Verbrechen

Irisch-Republikanische Armee IRA

90 Jahre lang wollte die Terrorgruppe "Irisch-Republikanische Armee" (IRA) Irlands Unabhängigkeit von Großbritannien mit Gewalt durchsetzen. Seit 2005 schweigen offiziell die Waffen. Dennoch brodelt der Konflikt weiter.

Von Beatrix von Kalben

"Junge Männer Irlands" – eine typische Terrororganisation

Die nordirische "Irish Republican Army" (zu deutsch Irisch-Republikanische Armee, kurz IRA) gehört zu den bekanntesten paramilitärischen Gruppen. Damit sind nicht-staatlich organisierte Gruppierungen gemeint, die ihre Ziele außergesetzlich mit Gewalt durchsetzen. Der gälische Begriff für die IRA lautet "Oglaigh na Eireann", was soviel wie "Junge Männer Irlands" bedeutet.

Ziel der IRA ist die Loslösung Nordirlands von Großbritannien und die Vereinigung mit der Republik Irland, dem Süden der Insel. Um diese Ziele zu verwirklichen, nutzte die IRA bis zu ihrem offiziellen Waffenstillstand am 28. Juli 2005 die typischen Methoden einer Terrororganisation.

Das Wort "Terrorismus" kommt aus dem Lateinischen. "Terror" bedeutet Furcht, Schrecken. So richtet sich Terrorismus mit planmäßig vorbereiteten Gewaltanschlägen aus dem Untergrund gegen eine politische Ordnung. Mit diesen Aktionen soll sowohl Unsicherheit und Schrecken verbreitet als auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugt werden.

Gewalt – die Sprache der Terroristen | Bildquelle: afp

Wurzeln des Nordirlandkonflikts

Die Existenz der 1916 erstmals schriftlich erwähnten IRA basiert auf den machtpolitischen und religiösen Konflikten zwischen Irland und dem Königreich Großbritannien, die im 12. Jahrhundert ihren Anfang nahmen.

Durch den militärischen Vorstoß auf die Nachbarinsel Irland wollte der englische König Heinrich II. (Regierungszeit 1154-1189) die ungeschützte Westflanke seines Reiches sichern. Von da an war England bestrebt, seine Macht dauerhaft in Irland zu etablieren. Den Durchbruch schaffte erst Heinrich VIII. (1509-1547), der sich selbst im Jahre 1541 zum König von Irland krönte.

Um die Aufstände der vorwiegend katholischen Iren gegen die englische Herrschaft zu unterdrücken, begann die Krone ab 1609 mit der systematischen Besiedelung Irlands mit protestantischen Gefolgsleuten aus England und Schottland.

Diese als "Plantation" bezeichnete Besiedelung führte zur Enteignung der irischen Bevölkerung zugunsten der neuen Siedler. Hier liegt der Grundstein für die sich in den folgenden Jahrhunderten fortsetzenden blutigen Kriege, in denen Iren für ihre Freiheit von England kämpften.

Heinrich VIII. krönte sich selbst zum König von Irland | Bildquelle: gemeinfrei

Gründung der IRA

Im 19. Jahrhundert bildeten sich mit dem Erstarken des Nationalismus in Europa auch in Irland nationalistische Gruppierungen. Mit der "Home Rule"-Bewegung traten sie für ein selbstverwaltetes Irland ein.

Die Autonomiebestrebungen scheiterten jedoch bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges mehrmals am massiven Widerstand der Protestanten – im britischen Parlament und in Irland selbst.

Noch während des Krieges unternahmen die Führer der revolutionären Irish Republican Brotherhood einen neuen Anlauf und initiierten am Ostersonntag 1916 in Dublin einen Aufstand, der jedoch von britischen Truppen blutig niedergeschlagen wurde.

Die Anführer des Osteraufstandes wurden hingerichtet. In diesen Tagen gründete sich die IRA aus einem Zusammenschluss der aufständischen Gruppierungen Irish Volunteers und der gewerkschaftlich orientierten Miliz Irish Citizens Army.

Nach weiteren Kämpfen 1919 und 1920 kam es im Dezember 1921 mit dem Unabhängigkeitsvertrag zur Teilung Irlands. Darin erhielt der südliche Teil Irlands den Status eines Freistaats innerhalb Großbritanniens.

Die irischen Rebellen waren nicht zimperlich | Bildquelle: mauritius images

1937 gab sich Irland eine neue Verfassung, 1949 folgte die offizielle Proklamation der Republik Irland. Die sechs nordirischen Grafschaften jedoch blieben Teil des Vereinigten Königreiches.

Durch die Teilung wurde die Situation einer doppelten Minderheit zementiert. Bis heute bilden in ganz Irland die Protestanten zwar die Minderheit, in Nordirland hingegen sind die Katholiken in der Minderheit.

Den Katholiken wurde hier über Jahre die politische Teilhabe verweigert. Es gab für sie wenig Möglichkeiten im öffentlichen Dienst unterzukommen, auch waren sie steuerlich zum Teil schlechter gestellt als die Protestanten.

Diese Situation einer benachteiligten Minderheit lieferte der IRA die Hauptmotivation für ihre Anschläge. Vor allem während der Bürgerrechtsbewegung Ende der 1960er Jahre und Anfang der 1970er Jahre in Nordirland erhielt die IRA Rückhalt von großen Teilen der katholischen Bevölkerung.

