Wo die Nordsee 1953 ungehindert in die Meeresarme drücken konnte, stellen sich heute mächtige Dämme und Flutwehre den Wellen entgegen.

Das Oosterschelde-Sturmflutwehr

Vier Dämme riegeln die hochwassergefährdeten Arme des Mündungsdeltas von Rhein, Maas und Schelde ab. Der größte dieser Dämme, das Ooosterscheldewehr in Zeeland, wurde aufgrund von Protesten von Umweltorganisationen, Muschel- und Austernfischern als offener Damm gebaut.

Die Gezeiten blieben erhalten, indem 62 Öffnungen von jeweils 40 Metern Breite in das Sturmflutwehr eingebaut wurden. Die Schleusen schließen nur bei extremen Wasserständen und erhalten auf diese Weise das einzigartige Salzwassermilieu. So verhinderte man einen Wechsel zu Süßwasser, die Fisch- und Muschelwelt wurde im Salzwasser erhalten und die Fischer behielten ihr Auskommen.

Letztendlich wurde das Oosterschelde-Sturmflutwehr eines der größten Bauprojekte der Welt. Seine Bauweise war einzigartig: Ganze Betonfertigteilfabriken sowie künstliche Bauinseln entstanden im Meer. Die vorgefertigten Teile des Wehrs wurden im offenen Wasser bei zunehmender Wassergeschwindigkeit zusammengebaut.

Auch die Dimensionen sind beeindruckend: Ein Betonpfeiler ist 34 bis 40 Meter hoch, 50 Meter lang und 25 Meter breit. Sein Gewicht beträgt 15.000 bis 18.000 Tonnen. Der größte Teil des Wehrs liegt unter Wasser, 24 bis 30 Meter, nur zehn Meter kann man über Wasser sehen.

Blick auf das Oosterschelde Sturmflutwehr.

Eines der größten Bauprojekte der Welt – das Oosterschelde-Sturmflutwehr

Nachhaltiger Hochwasserschutz

Die Bedrohung durch die Nordsee ist geblieben. Im Zuge der Klimaerwärmung setzte sich die Erkenntnis durch, dass nachhaltiger Hochwasserschutz von Nöten ist, der wirtschaftliche Erfordernisse und Naturschutz vereint.

Der "harte" Küstenschutz, immer höhere Deiche zu bauen, ist auf Dauer keine wirksame und sichere Lösung. In den Niederlanden wird seit einigen Jahren eine neue, "weiche" Strategie verfolgt, die darauf abzielt, dem Wasser mehr Raum zu geben.

Der Meeresspiegel, das Wasser in Flüssen und der winterliche Niederschlag steigen. Dazu kommt das Absacken des Bodens. Je höher der Unterschied zwischen dem Wasserstand in den Flüssen und den tiefer gelegenen Poldern, desto katastrophaler sind die Folgen einer Überflutung.

Der niederländische Wasserwirtschaftsverband möchte wieder mehr offene Wasserflächen, die als Puffer fungieren können. Bis zum Jahr 2022 sollen Rhein und Maas reichlich solcher Überschwemmungsflächen bekommen. Dazu werden die Deiche entlang der Flüsse zurückverlegt. Ihnen müssen zum Teil Siedlungs- und Industrieflächen weichen.

Deich und Leuchtturm in den Niederlanden.

Immer höhere Deiche zu bauen, ist keine Lösung

Quelle: SWR | Stand: 15.10.2018, 09:05 Uhr

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