Seit 2010 vermisst der Satellit Cryosat-2 die Eismassen der Arktis. Mit seinen Radarstrahlen ist er in der Lage, die arktische Eisdecke dreidimensional zu erfassen. Die Messungen zeigten, dass gerade 2012 das Eis stark schrumpfte.

Arktis

Polkappenschmelze

Die Eisfläche in der Arktis schmilzt dramatisch: 2012 war sie nur etwa halb so groß wie noch in den 1980er-Jahren. 2013 wuchs die Fläche des arktischen Eises zwar wieder – eine Trendwende sehen die Wissenschaftler darin aber nicht.

Von Wolfgang Richter

Noch deutlicher nahm das Volumen des Eises ab. Um es zu ermitteln, messen die Polarforscher neben der Ausdehnung auch die Eisdicke. Mit Sonden an Hubschraubern und Schneefahrzeugen, seit einigen Jahren auch mithilfe des ESA-Satelliten CryoSat 2.

Klimawandel extrem: die arktische Verstärkung

Schon die Frage, wie Eis im arktischen Ozean entsteht und wieder vergeht, ist eine Wissenschaft für sich. Es wächst nicht etwa wie Gletscher durch Schneefall, sondern weil Meerwasser an der Unterseite von dünnen Eisplatten anfriert und diese so dicker macht.

Ist die Eisscholle aber wenige Meter dick geworden, isoliert sie das darunterliegende Meerwasser so gut von der durch eisige Winde gekühlten Oberfläche, dass unten praktisch kein neues Eis mehr anfriert. Dickere Eisplatten entstehen dann nur noch, wenn sich Eisschollen aufeinanderschieben.

Hingegen schmilzt das Packeis zumeist von oben – erwärmt durch die Strahlen der Sonne. Dabei macht es einen großen Unterschied, ob das Eis ganz schmilzt oder nur dünner wird. In letzterem Fall kann es nämlich durch seine glitzernd-weiße Oberfläche immer noch einen Großteil der Sonnenstrahlen zurück ins All reflektieren, Wissenschaftler nennen das den Albedo-Effekt.

Ist jedoch kein Eis mehr da, nimmt das deutlich dunklere Meer fast die gesamte Strahlungswärme der Sonne auf. "Daher ist die Erwärmung in der Arktis durch den Klimawandel zwei- bis viermal so stark wie im weltweiten Mittel", erklärt Christian Haas, Geophysiker und Eisexperte an der York University im kanadischen Toronto. In Fachkreisen hat sich dafür der Begriff "Arctic Amplification" (arktische Verstärkung) eingebürgert.

Polares Eis wird aus dem Weltraum überwacht

Bereits seit 1979 wird die Fläche des arktischen Meereises vom Weltraum aus mit Satelliten beobachtet. Die Fläche allein reicht aber nicht, um das Gesamtvolumen des Eises abzuschätzen und seine Abnahme zu beurteilen.

Seit 2010 steht den Wissenschaftlern nun der Eisforschungssatellit CryoSat 2 der Europäischen Weltraumorganisation ESA zur Verfügung. Er hat nicht nur eine wesentlich bessere Auflösung als seine Vorgänger, sondern kann durch ein Stereo-Verfahren mit zwei Radargeräten auch die Dicke des Eises vermessen.

"Trotzdem ist es unumgänglich, die Satellitendaten mit Messungen der Eisdicke vor Ort abzugleichen", sagt Christian Haas, der diese Aufgabe für die ESA-Kollegen koordiniert. Verschiedene Forschungsgruppen, darunter auch Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven, sind dabei mit Hubschraubern und Flugzeugen im Einsatz.

Die Hubschrauber haben während eines Messfluges Sonden im Schlepptau, die an Seilen 15 Meter über dem Eis hängen. Sie senden elektromagnetische Felder aus, die je nach Dicke des Eises unterschiedlich stark zur Sonde zurückgestrahlt werden. "Natürlich mussten auch diese Sonden erst aufwändig kalibriert werden", erzählt Haas. Mithilfe von Bohrungen und Eistauchern wurde dafür die Dicke von Eisschollen direkt bestimmt.

