Ein Schauspieler bei einer Zeremonie zur Wintersonnenwende

Anden

Die Inka

In nur rund 300 Jahren schufen die Inka im Mittelalter das größte Reich in der Geschichte des amerikanischen Kontinents. Zeitweise herrschten sie über 250 Völker und neun Millionen Menschen. Ihre Herrschaft wird oft mit dem antiken Römischen Reich verglichen.

Von Tobias Aufmkolk

Unermessliche Reichtümer

Als die spanischen Eroberer 1532 das Hochland von Peru erreichen, trauen sie ihren Augen kaum. Sie sind Gerüchten über ein sagenhaftes Goldland gefolgt, das irgendwo in den Bergen der Anden versteckt sein soll.

Nun breitet sich vor ihnen eine derartige Pracht aus, dass sich viele am Ziel wähnen. Gold schätzen die Inka schon lange, doch nicht als Zahlungsmittel, sondern zur Herstellung von Kunst- und Kultgegenständen.

Eine goldene Mumienmaske

Nur wenige Kunstwerke blieben erhalten

Neben dem vermeintlichen Reichtum der Inka fasziniert die Spanier noch etwas anderes: Sie treffen auf ein straff organisiertes Staatswesen, auf ein hervorragend ausgebautes Straßensystem und auf Siedlungen, die in ihrer Größe und Pracht viele Städte auf der Iberischen Halbinsel übertreffen. In der Inkahauptstadt Cuzco leben beispielsweise mehr als 200.000 Menschen.

Doch wie konnte sich in nur relativ kurzer Zeit ein so großes Reich auf dem südamerikanischen Kontinent etablieren? Immerhin war die Inka-Hochkultur erst im 13. Jahrhundert entstanden und erstreckte sich zeitweise vom heutigen Kolumbien bis in den Norden Chiles und Argentiniens.

Die Herrschaft der Inkas wird heute oft mit dem antiken Römischen Reich verglichen. Bei der Hochkultur der Maya, die schon vor dem Reich der Inkas entstand, zeigen sich dagegen Parallelen zum antiken Griechenland.

Kinder der Sonne

Die Geschichte der Inka beginnt mit einer Legende. Was für das antike Rom die legendären Gründungsväter Romulus und Remus, sind für die Inka die göttlichen "Kinder der Sonne": Manco Capac und Mama Occlo.

Der Legende zufolge blickte die Sonne einst voller Mitleid auf das Elend der Menschen. Sie schickte ihre beiden Kinder Manco Capac und Mama Occlo auf die Erde, um eine Herrschaft aus Toleranz, Freundlichkeit und Erkenntnis zu errichten. Sie sollten den Menschen Ackerbau, Viehzucht, Handwerk, Religion und Gesetze bringen. Wo sie ihren goldenen Zauberstab mühelos in den Boden steckten konnten, sollte das Zentrum des neuen Reiches entstehen.

So stiegen die beiden Kinder auf die Erde hinab, wanderten von den Ufern des Titicaca-Sees nach Norden und steckten im Tal von Cuzco ihren Stab in den Boden. An dieser Stelle entstand die Hauptstadt der Inka. Manco Capac wird der erste König der Inka, seine Schwester Mama Occlo die königliche Gemahlin.

Historiker datieren den Beginn der Inkageschichte um das Jahr 1200.

Blick auf ein Tal mit Fluss in den Anden Perus.

Hier ließen sich die ersten Inka nieder

Ausdehnung des Machtbereiches

Die ersten Generationen der Inka kümmern sich um den Aufbau des jungen Staates im Tal von Cuzco. Nach und nach werden Völker, die zusammen mit den Inka in dem Tal leben, unterworfen und in den Staat integriert.

Erst der fünfte Inkaherrscher Capac Yupanqui führt erste Feldzüge außerhalb des Tals. Mittlerweile sehen sich die Inka gegenüber allen anderen Völkern als überlegen und auserwählt an. Sie bauen ein gut ausgebildetes Berufsheer auf, das die Grundlage für weitere Eroberungsfeldzüge bildet.

Doch die Inka sind nicht das einzige Volk, das seinen Machtbereich ausdehnen will. Das Nachbarvolk der Chanca hat eine ähnliche Entwicklung durchlaufen und bedroht im 15. Jahrhundert mit einem 100.000 Mann starken Heer den Staat der Inka.

In einer Entscheidungsschlacht gelingt es 1437 dem legendären Pachacuti Yupanqui, die Chanca vernichtend zu schlagen. Die Machtposition der Inka ist gefestigt, der Grundstein für weitere Eroberungen gelegt.

Unter Pachacuti Yupanqui und dessen Sohn Tupac Inka Yupanqui nimmt das Reich riesige Ausmaße an. Als Tupac Inka Yupanqui 1493 stirbt, herrschen die Inka über 250 Völker und mehr als neun Millionen Menschen. Ihr Reich erstreckt sich von Nord nach Süd auf einer Länge von 5000 Kilometern. Die Inka sind auf dem Höhepunkt ihrer Macht angekommen.

Ein Inka-Nachfahre mit prächtigem Goldschmuck auf dem Kopf.

So könnte ein Inkaherrscher ausgesehen haben

Straff organisierter Staat

In nur rund 300 Jahren hatte das relativ kleine Volk der Inka das größte Reich errichtet, das jemals in Südamerika existierte. Nur mit eigenen Ressourcen konnte dieses Reich unmöglich aufrecht erhalten werden.

