Unfall auf der Autobahn mit Polizei und demoliertem Auto.

Autobahn

Chaos auf der Autobahn

Deutschland besitzt das größte Autobahnnetz in der Europäischen Union.  Trotzdem bremsen 100.000 Kurzbaustellen und 4000 Staukilometer täglich die Fahrzeuge aus. Verkehrsforscher suchen nach Lösungen und planen die Autobahn der Zukunft.

Von Joachim Meißner

Patient Autobahn

Die Straße ist das Rückgrat des deutschen Verkehrswesens. 75 Prozent aller Personen- und Gütertransporte erfolgen mit PKW oder LKW. In Deutschland hat sich deshalb ein besonders dichtes Autobahnnetz entwickelt. Doch langsam ist die Belastungsgrenze erreicht. Immer häufigere und längere Staus sprechen eine deutliche Sprache.

Jedes Jahr summiert sich die Länge der Staus auf unseren Autobahnen auf weit über eine Million Kilometer. Eine Ursache ist das hohe Verkehrsaufkommen. Inzwischen hat jeder zweite Deutsche einen PKW. Mehr als 46 Millionen Fahrzeuge sind zugelassen. Eine weitere Ursache: der Schwerlastverkehr. Seit der Wiedervereinigung 1990 hat er sich schon verdoppelt – Tendenz weiter steigend.

Das enorme Gewicht der vielen LKW belastet die Straßen schwer. Sie werden schneller marode und müssen öfter großflächig saniert werden. Ein einziger 40 Tonnen schwerer LKW belastet den Straßenbelag ähnlich stark wie ungefähr 60.000 PKW. Zudem sind viele Autobahnen an sich schon hoffnungslos überaltert.

Die Folge: Es müssen immer mehr Baustellen eingerichtet werden. In Jahren wie 2017 wurden in manchen Monaten auf unseren Autobahnen schon bis zu 1000 Dauerbaustellen gezählt. Sie sind laut ADAC neben dem hohen Verkehrsaufkommen der wichtigste Grund für die Staus.

Stau auf deutscher Autobahn.

Stau: Alltagssituation auf deutschen Autobahnen

Straßenbau mit Materialien von gestern?

Die Anforderungen an den modernen Autobahn-Straßenbau haben sich verändert. Gefordert sind heute Materialien, Techniken und Bauabläufe, die Staus, Behinderungen und Gefährdungen durch Baustellen auf ein Minimum reduzieren. Staus belasten die Umwelt und Volkswirtschaft.

Bereits 2010 bezifferte die Bundesregierung den volkswirtschaftlichen Schaden durch Staus in Deutschland auf 250 Millionen Euro pro Tag. Und die Staubelastung ist seitdem deutlich weiter gestiegen.

Ziel muss es also sein, die Verkehrsflüsse zu optimieren und die Behinderungen durch Baustellen zu minimieren.

Baustellen vermeiden heißt unter anderem: neue widerstandsfähigere, intelligente Straßenbeläge zu entwickeln.

Gefordert sind heute Straßenmaterialien, die geeignet sind, dem ansteigenden Schwerlastverkehr standzuhalten. Die Straßen an sich müssen Dauerbelastung und höheres Gewicht verkraften. Straßenbeläge sollen zukünftig durch optimal gestaltete Oberflächenstruktur Lärm vermeiden, Feinstaub durch Reifenabrieb reduzieren und zudem Stickoxide binden.

Experten vom Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen forschen seit einigen Jahren an solchen innovativen Straßenbelägen, die in Zukunft etliche Dauerbaustellen überflüssig machen sollen.

Maschinen auf einer Straße am Asphaltieren.

Herkömmliche Asphaltierung – bald schon Vergangenheit?

Autobahn der Zukunft: die intelligente Straße

Prof. Bernhard Steinauer, langjähriger Direktor des Instituts für Straßenbauwesen der RWTH Aachen, hat wesentlich an der Vision von einer Straße der Zukunft mitgewirkt. Eine Zukunftsidee: das "Teppich-Prinzip". Die Straße wird bereits in einer Fabrik als kompletter Belag vorproduziert und aufgerollt.

Auf der Baustelle wird der Belag dann nur noch wie ein Teppich entrollt und mit dem Unterbau verklebt. Das spart viel Zeit und soll im Prinzip das Verlegen über Nacht möglich machen. Das größte Problem ist die Widerstandsfähigkeit des Belages. Hier besteht noch Forschungsbedarf. 

Visionär auch ein zweiter Forschungsbereich des Hightech-Belags. Bereits bei der Fertigung sollen auch Sensoren in den Belag implementiert werden, die per Funk Informationen über die Fahrzeugzahlen, aber auch den Straßenzustand (Eis, Regen, Risse, Schlaglöcher) erfassen.

