Um die ideale Kurvenform zu bestimmen, hat der Physiker Claus Mattheck die "Methode der Zugdreiecke" entwickelt. Sie kann helfen, die Form von technischen Bauteilen und Produkten zu verbessern – und sie bruchsicherer und langlebiger zu machen.
Beispiel Baum: Bäume werden bis zu 70 Meter hoch, haben eine große Krone und damit eine sehr große Angriffsfläche für den Wind.
Damit ein Baum diesen Kräften standhalten kann, bildet er am Fuß seines Stammes breite oder tiefe Wurzeln aus, mit denen er sich fest im Boden verankern kann.
Würde der gerade Stamm am Fuß direkt in die breite Wurzel übergehen, mit einer scharfen Ecke oder Kerbe entstünde hier eine hohe sogenannte Kerbspannung – eine Sollbruchstelle.
Der Physiker und Biomechaniker Claus Mattheck hat Bäume beobachtet und festgestellt, dass sie Zug- und Druckkräfte, wie sie zum Beispiel durch Wind entstehen, gleichmäßig verteilen.
Hat ein Baum an einer Stelle zu viel Spannung, bildet er dort verdickte Jahresringe und stabilisiert sich so selbst. Bäume sind perfekte Selbstoptimierer – eine Fähigkeit, die sie im Laufe von Jahrmillionen entwickelt haben.

Bäume – ohne scharfe Ecken
Eine Kurve verbindet Stamm und Wurzel so miteinander, dass die lokalen Spannungen im Holz minimiert sind. Physiker Mattheck hat aus dieser Form ein Werkzeug zum Optimieren entwickelt: die Methode der Zugdreiecke.
Damit lassen sich Gegenstände nach dem Vorbild der Natur leichter und langlebiger gestalten. Bauteile, die mit Zugdreiecken optimiert werden, halten im Bruchtest etwa zehnmal länger, bevor sie versagen.
Um die Methode der Zugdreiecke anzuwenden, ist kein Computer nötig – ein Geodreieck, ein Stift und ein Papier reichen aus. Falls Sie möchten, können Sie einen Zirkel zur Hilfe nehmen.
Für das erste Zugdreieck zeichnen Sie zuerst zwei Geraden, die im 90-Grad-Winkel zueinander stehen. Sie können zum Beispiel den Stamm und die Wurzel eines Baumes darstellen.
Eine der Geraden verbindet Wurzel und Stamm im 45-Grad-Winkel, so dass ein gleichseitiges Dreieck entsteht. Dies ist das erste Zugdreieck.

Zugdreieck Nr. 1
Für das zweite Dreieck gehen Sie zur längsten Seite des rechtwinkligen Dreiecks und nehmen davon die Hälfte. Sie bildet den Radius eines halben Kreises, den Sie um den oberen Eckpunkt des ersten Dreiecks ziehen.
Falls es für Sie einfacher ist, können Sie einen Zirkel benutzen. Der Kreisbogen trifft an einem Punkt auf die Linie, die den Stamm symbolisiert. Wenn Sie diesen Punkt mit dem Mittelpunkt der längsten Dreieckseite verbinden, erhalten Sie das zweite Dreieck.

Zugdreieck Nr. 2
Das dritte Dreieck entsteht genauso wie das zweite: Wieder gibt die Hälfte der längsten Dreieckseite den Radius für den Kreisbogen vor. Dieser kreuzt die Linie für den Stamm wieder in einem höheren Punkt.
Verbinden Sie den Mittelpunkt des zweiten Dreiecks mit diesem Schnittpunkt, und Sie bekommen das dritte Dreieck. Es hat einen steileren Winkel als die beiden anderen Dreiecke.

Zugdreieck Nr. 3
Die Kurve: Wenn Sie die verbleibenden stumpfen Ecken ausrunden und die Punkte mit einer handgezeichneten Linie verbinden, erhalten Sie eine optimierte Kurvenform.
Diese findet sich nicht nur am Fuß von Baumstämmen und Baumgabeln, sondern auch bei Knochen, Eisbergen, Erdpyramiden oder Ausbuchtungen von Blättern.

Die fertige Kurve
Wer mit der Kontur der Zugdreiecke im Kopf durch die Welt geht, stellt schnell fest, dass diese Form vielerorts zu finden ist.
Die Zugdreiecke heißen so, weil hier überwiegend Zugkräfte wirken. Mit ihnen lassen sich Formen aus der Natur auf Gegenstände anwenden. Physiker Claus Mattheck hat die Zugdreiecke in ein Computerprogramm integriert. Damit lassen sich technische Bauteile einfach per Mausklick optimieren.
Quelle: SWR | Stand: 19.10.2018, 10:00 Uhr