Die neue Lust auf Beton

Von Martina Janning (SWR)

Designer, Künstler und Architekten entdecken den lange verpönten Werkstoff neu  – genauso wie Bastelfans

Menschen wie du und ich. So sehen sie auf den ersten Blick aus. Aber diese Menschen sind aus Beton. Seit Mitte der 1990er Jahre stellt die Künstlerin Christel Lechner ihre "Alltagsmenschen" in Innenstädten und Parks aus. Zu sehen waren sie zum Beispiel schon in Berlin, Bochum und Rheda-Wiedenbrück.

Ob Schalen oder Vasen, Türschilder oder Spielzeug: Selbstgebasteltes aus Beton hat sehr viele Fans. Anregungen und Anleitung finden sie in zahlreichen Büchern und Youtube-Videos. Zwar lässt sich auch normaler Beton zum Basteln anrühren, einfacher geht es aber mit speziellem Kreativbeton. Er ist schon fertig gemischt und leicht zu verarbeiten. Allerdings kostet er mehr als der herkömmliche Beton.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden hunderte Betonkirchen in Europa. Viele dieser Gotteshäuser wurden inzwischen wieder abgerissen. Die Kirche St. Agnes in Berlin-Kreuzberg hingegen wurde behutsam umgebaut und ist seit 2002 Sitz der Galerie von Johann König.

Auslöser für den sakralen Betonboom in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die 1955 eingeweihte Kapelle Notre-Dame-du-Haut in der französischen Gemeinde Ronchamp. Sie wurde vom Architekten Le Corbusier erbaut. Seit Mitte 2016 zählt die Kapelle zum Weltkulturerbe der UNESCO.

Dieses Haus gilt als Vorbild für die jungen Brutalisten: die Unité d’Habitation in Marseille. Der Begriff Béton Brut stammt von seinem Architekten Le Corbusier und entstand aus einer Not: Da die vielen Baufirmen auf der Baustelle unmöglich zu überwachen waren, wurden nicht alle Betonteile so glatt, wie es beabsichtigt gewesen war. Le Corbusier erhob den Makel zum innovativen Stil -– den rauen Sichtbeton. Gebäude mit geglättetem Sichtbeton gab es seit Jahrzehnten, aber der bewusst grobe Gebrauch war neu. Die Unité d’Habitation in Marseille wurde 1952 fertiggestellt.

Ein Hingucker: Der ehemalige Sitz des Verkehrsministeriums in Tiflis/Georgien, erbaut Mitte der 1970er Jahre. Das Gebäude ist ein populärer Vertreter des Brutalismus, das in vielen Büchern über sowjetische Architektur abgebildet ist. Nachdem das Haus zehn Jahre leer gestanden hatte, machte es die Bank of Georgia 2010 zu ihrem Verwaltungssitz. Seit 2007 steht das Bauwerk unter Denkmalschutz.

Die Berliner nennen das Gebäude "Mäusebunker", denn hier hatte die Freie Universität Berlin ihre Labore für Tierversuche untergebracht. Das Gebäude aus der Architekturgattung Brutalismus ist stark sanierungsbedürftig und mit Asbest belastet; seit 2010 wird sein Abriss diskutiert. Die Initiative #SOSBRUTALISM führt den "Mäusebunker" deshalb als bedrohtes Objekt auf seiner Website.

Im Plattenbau wohnen? Das war lange verpönt. Wer es sich leisten konnte, zog fort. Das hat nicht nur die Wohnungsnot in den Großstädten geändert. Unter Retrobegeisterten gilt das Wohnen in der Original-Platte mittlerweile als schick. Aber auch modernisierte Plattenbauten bieten zahlreichen Menschen attraktiven Wohnraum. Das Foto zeigt alte Plattenbauten aus der DDR-Zeit am Alexanderplatz in Berlin, aufgenommen im März 2017.

Möbel aus einem neuartigen Beton. Beim Carbonbeton werden hauchdünne Kohlestofffasern gewebt und der Stoff anschließend mit Beton übergossen. Das fertige Material ist viel leichter als Stahlbeton, langlebiger und lässt sich sehr flexibel formen. Möbel aus Carbonbeton eignen sich für drinnen und draußen.

Moderne Architektur ist ohne Beton undenkbar. Der Werkstoff lässt sich in fast jede Form bringen und ermöglicht spektakuläre Bauten wie das "Pierres Vives" in Montpellier/Frankreich, ein Verwaltungsgebäude mit Büros, Bibliothek und Sporteinrichtungen. Der Bau stammt vom Team um Stararchitektin Zaha Hadid und wurde 2012 eingeweiht.

Stand: 28.09.2020, 10:19 Uhr

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