Porträtaufnahme von Christoph Hupfer zu Gast im Planet Wissen Studio.

Interview mit Christoph Hupfer

Weniger Autos, mehr Lebensqualität

Wie gestaltet man de Mobilität der Zukunft? Staus, Luftschadstoffe wie CO2 und Stickoxide, fehlende Parkplätze – all das sorgt für Stress bei Verkehrsteilnehmern. Der Verkehrsplaner Christoph Hupfer entwickelt und testet Alternativen.

Von Marion Werner

Planet Wissen: Was sind für Sie die Grundbausteine einer neuen Mobilität in der Stadt?

Christoph Hupfer: Wir kommen im Prinzip aus einer mono-modalen Welt: Sie haben ein Verkehrsmittel und das benutzen sie für alles. Optimal wäre aber, dass Sie auch zu Fuß gehen oder das Fahrrad nehmen oder beides miteinander kombinieren. Damit gewinnen Sie zusätzliche Freiheiten. Auf diese Weise können Sie – je nachdem, wie ihr Weg aussieht und wieviel Zeit und Geld Sie zur Verfügung haben – immer das optimale Verkehrsmittel benutzen.

Optimal kann vieles bedeuten:  Es kann das schnellste Verkehrsmittel, das billigste, das lustigste oder auch das effizienteste Verkehrsmittel sein. Wenn Sie dann noch die Verkehrsmittel miteinander verknüpfen, dann erreichen Sie Multi-Modalität. Am besten wäre, wenn Sie sich dann noch von ihrem Privatauto lösen würden und immer dann, wenn Sie ein Auto benötigen, ein Carsharing-Auto benutzen.  Dann sind wir bei der Idee "mobility-as-a-service". Das sind die Zukunftsmodelle, die Erfolg versprechen.

Ein Mann mit einem E-Roller und eine Frau auf einem Fahrrad fahren in der Friedrichstraße in Berlin.

Viele Verkehrsmittel führen zum Ziel

Wie finde ich denn den Zugang zu den verschiedenen Verkehrsmitteln?

Um "mobility-as-a-service" richtig leben zu können, habe ich verschiedene Mobilitäts-Apps auf meinem Handy. Mit einer App kann ich sehen, wie die Busse und Bahnen fahren. Mit einer anderen App kann ich erkennen, wo das nächste Mietfahrrad steht. Und in wieder einer anderen App finde ich das nächste Carsharing-Auto.

Was noch fehlt, ist eine App die alle Mobilitäts-Optionen unter einem Dach verbindet und abrechnet. Trotzdem muss ich nicht warten, um in die Veränderung einzusteigen, weil es ja schon all die anderen Apps gibt.

Für den Raum Karlsruhe sind wir gerade dabei, eine solche App herzustellen – die "Regiomove App". Ein wesentlicher Punkt in dieser App werden die sogenannten Ports sein. Das sind eine Art Mobilitätshubs, bei denen ich Zugang zu verschiedenen Verkehrsmitteln habe. Darüber hinaus sind es aber auch Stationen, an die zum Beispiel meine Einkäufe und Pakete geliefert werden können oder an denen es Beratungsangebote gibt.

Ein Smartphone mit einer Mobilitäts-App.

Mobilitäts-Apps weisen den Weg durch den Verkehrs-Dschungel

Letztlich wird es eine Mischung aus Verkehrsmittelangebot und Aktivitätsangebot sein. Die ersten Pilotports werden im August des nächsten Jahres an den Start gehen.

Wie überzeugt man passionierte Autofahrer, auf das eigene Gefährt zu verzichten?

Ich glaube nicht mit den klassischen, rationalen Argumenten. Da sind viele Argumente einfach verbrannt. Die Argumente, die wir schon kennen – also Flächenverbrauch, Emissionen, Lärm, Störwirkung – haben sich in den letzten Jahren nicht verändert. Die Diskussionen führen wir schon seit Jahrzehnten relativ erfolglos.

Die Fokussierung darauf, dass das Auto schlecht ist und ganz viele Dinge kaputt macht, ist nicht zielführend. Wir müssen das anders adressieren.

Schauen wir uns doch einmal an, was die Rentner und Rentnerinnen machen: Die fahren in den letzten Jahren – anstatt mit ihrem Auto – mit dem Pedelec quer übers Land, um sich Sachen anzuschauen. Das machen sie nicht, um die Welt zu retten. Sie machen das, weil es sie fit und gesund hält und einen anderen Erlebnischarakter hat. Dabei wird ein Zusatznutzen erzeugt. Der heißt nicht "Ich rette die Welt", sondern "Ich habe einen persönlichen Vorteil".

