Gescheiterte Revolution: Der Aufstand vom 17. Juni 1953 WDR ZeitZeichen 17.06.2023 14:55 Min. Verfügbar bis 17.06.2099 WDR 5


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Geteilte Stadt Berlin

17. Juni 1953 – Arbeiteraufstand in der DDR

1953 erlebte die DDR ihre erste große Erschütterung: Ein Streik der Bauarbeiter in der Ost-Berliner Stalinallee wurde zum landesweiten Aufstand. In Hunderten Orten wurde gestreikt und demonstriert. Die DDR-Führung ließ den Protest schließlich von sowjetischen Truppen niederschlagen.

Von Sabine Kaufmann

Oberstes Ziel: Die Normerfüllung

Wirtschaftliches Grundprinzip in der DDR war die zentrale Planung der Produktion und der Verteilung der Güter. Die Produktionsmittel und das Banksystem befanden sich in Staatshand. Entscheidend für die Lenkung der Wirtschaft waren die Vierjahrespläne.

Die Betriebe erhielten Auflagen, welche Güter in welchen Mengen zu welchen Preisen produziert werden sollten. Der Konsumder Bevölkerung wurde dann der Produktion untergeordnet.

Oberstes Ziel war die Erfüllung der in den Plänen festgelegten Normen. Die Bürokratie, die die Volkswirtschaft koordinieren sollte, sollte sich später als aufgeblasen und höchst uneffektiv entpuppen.

Den Erfolg der Sollerfüllung prüfte die Planungsbehörde in regelmäßigen Abständen. Vielerorts gab es Abstimmungsprobleme zwischen den Zulieferern und den verarbeitenden Betrieben. Häufig geriet die Produktion ins Stocken, weil es an finanziellen Mitteln oder Güterzuteilungen fehlte. Nicht selten kam es zu Versorgungsengpässen, Mangel herrschte vor allem an Konsumgütern für die Bevölkerung.

Ökonomische Hintergründe des Volksaufstands

Der Volksaufstand in der DDR lässt sich nicht zuletzt auf wirtschaftliche Gründe zurückführen. Während der zweiten Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) vom 9. bis zum 12. Juli 1952 wurden die wirtschaftlichen Weichenstellungen des Landes beschlossen.

In seinem Abschlussreferat verkündete der SED-Generalsekretär Walter Ulbricht den planmäßigen Aufbau des Sozialismus. Es wurden tiefgreifende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft beschlossen.

Walter Ulbricht am Schreibtisch

Ulbricht verkündete den planmäßigen Aufbau des Sozialismus

Unter anderem sollte die Kollektivierung der Landwirtschaft vorangetrieben und die militärische Aufrüstung in Angriff genommen werden. Auch die Zentralisierung des Staatsaufbaus war ein vorrangiges Ziel der DDR-Führung.

Noch im Juli 1952 wurden die Länder in der DDR aufgelöst und durch 14 Bezirke ersetzt. Der Beschluss zum Aufbau des Sozialismus war zuvor Stalin vom Politbüro der SED vorgelegt und vom Führer der Sowjetmacht am 8. Juli gebilligt worden.

Die Zuspitzung der Krise

Die Folgen der immer stärker vorangetriebenen Sowjetisierung waren eine schwere Ernährungskrise und ein Rückgang der industriellen Produktion. Viele Bürgerinnen und Bürger verließen daraufhin die DDR. Die tiefen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einschnitte, die das Land erschütterten, waren nicht mehr zu leugnen.

Innerhalb der DDR-Führung aber reagierte man mit noch härteren wirtschaftlichen Maßnahmen darauf: Im Mai 1953 wurde das Gesetz zur Erhöhung der Arbeitsnormen um 10,3 Prozent verabschiedet. De Facto bedeuteten diese Beschlüsse mehr Arbeit für den Einzelnen bei gleichbleibender Entlohnung.

Walter Ulbricht war von der Richtigkeit des politischen Kurses in der DDR überzeugt. Er schätzte die Lage sogar als stabil ein. Doch schon im Mai kam es wegen der Normerhöhungen in Finsterwalde, Gotha, Hennigsdorf, Karl-Marx-Stadt, Nordhausen und Ost-Berlin zu Protesten, heftigen Auseinandersetzungen, Kurzstreiks und Arbeitsniederlegungen.

Schwarzweiß-Bild: Demonstrierende Menschen auf der Straße.

Die Arbeiter demonstrierten auf der Straße

Moskau reagiert

In Moskau blieb die Krise in der DDR nicht unbemerkt. Das Politbüro der SED wurde zu einem einmaligen Schuldeingeständnis und zu einem neuen Kurs gezwungen. Am 11. Juni 1953 versprach es, die Preise zu senken, die Versorgung zu verbessern, die Kollektivierung der Landwirtschaft zu beenden und enteignete Betriebe zurückzugeben.

Außerdem sollten zurückkehrende Republikflüchtige ihre vollen Bürgerrechte zurückerhalten. Ihnen wurde sogar die vollständige Wiedereingliederung in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben versprochen. Die Erhöhung der Arbeitsnorm sollte nach dem Willen der DDR-Führung jedoch nicht rückgängig gemacht werden.

Regierungswechsel gefordert

Vor allem die Arbeiter fühlten sich durch diese Politik benachteiligt. Bereits am 15. und 16. Juni 1953 kam es zu Protesten und Warnstreiks. Unruheherd waren die Großbaustellen in Ost-Berlin rund um die Stalinallee.

Aber schon bald wurde nicht nur die Rücknahme der Normenerhöhung gefordert, die Arbeiterschaft setzte sich jetzt auch für freie Wahlen, die Wiedervereinigung und die Ablösung der Regierung unter Walter Ulbricht ein. Am nächsten Tag wurden die Demonstrationen fortgeführt.

Die Aufstände griffen auf die gesamte DDR über: In Hunderten Orten wurde gestreikt und demonstriert. Schätzungsweise beteiligte sich jeder zehnte Arbeiter der DDR. Die SED-Führung war hilflos und ließ den Aufstand schließlich von sowjetischen Truppen niederschlagen.

Schwarzweiß-Foto eines Panzers, der einer Menschenmenge gegenübersteht.

Russische Truppen beenden den Aufstand

Mindestens 55 Menschen kamen nach Recherchen des Projekts "17. Juni 1953" im Zusammenhang des Aufstandes ums Leben: Manche wurden auf den Demonstrationen von Volkspolizisten oder sowjetischen Soldaten erschossen, manche nach dem Aufstand zum Tode verurteilt, andere starben später im Gefängnis. Um nicht einen neuen Krieg zu riskieren, hatten – entgegen der Hoffnungen vieler Ost-Berliner – die Westmächte nicht eingegriffen.

Quelle: SWR | Stand: 20.09.2019, 13:50 Uhr

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