
Überfischung der Meere
Aquakultur – Sargnagel statt Rettungsanker?
Der Reichtum im Meer geht zur Neige. Warum also die Fische nicht einfach züchten? Bei Lachsen stammt inzwischen der Großteil der bei uns gehandelten Fische aus der Zucht. Doch die Aquakultur hat nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile.
Von Inka Reichert
Proteine für die Weltbevölkerung
Schon heute ist Fisch weltweit der wichtigste Proteinlieferant für die menschliche Ernährung, noch vor Geflügel und Schweinefleisch. Rund 17 Prozent aller Menschen decken ihren Eiweißbedarf hauptsächlich über Fisch. In etwa 20 Jahren soll sich die Nachfrage noch mehr als verdoppeln.
"Um die wachsende Bevölkerung ausreichend mit Proteinen zu versorgen, kommen wir ohne Aquakulturen nicht mehr aus", sagt Ulfert Focken, Experte für Aquakultur und Fischernährung am Thünen-Institut für Fischereiökologie in Ahrensburg. Denn Fakt ist: Im Vergleich zur Schweine- oder Rindermast ist die Fischzucht klar im Vorteil. Zum einen brauchen Fische und andere Wasserorganismen weniger Nahrung als Tiere an Land.
Beispielsweise benötigt man für die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch 15-mal mehr Futter als für die von einem Kilogramm Karpfen. Denn Fische sind wechselwarme Tiere. Ihre Körpertemperatur entspricht in etwa der Umgebungstemperatur. Sie müssen also im Vergleich zu Säugetieren oder Vögeln fast keine Energie aufwenden, um ihre Körpertemperatur zu halten. Zum anderen verbrauchen Tiere im Wasser weniger Energie, um sich fortzubewegen.
Jeder zweite Fisch ist gezüchtet
Laut der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation war 2013 fast jeder zweite Fisch, der auf dem Teller landet, kein Wildfang mehr. Dabei ist die Aquakultur nicht in jedem Land gleich stark ausgeprägt. In Mitteleuropa, und damit auch in Deutschland, wird wild gefangener Fisch meist noch bevorzugt.
In China hingegen hat die Fischzucht eine jahrtausendealte Tradition, die schon mit der Domestizierung des Karpfens begann. Bis heute ist das Land unangefochten die wichtigste Aquakulturnation. Berücksichtigt man die Fischzucht an Land wie im Meer, kommen fast zwei Drittel der weltweiten Produktion aus China.

Zwei Drittel der weltweiten Fischproduktion kommen aus China
Kritik der Umweltschützer wächst
Doch mit der Fischzucht wächst auch die Kritik seitens der Umweltschützer. Denn anstatt der Überfischung der Meere entgegenzuwirken, hat die Fischzucht diese teilweise noch weiter vorangetrieben.
Der Grund: Viele Zuchtarten, sogenannte karnivore Arten, sind selbst Fleischfresser und müssen mit anderen Fischen gefüttert werden. Und diese stammen meist direkt aus dem Meer.
Besonders haarsträubend ist die Zucht von Thunfischen in Aquakultur. Diese können nicht wie etwa die Lachse einfach nachgezüchtet werden. Daher fängt man wildlebende Jungthune und mästet sie in großen Netzen mit wertvollen, im Meer gefangenen Speisefischen. In ihren Käfigen haben sie dann nicht einmal die Möglichkeit, für Nachwuchs zu sorgen.
Bei anderen karnivoren Fischarten sieht die Bilanz viel besser aus. "Auch Zuchtlachse benötigen eine Mindestmenge an Fischmehl in ihrem Futter um heranzuwachsen. Dieser Anteil wurde jedoch so weit reduziert, dass man heute mit etwa 1,2 Kilogramm Kleinfischen ein Kilogramm Lachs erzeugen kann", sagt Aquakultur-Ökonom Michael Ebeling vom Thünen-Institut für Seefischerei in Hamburg.

Lachse sind gute Futterverwerter
Denn zum einen wird dem Futter ein hoher pflanzlicher Anteil beigemengt. Zum anderen bewegen sich die Zuchtfische deutlich weniger als ihre wilden Verwandten und brauchen deshalb auch insgesamt weniger Nahrung.
Wildlachse hingegen fressen ein Vielfaches an anderen Fischen im Meer. "Vor diesem Hintergrund würde es Sinn machen, den Anteil karnivorer Arten in der Aquakultur zu senken und mehr auf Spezies zu setzen, die hauptsächlich pflanzlich ernährt werden können, wie Karpfen", sagt Ebeling.
Doch gerade Europäer, und unter ihnen auch viele Deutsche, bevorzugten fleischfressende Arten aus dem Meer eindeutig und schufen so den Markt für diesen wenig ökologischen Fisch.
Außerdem stellt sich auch bei pflanzenfressenden Arten die Frage nach der Herkunft der Nahrung. "Wenn für die Fischproduktion große Mengen an Soja angebaut werden müssen und dieses dann zum Abholzen der Regenwälder führt, ist der ökologische Effekt vermutlich vergleichbar negativ wie der Fang von Wildfischen für die Aquakultur", erklärt er.