Braucht es ein spezielles Bewusstsein für die Vision der autofreien Städte?

Im Prinzip braucht es die Sehnsucht. Das ist so wie beim kleinen Prinzen. Wenn du ein Schiff bauen willst, dann lehre die Leute nicht, wie man ein Schiff baut, sondern wecke in ihnen die Sehnsucht nach der See. Wir müssen die Menschen dazu bringen, dass sie sich wieder nach mehr Lebensqualität sehnen, nach lebenswerten Städten mit mehr Flächen zum Leben und einem größeren Erlebnisraum.

Das bedeutet auch, wir müssen uns nach flächeneffizienteren Formen der Mobilität umschauen. Denn dort, wo ein Auto steht, kann ich mich nicht mit meinen Freunden treffen, da kann ich nicht Ball spielen, da kann ich kein Straßenfest machen. Wir müssen in den Menschen die Sehnsucht nach einer lebenswerten Stadt hervorrufen, nach mehr Raum.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Tübinger Straße in Stuttgart. Da sitzen Leute inzwischen gemütlich draußen, essen, Kindern springen herum und spielen. Das ist so schön, dass jeder, der das sieht, sehr wahrscheinlich Sehnsucht danach bekommt.

Wenn ich eine lebendige Stadt haben will, dann brauche ich den Raum dazu. Unsere Räume in den Städten sind aber größtenteils tot. Das, was eigentlich die Belebung bringt, findet auf minimalen Restflächen statt. Das hat null Qualitäten. Es geht darum, der Lebendigkeit einen größeren Raum zu geben.

Neben einem Café spielen Straßenmusiker. Kinder sitzen auf dem Trottoir. Erwachsene sitzen gemütlich vor dem Café und hören der Musik zu.

Sehnsucht nach der lebendigen Stadt

Radfahrer können aber auch nerven! Warum fahren so viele auf dem Bürgersteig?

Das Fahrrad hat eine hohe Flexibilität. Sie können mit dem Fahrrad viele Räume nutzen und fast überall fahren. Die Analysen zeigen, dass die Anforderungen sehr niedrig sind und die Flexibilität sehr hoch ist. Sie zeigt aber auch, dass offensichtlich die Räume und die Verkehrsanlagen, die wir haben, nicht das sind, was wir dem Radverkehr anbieten sollten.

Wenn die Radfahrer gute Radwege haben, werden sie keine Lust mehr haben, sich zwischen Mülltonnen und Fußgängern durchzuschlängeln und in Konflikt mit den Fußgängern zu geraten. Wären die Radwege breiter und in guter Qualität, würden die Radfahrer auch auf den Radwegen bleiben, denn die wären dann sicherer, komfortabler und schneller.

Radfahrer fährt auf einem Gehweg zwischen Passanten

Konflikte mit Fußgängern können durch gute Radwege verhindert werden

Heißt das, wir bräuchten auch sicherere Radwege?

Ja. Unsere Infrastruktur ist zum überwiegenden Teil nicht auf die Radfahrer ausgelegt. Die Infrastruktur im Moment geht davon aus, dass es nur einen Typ Radfahrer gibt und nur einen Typ Fahrrad. Aber das ist nicht mehr so; da hat sich in den letzten Jahren vieles geändert.

Die Ansprüche in der Fläche und in dem bequemen Vorankommen haben wir zwar beim Autoverkehr, aber noch nicht beim Radverkehr umgesetzt. Für den Autoverkehr haben wir die verschiedensten Arten von Straßen: Autobahnen, Bundesstraßen, Landstraßen und Hauptverkehrsstraßen. Außerdem gibt es auf den Autoverkehr ausgerichtete grüne Wellen.

Wir haben ganz viele Sachen, damit es der Autoverkehr leicht hat. Natürlich brauchen wir mehr Fläche und direktere Verbindungen für den Radverkehr.

Grundsätzlich müsste einfach viel mehr für die Rad-Infrastruktur getan werden. Rechtsabbiegende LKWs sind schon seit Jahrzehnten ein großes Risiko für Radfahrer. Ich weiß nicht, warum wir dieses Problem nicht lösen, denn die technischen Mittel dafür stehen ja zur Verfügung.

