Zahlen und Fakten zur Tiefsee

01:16 Min. Verfügbar bis 06.03.2025

Meer

Tiefsee

Rund 65 Prozent der Erde sind von Wasser bedeckt. Doch selbst die Rückseite des Mondes ist gründlicher erforscht als die dunklen Weiten der Weltmeere. Die Tiefsee ist für Landbewohner eine völlig fremde Welt.

Von Martin Rosenberg

Unentdeckte Tiefen

Von "Tiefsee" spricht man ab einer Tiefe von etwa 800 Metern. Doch es geht noch viel weiter herunter: Der eigentliche Meeresboden, die sogenannte Tiefseetafel, erstreckt sich in einer Tiefe zwischen 3000 und 5500 Metern. Der Durchschnitt liegt bei etwa 4000 Metern.

Wie die Kontinente ist auch der Meeresgrund nicht flach und eben, sondern durchzogen von Gräben und großen Gebirgen. Die tiefste Stelle der Erde ist der Marianengraben, östlich der Insel Guam am Rande des Pazifik. Er liegt 11.034 Meter unter dem Meeresspiegel.

Doch es gibt nicht nur Gräben, auch ein gigantisches Gebirge türmt sich unter Wasser auf und bildet den Mittelozeanischen Rücken. Er ist insgesamt über 70.000 Kilometer lang und zieht sich durch den gesamten Atlantik und von der Südspitze Indiens an der Antarktis vorbei bis nach Mittelamerika.

Tiefseeforschung

Obwohl die Menschen schon seit der Antike auf den Meeren unterwegs waren, hatten sie lange Zeit keine Vorstellung davon, was sich unter dem Meeresspiegel verbirgt. Man glaubte, das Meer sei unendlich tief und ab einer bestimmten Tiefe sei kein Leben mehr möglich.

Eine Expedition des britischen Forschungsschiffes "Challenger" markiert den Beginn der wissenschaftlichen Erforschung der Ozeane. Das Forschungsschiff kreuzte von 1872 bis 1876 durch alle Weltmeere, nahm Wasserproben, erforschte den Meeresboden und entdeckte über 4000 neue Tierarten. Und spätestens seit der Rekord-Tauchfahrt der "Trieste" 1960, bei der Forscher auf fast 11.000 Metern Tiefe noch einen Plattfisch fanden, steht fest, dass es selbst in den tiefsten Tiefen noch Leben gibt.

Das Forschungsschiff "Sonne" ankert im Nordpolarmeer.

Das Forschungsschiff "Sonne" ankert im Nordpolarmeer

Leben in der Tiefsee

Leben gibt es überall im Meer: nahe an der Oberfläche, an den Kontinentalabhängen und auf dem Meeresboden. Die Meere stellen 90 Prozent des Lebensraumes auf der Erde dar. Und sie sind bewohnt von seltsamen und teilweise unbekannten Wesen. Angefangen von Bakterien und Plankton über Garnelen, Krabben und Krebse bis hin zu gigantischen Kraken vermutet man über zehn Millionen Arten von Meeresbewohnern.

Die Tiefsee stellt besondere Anforderungen an ihre Bewohner: Dort ist es stockdunkel, eiskalt, und das Wasser übt einen gewaltigen Druck aus. Da kein Sonnenlicht nach unten dringt, ist Photosynthese nicht möglich. Unter 180 Metern gibt es praktisch kein Pflanzenwachstum mehr.

Den Tieren bleibt nichts anderes, als die Reste abgestorbener Pflanzen und Tiere zu fressen, die langsam nach unten sinken. Oder sie fressen sich gegenseitig. Eines haben alle Tiere gemeinsam: Die Nahrungssuche dort unten ist für sie sehr mühsam.

Bewohner haben besondere Überlebenstechniken entwickelt

Auffallend ist, dass die meisten Tiefseefische nicht sehr groß werden – sie messen höchstens 30 Zentimeter. Offenbar können sie nicht genug Nahrung finden, um weiter zu wachsen. Viele haben fast transparente Körper oder sind völlig schwarz, um sich besser vor ihren Feinden zu schützen.

Die Augen sind entweder extrem groß, um die schwachen Reste des Lichtes, das noch in die Dämmerzone dringt, besonders gut aufzufangen oder sie fehlen ganz.