Diese Informationen werden an Stationen am Straßenrand gesendet (Baken). Die Baken geben schließlich die von den Sensoren erfassten Informationen an die Verkehrsleitzentralen oder auch direkt an die Verkehrsteilnehmer weiter.

Meldungen von Staus, Überholmöglichkeiten, Warnungen vor Geisterfahrern, Nässe oder Glätte – verbunden mit einer angemessenen Geschwindigkeitsempfehlung – werden so präzise und in Echtzeit direkt an die Autofahrer gemeldet. So könnten Staus und Unfälle effizienter vermieden werden.

Eine wichtige Voraussetzung ist auch die Langlebigkeit des den Belag tragenden Unterbaus. Statt bisher 30 Jahre arbeiten Forscher an einer Haltbarkeit von etwa 50 Jahren.

Modell innovativer Straßenbeläge.

Die Zukunft der Autobahn: innovative Straßenbeläge

Straßenbeläge aus dem Chemielabor

Straßenbeläge müssen heute extremen Belastungen standhalten.  Neben großen Druckbelastungen sollten sie auch langfristig Hitze oder Kälte widerstehen. Die Beläge dürfen sich nicht verformen, mürbe werden oder Risse bekommen. Um diesen unterschiedlichsten Anforderungen künftig gewachsen zu sein, wird an der Bundesanstalt für Straßenwesen mit neuen Straßenbelägen experimentiert.

Im Fokus steht heute weiterhin der Asphalt, ein Gemisch aus kleinkörnigem Gestein mit Bitumen als Bindemittel. Asphalt ist im Gegensatz zum Betonbelag einfacher und schneller zu sanieren. Ein weiterentwickelter Asphalt-Baustoff sollte in Zukunft nicht zu steif, aber auch nicht zu weich sein. Er sollte sich nicht zu schnell verformen und auch weniger Risse ausbilden.  Schwer zu kombinierende Eigenschaften, eine echte Herausforderung für die Ingenieure.

Die Idee: Beimischung von Glasfasern und Polymeren. Dadurch soll der Hightech-Asphalt widerstandsfähiger und temperaturbeständiger werden. Erste Tests zeigen: Die Nutzungsdauer lässt sich deutlich erhöhen.

Die Forscher tüfteln auch noch an anderen Ideen. Zum Beispiel an einer Art Fußbodenheizung für den Straßenbelag. Im Winter soll Wärme zugeführt, so Eis- und Rissbildung verhindert werden. Im Sommer soll Wärme von der Deckschicht abgeleitet werden, sodass der Asphalt kühler bleibt und weniger  Spurrillen ausformt.

Wenn auch nicht für den flächendeckenden Einsatz gedacht, so könnten vielleicht doch neuralgische Punkte vor Brücken oder Steigungsstrecken besser geschützt werden.

Modell Belag aus dem Labor.

Asphalt 2.0 – der Belag aus dem Labor

Assistenzsysteme

Verbesserung in der Sanierung und im Ausbau unserer Fernstraßen sind aber nur ein Teil der Lösung unserer Verkehrsprobleme. Der reibungslose Verkehrsfluss hängt auch vom Verhalten der Autofahrer ab. Staus und Unfälle beruhen oft auf eigenem Fehlverhalten.

Würden alle mit konstanter Geschwindigkeit und  Abstand fahren, so die Verkehrsforscher, dann gäbe es keine Staus, kaum Unfälle und alle wären schneller am Ziel. Auch der Spritverbrauch wäre deutlich geringer.

Soweit die Theorie. In der Realität fährt aber jeder Autofahrer sehr individuell, variabel, mal defensiver, mal aggressiver, versucht möglichst schnell sein Ziel zu erreichen und ist dabei immer auf der Suche nach einer Lücke. Das sind auch oft die rechten Fahrspuren. 

Einen Ausweg aus dem Verkehrschaos, allerdings auch verbunden mit deutlich weniger Fahrspaß, könnte die Vernetzung durch sogenannte Assistenzsysteme sein. Tempomaten, Abstandmesser oder Spurhaltesysteme gibt es bereits.

Würden diese Systeme über ein WLAN mit den Fahrzeugen anderer Verkehrsteilnehmer vernetzt, könnten diese Fahrzeuge noch besser selbstständig Informationen über die Verkehrssituation austauschen und dadurch den Verkehrsfluss regeln, ohne dass die Fahrer eingreifen müssten.

Vernetzung der Fahrzeuge ermöglicht das Kolonne-Fahren. So lässt sich die vorhandene Verkehrsfläche optimal ausnutzen: Üblich ist bei 120 km/h im Schnitt ein Sicherheitsabstand von 40 Metern, bei einer technischen Abstandssteuerung (elektronische Deichsel) sind es nur 20 Meter. Bei gleicher Geschwindigkeit könnten so also pro Spur gefahrlos doppelt so viele Fahrzeuge durchgeschleust werden.