Der LKW-Fahrer sitzt auf der linken Seite relativ weit oben. Dort, wo der Radfahrer sich befindet, ist im LKW der Beifahrersitz und die rechte Tür. Der LKW-Fahrer kann also den Radfahrer gar nicht sehen.

Wir könnten aber die LKWs mit einem Spurwechselassistenten ausrüsten, dann würde im Außenspiegel ein Lämpchen brennen, wenn sich von hinten rechts ein Fahrradfahrer nähert und der Radfahrer würde vom LKW-Fahrer wahrgenommen. Dass dieses Problem nicht angegangen wird, mit dem man Leben retten könnte, dafür gibt es keine Entschuldigung.

Wir brauchen aber auch die Wahrnehmung, dass der Radverkehr etwas Gutes ist – und zwar auch für den Autoverkehr. Jeder, der auf das Fahrrad umsteigt, ist ein Beitrag zur Lösung des Verkehrsproblems, und damit gut für jeden, der auf das Auto angewiesen ist und nicht darauf verzichten kann. Man muss auch bei den Autofahrern das Bewusstsein dafür schärfen, dass der Radverkehr grundsätzlich etwas Gutes ist und die Straßen entlastet.

Fahrradfahrer mit Helm auf Radschnellweg

Schnell und sicher am Ziel – Radschnellwege als neue Infrastruktur

Wünschen sich die Städter denn tatsächlich alle eine Innenstadt ohne Privatautos oder ist das nur eine Idee, die sich junge Phantasten wünschen?

Wenn das junge Menschen sind, die dieser Idee folgen, dann ist das die Zukunft. Genau das muss unsere Zielvorgabe sein: wie die Menschen, die ihr Leben noch vor sich haben, leben möchten.

Prinzipiell greifen die Menschen gerne auf Erfahrungen zurück. Im Hinblick auf die menschengerechte Stadtentwicklung haben wir aber noch nicht viele Erfahrungen, auf die wir zurückgreifen können. Das muss sich erst noch entwickeln. Allerdings zeichnet sich ab: Die Leute, die schon Erfahrungen mit menschengerechten Vierteln/Siedlungen gemacht haben, wollen das auch behalten. Selbst dann, wenn sie vorher dagegen gekämpft haben. Das ist im Prinzip in allen Städten so.

In New York gibt es ein ganz berühmtes Beispiel dafür: den Times Square. Hier wurden – zunächst als Experiment – provisorische Barrieren eingefügt. Das fanden die New Yorker sehr cool, fanden aber auch, dass es mit diesen provisorischen Barrieren nicht gut aussieht. Das war dann der Einstieg in die Umgestaltung des Times Square.

In New York gibt es jetzt seit einiger Zeit Bereiche, in denen die Menschen sich gerne aufhalten. In der Folge haben die New Yorker immer mehr Straßenräume und Plätze für dieses Lebensgefühl zur Verfügung gestellt.

Weltweit ist die Entwicklung hin zu einer menschengerechten Stadt damit verknüpft, dass man zuerst auf Probe positive Erfahrungen macht. Das kann man auf der ganzen Welt beobachten, egal ob in den Niederlanden, in Dänemark oder eben auch in Freiburg oder in Karlsruhe: Die Leute, die diese Erfahrung gemacht haben, lieben es.

Freiburg im Breisgau, autofreie Siedlung Vauban.

Die autofreie Siedlung Vauban in Freiburg

Städte ohne Privatautos, Ausbau des ÖPNV, Radschnellwege und "mobility as a service" – das hört sich alles sehr gut an, aber: Wie soll so eine Verkehrswende denn überhaupt finanziert werden?

Werfen wir dafür einmal einen Blick darauf, wie wir unsere Gelder bislang verwenden und wie effizient das ist. Bis jetzt bauen wir Infrastrukturen, die uns Autoverkehr in die Städte pumpen. Dort aber können wir den Verkehr gar nicht handhaben und wir wollen ihn dort auch gar nicht haben.

Das ist total ineffizient, denn wir können das Verkehrsproblem nicht in den Städten lösen, sondern wir müssen es auf dem Land lösen – eben dadurch, dass nicht mehr so viele Leute mit ihrem Privatauto in die Städte pendeln. An dieser Stelle müssen einfach die Ressourcen anders verteilt werden – auch finanzielle Ressourcen.

Fahrradweg-Zeichen auf dem Pflaster mit gelben Blättern.

Mehr Geld für alternative Verkehrsmittel?

Quelle: SWR | Stand: 18.01.2021, 22:00 Uhr

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