Ähnlich wie die Römer waren auch die Inka auf Allianzen mit den unterworfenen Völkern angewiesen. Wer aus einer anderen Kultur stammte und es im Inkareich zu etwas bringen wollte, musste dem neuen Staat seine volle Loyalität erweisen. So konnte man auch als Nicht-Inka in der Verwaltung oder in der Armee Karriere machen.

Spanische Eroberer berichteten, dass ihnen das Inkareich wie "aus einem Guss geplant" vorkam. Tatsächlich waren die Inka Meister der Organisation. Sie bauten die Landwirtschaft planmäßig auf und legten riesige Terrassenfelder an den steilen Hängen der Anden an. Durch Bewässerungskanäle machten sie aus trostlosen Wüstengegenden fruchtbare Oasen.

Terrassenfelder an einem steilen Hang

Die Inka legten planmäßig Terrassenfelder an

Kunst und Kultur vereinheitlichten sie nach ihren Standards. Dabei erfanden die Inka allerdings nichts neu, sondern bedienten sich der Traditionen anderer Andenvölker, die schon lange vor ihnen existiert hatten. So wie die Römer die Metallverarbeitung von den Etruskern und die Philosophie von den Griechen übernahmen, entwickelten die Inka die Goldschmiedekunst der Chimú und die Webkunst der Moche weiter.

Herzstück des Inkareiches war das 40.000 Kilometer umfassende Straßensystem, das oft mit dem der römischen Antike verglichen wird. Zwei Hauptstraßen führten von Nord nach Süd durch das gesamte Reich: eine an der Küste entlang, die andere durch das Hochland der Anden. Zahlreiche Nebenstraßen verbanden die beiden Hauptachsen miteinander und ermöglichten so rasche Truppenbewegungen und Gütertransporte.

Ein jähes Ende

Als die Spanier 1532 in den Herrschaftsbereich der Inka vordringen, sind die Inka gerade in einen blutigen Erbfolgekrieg verstrickt und tief gespalten. Zudem grassieren seit einiger Zeit die Pocken, die sich wahrscheinlich von Mittelamerika bis in den Andenraum ausgebreitet haben.

Das Inkareich ist daher geschwächt und auf eine weitere Bedrohung nicht eingerichtet. So empfängt der letzte Inkaherrscher Atahualpa die wenigen Hundert Spanier und ihren Anführer Francisco Pizarro freundlich in der Stadt Cajamarca. Pizarro nimmt jedoch den von mehreren Tausend Kriegern begleiteten Atahualpa gefangen.

Francisco Pizarro, spanischer Eroberer (Todestag 26.06.1541)

WDR ZeitZeichen 26.06.2016 15:18 Min. Verfügbar bis 24.06.2096 WDR 5


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Die Inka sind schockiert, als die Spanier das Feuer auf sie eröffnen. Obwohl sie in der Überzahl sind, sind sie den Angreifern hoffnungslos unterlegen. Die Inka kennen in der Kriegsführung weder Schusswaffen noch Klingen aus Edelstahl. Zudem haben sie einen gehörigen Respekt vor den Pferden der Spanier. So große Tiere haben sie vorher noch nie zu Gesicht bekommen.

Gegen ein Lösegeld in Form eines ganzen Saals voll Gold soll Atahualpa wieder freikommen. Trotz Übergabe des Goldes lässt Pizarro den Inkaherrscher kurze Zeit später hinrichten.

Kolorierter Stich: Inka tragen Gold zu Pizarro.

Die Inka bringen Pizarro das Lösegeld für Atahualpa

Der Zerfall einer Kultur

Die Eroberung des restlichen Inkareiches fällt den Spaniern leicht. Die führungslosen Inka sind nicht in der Lage, sich politisch neu zu ordnen. Dazu paktieren die Spanier geschickt mit den unterworfenen Völkern, die sie zu Bündnispartnern im Kampf gegen die Inka machen. In nur wenigen Monaten ist fast das gesamte Reich unter spanischer Kontrolle.

In der Folgezeit rauben die Spanier den Inka aber nicht nur ihr Reich, sondern auch ihre Kunst und Kultur. Die Ausübung des ausgeprägten Totenkults wird unter Strafe gestellt, die mit reichen Beigaben versehenen Grabstätten werden geplündert. Alles, was die neuen Herren an Gold finden können, wird herbeigeschafft, eingeschmolzen und nach Spanien verschifft. Die Gier scheint unersättlich.

Historiker sprechen heute vom Ausverkauf einer ganzen Kultur. Unmengen an Kunstschätzen sind auf diese Weise unwiederbringlich für die Nachwelt verloren gegangen. Geblieben ist nur weniges: einige kunsthandwerkliche Traditionen zum Beispiel, alte Mythen und die Sprache Quechua. Sie wurde von den Inka einst als Amtssprache für alle eroberten Völker eingeführt und ist bis heute in den zentralen Anden weit verbreitet.

Weltberühmt ist unterdessen Macchu Picchu, die sagenhafte Festung auf einem Bergplateau inmitten der peruanischen Anden. Sie wurde zufällig 1911 wiederentdeckt und zählt heute zum Weltkulturerbe.

Inka-Festung Machu Picchu

Die ehemalige Inka-Festung Machu Picchu

(Erstveröffentlichung 2011. Letzte Aktualisierung 13.07.2021)

Quelle: WDR

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