Wegen der offenen Gewalt und Verfolgung, die den Katholiken in Nordirland entgegenschlug, genoss die IRA sogar den Status einer Schutzmacht. Mit der Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Situation der Katholiken nahm die Unterstützung des IRA-Terrorismus ab.

Katholische Nationalisten gegen protestantische Unionisten

Obwohl der Nordirlandkonflikt also keinen religiösen, sondern eher einen politisch-wirtschaftlichen Hintergrund hat, stehen sich im Wesentlichen zwei konfessionelle Parteien gegenüber: die irisch-nationalistische und katholische Seite sowie die unionistische, loyalistische und protestantische Seite.

Die Nationalisten streben eine Loslösung von Großbritannien und eine Vereinigung mit der Republik Irland im Süden der Insel an. Zu den Verfechtern dieser Position gehört die 1905 gegründete Partei Sinn Féin.

In Nordirland ist sie seit 2005 unter den katholischen Bewohnern die stärkste Partei. In der Republik Irland ist sie seit 1997 im Parlament vertreten. Die Sinn Féin wurde oft als politischer Arm der IRA bezeichnet.

Von der konfessionellen Zusammensetzung ihrer Mitgliederstruktur – Protestanten bilden die Ausnahme von der Regel – ist die IRA also eine katholische Untergrundorganisation. Sie ist aber antiklerikal orientiert. Dem Katholizismus fühlt sich die IRA nur kulturell und als Teil der irischen Identität verbunden.

Die protestantischen Unionisten wollen Teil des Britischen Königreiches bleiben. Auch hier wird mit Gewalt versucht, die Ziele durchzusetzen. So ist die Ulster Defence Association die wichtigste protestantische Terrororganisation. Eine weitere Terrorgruppierung ist die Ulster Volunteer Force.

Die Bombenanschläge der IRA haben sich sehr häufig gegen Ziele mit hohem Symbolgehalt wie religiöse Orte oder Regierungsgebäude gerichtet.

Auch vor sogenannten weichen Zielen, Plätzen des öffentlichen Lebens, die nur schwer geschützt werden können, wurde nicht halt gemacht. So explodierten Bomben in U-Bahn-Stationen, an Verkehrsknotenpunkten, in Restaurants oder Theatern.

Über diese Gewalt hinaus versuchten die IRA und ihre Anhänger durch Hungerstreiks, die zum Teil tödlich endeten, politisches Gewicht für ihre Forderungen zu erlangen. Der an viele Häuserwände in Irland geschmierte Buchstabe H für Hungerstreik erinnert daran.

Hungerstreiks endeten oft tödlich | Bildquelle: dpa

Trotz Waffenruhe – der Konflikt geht weiter

Im Rest Europas ist die Rolle der IRA schwer nachzuvollziehen. Obwohl Tausende von unbeteiligten Menschen durch ihre Bombenanschläge ums Leben gekommen sind, stehen auf der Grünen Insel immer noch Sympathisanten hinter der IRA. Der Konflikt zwischen den katholischen Nationalisten und den protestantischen Unionisten brodelt weiter.

Ein erster Waffenstillstand der IRA 1994 wurde von den protestantischen Bewegungen nie anerkannt. Im Juli 2005 wurden die Waffen auf Anordnung der IRA-Führung erneut niedergelegt. Alle Anhänger sollten mit ausschließlich friedlichen Mitteln die Entwicklung von politischen und demokratischen Programmen unterstützen. Die Ruhe hielt sieben Monate.

2006 lieferten sich mehrere hundert IRA-Anhänger in Dublin Straßenschlachten mit der Polizei. Sie verhinderten damit eine von der irischen Regierung als Geste der Versöhnung genehmigte Kundgebung pro-britischer Protestanten, die durch Anschläge der IRA Angehörige verloren hatten. Die IRA-Anhänger bewarfen die Polizisten mit Flaschen, Steinen und Feuerwerkskörpern. Mehr als 25 Menschen wurden verletzt. Es waren die schlimmsten Ausschreitungen seit Jahrzehnten.

Neue Hoffnung gab es Anfang 2007, als die IRA wieder offiziell ihre Waffen niederlegte. Seit diesem Jahr bilden Sinn Féin und die protestantische Democratic Unionist Party (DUP) eine gemeinsame autonome Regierung für die Provinz.

2009 gab es allerdings wieder Anschläge von IRA-Splittergruppen: Mitglieder der "Wahren IRA" ("Real IRA") erschossen in einer Kaserne nordwestlich von Belfast zwei Soldaten und verletzten vier weitere Menschen. Zwei Tage später erschossen Anhänger der "Fortdauernden IRA" ("Continuity IRA") einen Polizisten in Craigavon.

Die protestantischen paramilitärischen Terrorgruppen Ulster Volunteer Force (UVF), Red Hand Commando (RHC) und Ulster Defence Association (UDA) verkündeten dagegen unerwartet die Zerstörung aller ihrer Waffen.

Auch in den Jahren danach kam es hin und wieder zu Ausschreitungen. Ab 2016 sorgten die Brexit-Verhandlungen für neues Konfliktpotenzial durch die Sorge, dass ein ungeregelter Ausstieg Großbritanniens aus der EU für eine neue harte Grenze mitten auf der irischen Insel sorgen würde.

Die protestantischen Gruppen haben ihre Waffen abgegeben | Bildquelle: Imago/Stefan Schmidbauer

(Erstveröffentlichung: 2006. Letzte Aktualisierung: 12.06.2020)