Wild gefangene Thunfische werden oftmals gemästet
Massenzucht mit Nebenwirkungen
Die Aquakultur hat noch ein weiteres Problem: die Massenzucht. Denn ihre Nebenwirkungen sind ganz ähnlich wie bei der Massentierhaltung an Land. Die auf maximalen Ertrag gezüchteten Fische erkranken häufiger als ihre Artgenossen in freier Wildbahn. In Mosambik wurde im Jahr 2011 fast die gesamte Shrimpsproduktion aufgrund einer Viruserkrankung zerstört. 2012 trat die Infektion in Zuchtfarmen an der Küste von Madagaskar auf.
Um solche Szenarien zu verhindern, werden die Fische vor allem auf Zuchtfarmen in Südostasien mit Antibiotika oder anderen Medikamenten gefüttert. Schon jetzt zeigen einige dieser Antibiotika keine Wirkung mehr, da die Krankheitserreger Resistenzen ausgebildet haben. Bei Aquakulturen, die mit Käfigen im Meer errichtet werden, kommt hinzu, dass die Erreger auch auf die wildlebenden Fische übertragen werden können.
Die nährstoffreichen Exkremente der Fische führen schließlich zu einer Überdüngung der Gewässer – im Meer sowie bei Süßwasserfarmen. In den Mangrovenwäldern Südostasiens wurde das Ökosystem der Flüsse dadurch bereits geschädigt.
Hinzu kommt: Um überhaupt Platz für die Farmen zu schaffen, wurden dort die Wälder großflächig abgeholzt. Die Welternährungsorganisation schätzt, dass seit 1980 weltweit 3,6 Millionen Hektar der Fischzucht weichen mussten.

Mangrovenwälder auf den Philippinen mussten der Fischzucht weichen
Durchaus möglich: Nachhaltige Fischzucht
Allerdings zeigen einzelne Länder bereits, dass es auch anders geht. In Norwegen beispielsweise haben sich die Produktionsmethoden der Lachszucht verbessert. Dank moderner Impfstoffe verzichten die Züchter dort heute fast gänzlich auf Antibiotika. Und durch veränderte Futtertechniken scheiden die Fische dort weniger Exkremente aus.
Und auch Wasser lässt sich mit den richtigen Ideen sparen: "Anstatt das Abwasser der Fischfarmen in andere Gewässer fließen zu lassen, kann man die Nährstoffe darin auch sinnvoll nutzen", sagt Werner Kloas vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei und Leiter des Projekts "Tomatenfisch".
Wie der Name schon andeutet, ist bei diesem Projekt die Fischzucht direkt mit der Gemüsezucht gekoppelt. "Das Wasser wird dabei gleich doppelt genutzt – erst in den Fischbecken und dann für die Bewässerung und Düngung von Gemüsepflanzen wie beispielsweise Tomaten", erklärt Kloas. Das Kondenswasser, das sich in den Gewächshäusern der Tomaten ansammelt, wird am Ende wieder in die Fischteiche zurückgeführt.
"Verglichen mit ähnlichen Kreislaufsystemen sind wir weltweit am wassersparendsten", sagt der Projektleiter. So können beispielsweise mit 220 Litern Wasser ein Kilo Fisch und 1,6 Kilo Tomaten produziert werden. In herkömmlichen geschlossenen Kreislaufanlagen werden für ein Kilogramm Fisch 600 bis 1000 Liter Wasser eingesetzt und etwa 1000 Liter, um 1,6 Kilogramm Tomaten zu züchten.

Aquaponic – eine Kombination aus Pflanzen- und Fischzucht
Doch nicht nur auf Entwickler-, auch auf Verbraucherseite tut sich etwas. "Die Menschen achten verstärkt darauf, Fische aus kontrollierter Herkunft zu kaufen", sagt Aquakultur-Ökonom Michael Ebeling. Damit sich die Verbraucher orientieren können, gibt es bereits seit einigen Jahren die Bio-Siegel "Bioland" und "Naturland". Sie bürgen für die nachhaltige Zucht, aus welcher der Fisch stammt.
Seit 2012 gibt es zudem ein europaweit gültiges Siegel für schonende Aquakultur: das "Aquaculture Stewardship Council", kurz ASC. Händler und Hersteller, die das Zertifikat erhalten möchten, müssen sich nicht nur zum Arten-, Umwelt- und Wasserschutz in den Anbaugebieten verpflichten, sondern auch hohe Sozialstandards erfüllen.

Das ASC-Siegel steht für nachhaltige Fischzucht
(Erstveröffentlichung 2013. Letzte Aktualisierung 09.08.2018)
Quelle: WDR