Kopf eines durchsichtigen Tiefseefisches.

Groteskes Aussehen in der Tiefe

Die Tiere haben dann andere sensible Wahrnehmungsorgane, mit denen sie ihre möglichen Opfer aufspüren können, zum Beispiel durch ihre Gerüche oder die Erschütterungen, die sie auslösen. Manche Tiefseefische können mit Hilfe von Bakterien Lichtsignale aussenden. Das hilft bei der Kommunikation mit Artgenossen und lockt Beute an – allerdings aber auch Räuber.

Das knappe Nahrungsangebot macht erfinderisch. Es gibt Tiefseefische mit extrem dehnbaren Mägen und ausklappbaren Kiefern. Damit können sie Beute fangen, die größer ist als sie selbst, und so für die Zeit bis zum nächsten Fang vorsorgen.

Oft verleihen derartige Eigenschaften den Fischen ein geradezu groteskes Aussehen: Der Pelikanaal (Eurypharynx pelecanoides) zum Beispiel hat ein Maul, das so breit ist wie ein Viertel seiner Körperlänge. Schlinger (Saccopharynx lavenbergi) ähneln eher einem Staubsaugerbeutel.

Die Zähne sehen meist besonders furchterregend aus: Sie sind oft extrem lang und sehr scharf. Der schwarze Drachenfisch hat sogar so lange Zähne, dass er das Maul nicht schließen kann. Wahrscheinlich sind solche Waffen nötig, um jedes noch so kleine Beutetier, das irgendwo vorbeischwimmt, effektiv fangen zu können.

Schwarze Raucher

1977 machten Forscher, die mit dem Tauchboot "Alvin" in der Nähe der Galapagos-Inseln unterwegs waren, eine sensationelle Entdeckung: Sie fanden in mehr als 2000 Metern Tiefe unterseeische Thermalquellen. Heißes Magma, das sich hier sehr dicht unter dem Meeresboden befindet, erhitzt das Meereswasser, welches an anderen Stellen in den Meeresboden eindringt.

Mineralstoffe aus der Erdkruste und Schwefelverbindungen lösen sich im heißen Wasser und werden als schwarze Rauchwolken an den Schloten ausgestoßen. Die Quellen nennt man deshalb "Schwarze Raucher". Das Besondere an dieser Entdeckung: Rund um diese Schlote mit ihrem bis zu 300 Grad heißen, giftigen Ausstoß haben sich ganze Lebensgemeinschaften gebildet, die aus Bakterien, Würmern, Krebsen und anderen Organismen bestehen.

Zu den erstaunlichsten Lebewesen dort gehören riesige Röhrenwürmer. Sie bedecken den Boden direkt am Rand der Schlote und leben im Innern muschelähnlicher Röhren. Die Wissenschaftler waren völlig verblüfft: Diese Würmer haben weder ein Maul, noch einen Darm, einen Darmausgang oder einen Magen. Sie können sich theoretisch überhaupt nicht ernähren. Doch ihr Inneres ist ausgekleidet mit besonderen Bakterien. Diese Bakterien leben von dem schwefelhaltigen Wasser und wandeln es in Nährstoffe um, von denen wiederum die Würmer leben.

Das Hämoglobin aus dem Blut der Würmer hilft im Gegenzug den Bakterien, die Schwefelverbindungen im Wasser aufzubrechen. Auf diese Weise entsteht ein kompletter Nahrungskreislauf: Krebstiere, Muscheln, Schnecken, Seespinnen, Quallen und Seeanemonen leben direkt oder indirekt von den schwefelverzehrenden Bakterien, die die extrem hohen Temperaturen überleben können.

Wissenschaftler vermuten inzwischen, der Beginn des Lebens könnte in der Tiefsee stattgefunden haben. Fest steht: So wie sich an den "Schwarzen Rauchern" ganze Lebensgemeinschaften rund um Bakterien gebildet haben, so begann wahrscheinlich einmal jedes Leben auf der Erde.

Vielleicht könnte auf diese Weise auch auf anderen Planeten Leben entstehen, zum Beispiel auf dem Jupitermond Europa. So hilft die Tiefseeforschung, Erkenntnisse über völlig andere Lebensräume zu gewinnen.

(Erstveröffentlichung 2002. Letzte Aktualisierung 02.03.2020)

Quelle: WDR

Darstellung: