Die deutsche Wiedervereinigung

Planet Wissen 11.05.2023 01:41 Min. UT Verfügbar bis 13.10.2027 WDR Von Robert Schotter, Claudio Como

Deutsche Geschichte

Mauerfall und deutsche Wiedervereinigung

Am 9. November 1989 öffnete sich die Berliner Mauer und mit ihr die Grenze zwischen Deutschland und Deutschland. Doch wie sollten die beiden deutschen Staaten BRD und DDR nach 40 Jahren Teilung wieder zusammengeführt werden? Der Weg bis zur deutschen Einheit war schwierig.

Von Carsten Günther

Massenauswanderung aus der DDR

Als Folge des Zweiten Weltkriegs war Deutschland ab 1949 rund 40 Jahre lang in zwei Staaten aufgeteilt: in die Deutsche Demokratische Republik (DDR) im Osten und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) im Westen. Zwischen beiden Staaten lag die so genannte "innerdeutsche Grenze" oder "deutsch-deutsche Grenze", zu der auch die Berliner Mauer gehörte. Wer aus dem Osten in den Westen wollte oder umgekehrt, brauchte eine besondere Genehmigung – die allerdings meist schwierig zu bekommen war.

Gegen Ende der 1980er-Jahre waren viele DDR-Bürger zunehmend unzufrieden mit dem Leben in der DDR und fühlten sich eingeschränkt in ihrer Freiheit. Im Sommer 1989 flohen viele von ihnen aus der DDR in den Westen – alleine im Juli und August waren es mehr als 50.000 Menschen.

Da die Grenze zur Bundesrepublik Deutschland noch immer geschlossen war, reisten viele von ihnen nach Ungarn, denn die Grenzanlagen zwischen Ungarn und Österreich waren zum Teil schon entfernt worden. Am 19. August 1989 fand an der ungarisch-österreichischen Grenze ein sogenanntes "Paneuropäisches Picknick" statt ("paneuropäisch" = das gesamte Europa betreffend). Als dabei für rund drei Stunden ein Grenztor geöffnet wurde, nutzten etwa 700 DDR-Bürger die Gelegenheit zur Flucht.

Menschen flüchten durch einen geöffneten Grenzzaun von Ungarn nach Österreich

DDR-Bürger an der ungarisch-österreichischen Grenze

Andere Ostdeutsche suchten Zuflucht in den Botschaften der Bundesrepublik Deutschland, etwa in Warschau, Prag und Budapest. Dort konnten sie von der DDR-Polizei und auch von der tschechoslowakischen Polizei nicht verhaftet werden.

Auf dem Botschaftsgelände in Prag versammelten sich bis September 1989 rund 4.000 Menschen. Sie lagerten zum größten Teil im Garten, unter sehr schlechten hygienischen Bedingungen. Am 30. September 1989 kam der westdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) in die Botschaft und verkündete, dass sie in die Bundesrepublik ausreisen durften. Seine Ansprache ging in großem Jubel unter. Später sagte Genscher, dies sei für ihn der glücklichste Moment in seiner gesamten politischen Arbeit gewesen.

Hans-Dietrich Genscher in der Prager Botschaft

"Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise..."

Montagsdemonstrationen

Auch unter den Ostdeutschen, die im Land bleiben wollten, wuchs die Unzufriedenheit. Im September 1989 begannen in der DDR die sogenannten "Montagsdemonstrationen". In mehreren Städten brachten die DDR-Bürger ihre Kritik an den politischen Verhältnissen zum Ausdruck. Auf ihren Transparenten stand zum Beispiel "Für ein offenes Land mit freien Menschen" oder "Wir fordern freie Wahlen".

Am 9. Oktober 1989 zogen rund 70.000 Menschen durch die Leipziger Innenstadt. Ihr Ruf "Wir sind das Volk!" wurde zum Slogan für die friedliche Revolution in der DDR. Eine weitere Forderung war "Keine Gewalt!", denn niemand wusste damals, ob die DDR-Regierung die Proteste nicht gewaltsam niederschlagen würde.

Die Regierung lehnte politische Veränderungen zunächst ab und nahm mehrere Demonstrierende fest. Doch schließlich musste sie unter dem großen Druck der Massen nachgeben.

In einer Menge von Demonstrierenden ist ein Transparent zu sehen mit der Aufschrift: "Wir sind das Volk und fordern: Weg mit dem Führungsanspruch der SED – Freie Wahlen!"

Bei den Montagsdemonstrationen in der DDR protestierten Zehntausende

Der Fall der Berliner Mauer

Am Abend des 9. November 1989 passierte etwas, das die deutsche Geschichte für immer veränderte. Auf einer Pressekonferenz verlas Günter Schabowski von der regierenden Sozialistischen Deutschen Einheitspartei (SED) einen Zettel, auf dem die Erlaubnis zum freien Reisen ins Ausland angekündigt wurde. Allerdings ging daraus nicht hervor, ab wann diese neue Regelung in Kraft treten sollte. Auf die Nachfrage eines Journalisten antwortete Schabowski, die Regelung gelte "sofort, unverzüglich".

Noch am selben Abend strömten Tausende von Menschen an die Berliner Grenzübergänge. Die Grenzangestellten waren überfordert und öffneten schließlich die Schlagbäume, obwohl sie offiziell keine Anweisung dafür bekommen hatten.

Ein Trabant fährt an jubelnden Menschen vorbei

Jubel an den Grenzübergängen

Viele Menschen brachen in Tränen aus, weil sie zum ersten Mal nach vielen Jahren ihre Verwandten im anderen Teil Deutschlands treffen konnten. Andere liefen überwältigt durch die Straßen von West-Berlin, die sie bisher nur von Fotos oder aus dem Fernsehen kannten. In den folgenden Wochen bestimmten die so genannten "Mauerspechte" das Bild der Stadt – Berliner und Touristen, die mit dem Hammer Stücke aus der Mauer als Souvenir herausschlugen.

Bis heute gilt es vielen Menschen als ein Wunder, dass die jahrzehntelange Teilung Deutschlands mit der Maueröffnung friedlich und ohne Blutvergießen beendet wurde.

Bald begannen die Diskussionen, was nun mit den beiden deutschen Staaten passieren sollte. Eine Wiedervereinigung schien noch in weiter Ferne zu liegen – und es war noch unklar, ob die Menschen dies überhaupt wollten. Zu unterschiedlich waren die politischen Systeme und die Lebensbedingungen in DDR und BRD.

Menschen stehen auf der Berliner Mauer und ziehen andere mit nach oben

Die Berliner Mauer in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989

Der Sturm auf die Stasi-Zentrale

Ende November 1989 stellte Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im Bundestag einen Zehn-Punkte-Plan vor, an dessen Ende die Einheit Deutschlands stehen sollte. Doch der Weg dahin war weit und kompliziert.

In der DDR bildeten mehrere Bürgerrechtsgruppen zusammen mit der DDR-Regierung einen "Runden Tisch", der bis Frühjahr 1990 die Politik der DDR mitgestaltete. Dabei ging es auch um die Zukunft des "Ministeriums für Staatssicherheit", kurz "Stasi" genannt.

Die Stasi hatte jahrzehntelang die Menschen in der DDR bespitzelt und überwacht. Am 15. Januar 1990 stürmten rund 2000 Demonstranten das Stasi-Hauptquartier in Ost-Berlin, um zu verhindern, dass wichtige Unterlagen in letzter Minute noch vernichtet wurden. Viele Dokumente zu den Aktivitäten der Stasi konnten so gerettet werden.

Mehrere Menschen stehen vor geöffneten Schränken des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit und blättern in Akten

DDR-Bürger in der Stasi-Zentrale

Zu dieser Zeit gab es noch immer zwei deutsche Staaten mit eigenen Parlamenten und Regierungen. Am 18. März 1990 wählten die DDR-Bürger die Volkskammer, das Parlament der DDR. Es wurde die einzige freie Wahl in der Geschichte der DDR, denn bei den bisherigen Wahlen waren nur sozialistische Parteien zugelassen gewesen. Die CDU wurde mit 40,8 Prozent überragender Wahlsieger, gefolgt von der SPD mit 21,9 Prozent.

Zwei-plus-Vier-Verhandlungen – der Weg zur Einheit

Die beiden deutschen Staaten konnten nicht alleine über ihre Zukunft bestimmen. Die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges – die USA, die Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich – durften mitentscheiden. Denn sie hatten durch das Potsdamer Abkommen von 1945 immer noch Hoheitsrechte über Deutschland. Daher begannen im Mai 1990 die so genannten "Zwei-plus-Vier-Verhandlungen": zwei deutsche Staaten plus vier Siegermächte.

Es gab viele Punkte zu besprechen. Besonders in Frankreich und Großbritannien waren die Vorbehalte gegen ein geeintes Deutschland groß, da sie eine deutsche Übermacht in Europa befürchteten. Die Sowjetunion forderte zunächst, dass ein geeintes Deutschland militärisch neutral sein sollte – also weder zum westlichen Militärbündnis Nato noch zum Ostblock-Bündnis des Warschauer Pakts gehören sollte.

Außerdem waren die Grenzen Deutschlands ein Thema, etwa die Grenze zwischen Deutschland und Polen, genannt die "Oder-Neiße-Linie".

Im August 1990 beschloss die DDR-Volkskammer den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland. Kurz darauf, am 12. September 1990, unterschrieben die beteiligten Staaten den "Zwei-plus-Vier-Vertrag". Damit erhielt das geeinte Deutschland von den vier ehemaligen Siegermächten die volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten zugesprochen, das heißt, das Land darf seitdem uneingeschränkt über seine eigene Politik entscheiden.

Am 3. Oktober 1990 wurde in Berlin die deutsche Einheit mit einer großen Feier vor dem Reichstagsgebäude vollzogen. Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte dazu: "Die Einheit Deutschlands ist vollendet. Wir sind uns unserer Verantwortung vor Gott und den Menschen bewusst. Wir wollen in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen." Seitdem ist der 3. Oktober als "Tag der Deutschen Einheit" ein Feiertag.

In einer Menschenmenge vor dem Brandenburger Tor steht auf einem Schild: "West und Ost gemeinsam. Zukunft für Deutschland und Europa"

Am 3. Oktober 1990 hatte die jahrzehntelange Teilung Deutschlands ein Ende

(Erstveröffentlichung 2023. Letzte Aktualisierung 23.01.2023)

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Quelle: WDR

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