Inuit helfen bei der Orientierung in der Eiswüste

Bei seinen Expeditionen im Norden Kanadas montiert Christian Haas elektromagnetische Sonden auch auf Luftkissenfahrzeuge und die motorisierten Schneemobile, die die Ureinwohner der Arktis, die Inuit, zur Fortbewegung benutzen.

Ein Inuit in Fellkleidung auf einem Motorschlitten mit dem er einen zweiten Schlitten zieht unterwegs im endlosen Schnee und Eis der Arktis.

Ein Inuit-Jäger unterwegs in Schnee und Eis

Die hervorragende Ortskenntnis der Inuit macht er sich zunutze, um sich sicher in den arktischen Eiswüsten bewegen zu können. Denn wie bei den Dünen einer Sandwüste ist das Eis dort häufig zu meterhohen Hügeln aufgeworfen, was die Orientierung enorm erschwert.

Für die Inuit wirkt sich der Klimawandel bereits ganz konkret auf ihre Fortbewegungsmöglichkeiten mit den Schneemobilen aus. Denn die vergrößerte eisfreie Wasserfläche führt zu mehr Verdunstung und mehr Niederschlag in Form von Schnee. Fällt dieser in Massen auf dünneres Eis, sinkt dieses ein und Meerwasser schwappt darüber – eine Schneesülze, in der die Kufen der Schneemobile und Schlitten stecken bleiben.

Eine besonders elegante Fortbewegungsart wollte Christian Haas 2007 zusammen mit dem französischen Abenteurer Jean-Louis Etienne ausprobieren: In einem Luftschiff den Nordpol überqueren und dabei die Eisdicke mit einer elektromagnetischen Sonde vermessen. Der geringe Spritverbrauch, die niedrige Flughöhe und die langsame Fluggeschwindigkeit des Zeppelins wären dafür ideal gewesen. Allerdings zerschellte dieser bei den Testflügen in Südfrankreich, nachdem ein Sturm ihn nachts aus seiner Verankerung gerissen hatte.

Ab 2040 könnten Schiffe über den Nordpol fahren

Die ersten Ergebnisse von CryoSat 2 zeigen deutlich, dass im langfristigen Trend nicht nur die Ausdehnung, sondern auch das Volumen des arktischen Meereises abnimmt. So betrug das Eisvolumen in den frühen 1980er-Jahren nach wissenschaftlich fundierten Schätzungen etwa 20.000 Kubikkilometer, jeweils im Oktober eines Jahres.

CryoSat 2 dagegen maß im Oktober 2013 nur 9.000 Kubikkilometer, 2012 sogar nur 6.000. Zudem lag die Grenze des geschlossenen Packeises im Sommer 2013 so nördlich wie noch nie, nämlich oberhalb der russischen Inselgruppen Franz-Josef-Land und Sewernaja Semlja.

Wissenschaftler der University of California in Los Angeles sagen voraus, dass im Jahr 2040 das Eis am Nordpol selbst so dünn sein könnte, dass es im Sommer mit Eisbrechern befahrbar wäre – eine für Polarforscher bisher undenkbare Vorstellung.

Doch Christian Haas mahnt zur Vorsicht bei Prognosen. "Die Eisbildung in der Arktis ist ein sehr komplexes Phänomen, an dem zum Beispiel auch die Winde und Meeresströmungen in der Region einen großen Anteil haben", erklärt er. Das Polarmeer könne also noch so manche Überraschung für uns bereithalten.

Containerschiff im Polarmeer, auf dem einzelne Eisschollen schwimmen.

Containerschiffe im Polarmeer – ohne Eis kein Problem mehr

Quelle: SWR | Stand: 06.08.2018, 12:00 Uhr

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