Ein solches System könnte auch Leben retten. Im Vergleich zum Menschen reagiert ein Assistenzsystem schon heute etwa zehnmal schneller auf Notsituationen. Das dient letztendlich der Verbesserung der Verkehrssicherheit und der Verkehrseffizienz.

Doch mit der WLAN-Technik tun sich neue Fragen auf. Bei wem liegt zum Beispiel die Verantwortung für technische Fehlfunktionen: beim Fahrzeugführer oder beim Fahrzeughersteller? Wer haftet im Ernstfall für Unfälle durch automatisierte Prozesse?

Warnhinweis eines Assistenzsystems wegen einer bevorstehende Baustelle.

Assistenzsysteme ermöglichen ein vorausschauendes Fahren

Ungeliebte Notbremssysteme?

Viele Unfälle auf Autobahnen könnten schon heute durch ein automatisch reagierendes Notbremssystem verhindert werden. Dabei scannen Sensoren permanent den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug. Falls der Vordermann bremst, macht ein Warnsystem den Fahrer darauf aufmerksam. Reagiert der Fahrer nicht, bremst das System automatisch den LKW bis zum Stillstand ab.

Seit 2015 ist dieses Notbremssystem Pflicht für neue LKW. Das Problem: Es kann vom Fahrer mit einem einfachen Knopfdruck abgeschaltet werden. Und genau das tun viele Fahrer, vermutet die Polizei. Zum Beispiel, um besser den Windschatten des Vordermanns zu nutzen. Denn nur ein LKW, der rollt, bringt Geld. Ständiges Abbremsen kostet Zeit. Bis heute ist das Einschalten des Systems ist keine gesetzliche Pflicht!

Grafik eines LKWs mit Notbremssystem.

LKW-Notbremssysteme können Unfälle verhindern

Risiko LKW-Parkplätze

Eine weitere Gefahrenquelle auf den Autobahnen: überfüllte Autobahnparkplätze. Immer häufiger weichen die Brummifahrer deshalb auf den Standstreifen aus! Denn sie finden kaum noch einen Platz, um die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten einzuhalten. Eine gefährliche Situation, da vor allem nachts die LKW auf Standstreifen nur schlecht und oft zu spät erkannt werden.

Der höhere Bedarf an Parkplätzen für LKW war voraussehbar, spätestens seit der Wiedervereinigung und dem damit verbundenen Anstieg des Ost-West-Transitverkehrs. Politiker und Verkehrsplaner haben diese Entwicklung unterschätzt.

Mehr LKW-Parkplätze könnten das Problem lösen, lassen sich aber nicht ohne Weiteres bauen. Die notwendigen Flächen gehören oft Kommunen, die nicht bereit sind, sie zu veräußern und oft auch zusätzliche Lärmbelästigung fürchten.  

Autohöfe könnten zur Entlastung beizutragen, dürften dann aber auch nicht zu teuer sein. Denn vor allem die ausländischen LKW-Fahrer müssen die Kosten meist selbst tragen, bekommen sie nicht vergütet. Viele schlecht bezahlte LKW-Fahrer aus Osteuropa können sich diese Kosten gar nicht leisten.

Volle LKW-Parkplätze.

Gefahrenquelle vollgeparkte Parkplätze?

Raser versus Tempolimit

Große Probleme auf unseren Autobahnen verursachen auch immer wieder Raser, Drängler – ganz generell zu dichtes Auffahren bei überhöhter Geschwindigkeit. Auf 70 Prozent unserer Autobahnen gibt es im Gegensatz zu anderen EU-Ländern keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Ungeachtet der vielen Unfälle und der daraus resultierenden Staus.  

Im Jahre 2017 wurden fast 21.000 Unfälle gemeldet: 409 Tote, fast 6000 Schwerverletzte. Braucht Deutschland nicht auch ein generelles Tempolimit? Das Bundesverkehrsministerium hält das für unnötig. Dagegen sprechen Versuche, beispielsweise auf der A81. Nach Geschwindigkeitsbegrenzungen ging die Zahl der Unfälle dort signifikant zurück.

Und was meint das Volk? Eine Umfrage des Verkehrssicherheitsrates hat ergeben, dass rund die Hälfte der Deutschen für ein einheitliches Tempolimit von 130 auf den Autobahnen wäre. Hier verändert sich langsam etwas im Bewusstsein der Deutschen. Aber die Diskussion um ein Tempolimit ist in Deutschland ja fast so alt wie die Autobahn selbst...

Quelle: SWR | Stand: 19.07.2019, 17:15 Uhr

Darstellung: