Afghanistan: Schäfer auf der Weide

Naher und Mittlerer Osten

Afghanistan

In Afghanistan herrscht Krieg, nicht erst seit dem Kampf gegen das Taliban-Regime 2001. In den vergangenen 40 Jahren wurde die halbe Bevölkerung vertrieben, ein Drittel floh ins Ausland, und mehr als eine Million Menschen wurde bei Kämpfen getötet.

Von Kerstin Zeter und Martina Frietsch

Landeskunde

Afghanistan ist flächenmäßig doppelt so groß wie Deutschland, jedoch leben dort nur etwa 35 Millionen Menschen. Drei Viertel der Bevölkerung wohnen auf dem Land, nur 25 Prozent in den Städten.

Großstädte gibt es nur wenige: Die Hauptstadt Kabul hat mehr als vier Millionen Einwohner, die Städte Herat, Kandahar, Mazar-e-Scharif, Dschalalabad und Kunduz jeweils mehr als 100.000.

Etwa drei Viertel des Landes bestehen aus schwer zugänglichen Gebirgen. Die Klimazonen entsprechen denen vom kalten Skandinavien bis zur sengenden Hitze der Sahara. Es gibt ständig Wassermangel und gleichzeitig Überschwemmungen.

Afghanistan ist ein Vielvölkerstaat mit vier dominierenden Stämmen. Die Paschtunen (übersetzt die "Afghanen", also Namensgeber des Landes) sind mit 42 Prozent die größte Ethnie. Sie leben im Süden, Westen und Osten. Im Norden leben die Tadschiken (rund 27 Prozent), die Turkvölker der Usbeken (neun Prozent) und die Turkmenen, im Zentrum Afghanistans haben sich die schiitischen Hazara niedergelassen (neun Prozent).

Magnet für Invasoren

Afghanistan ist eingeschlossen von sechs Ländern und ohne Zugang zum Meer, doch gerade seine geografische Lage macht die Region strategisch interessant. Von hier aus lässt sich der fragile und nuklear bewaffnete Nachbar Pakistan mit seinen extremistischen Gruppen beobachten.

Im Westen befindet sich der ölreiche Mullah-Staat Iran, der dabei ist, zur Nuklearmacht aufzusteigen. Im Osten der ebenfalls atomar gerüstete Wirtschaftsriese China. Nördlich schließen sich die zentralasiatischen Republiken mit ihren gigantischen Gas- und Ölvorkommen an, welche durch Afghanistan zum Indischen Ozean und zum Arabischen Meer geleitet werden könnten.

Ohne Afghanistan kann man ganz wenig in diesem Raum machen – mit dem Land könnte man eine Menge erreichen.

Ein alter asiatischer Spruch lautet: "Wenn Gott eine Nation bestrafen will, dann lässt er sie in Afghanistan einmarschieren." Und tatsächlich: Afghanistan erlebte im Laufe seiner Geschichte immer wieder Invasionen.

1838 stritten sich bereits die russischen und britischen Kolonialmächte um das strategisch wichtige Land, über das man einen Zugang zum Indischen Ozean erreichen wollte – eine wichtige Handelsroute.

Es folgten drei blutige anglo-afghanische Kriege, die mit einer Niederlage für die Briten und 1919 mit der Unabhängigkeit für Afghanistan endeten. Seit dem ersten britisch-afghanischen Krieg heißt die Gegend "Graveyard of the Empires" – Friedhof der Großmächte.

Karte mit Afghanistan und angrenzenden Staaten

Seine geographische Lage macht das Land strategisch interessant

Scheitern der Sowjetunion und die Folgen

Auch die Sowjetunion bekam das zu spüren. Sie unterstützte Ende 1979 die afghanischen Kommunisten, die sich eher schlecht als recht seit 1978 an der Macht hielten.

Durch die Entsendung sowjetischer Truppen nach Afghanistan internationalisierte sich die Auseinandersetzung. Sie wurde zu einem Krieg zwischen den Sowjets und ihren afghanischen Verbündeten auf der einen Seite und Mudschaheddin-Gruppen – die von den USA militärisch und finanziell unterstützt wurden – auf der anderen Seite.

Die sowjetischen Truppen, die bis zu 100.000 Mann stark waren, scheiterten nach zehn Jahren in Afghanistan. 1989 zogen die letzten sowjetischen Soldaten ab.

Aufnahme von sowjetischen Truppen

Ende 1979 kam die Sowjetunion den afghanischen Kommunisten zu Hilfe

Doch am Hindukusch wollte kein Frieden einkehren. Im April 1992 beseitigten die Mudschaheddin mit dem Sturz der kommunistischen Regierung unter Präsident Nadschibullah auch den letzten sowjetischen Einfluss. Auch die Amerikaner ließen ihre Geheimdienst-Aktivitäten ruhen, und die Gelder für Afghanistan wurden gestoppt.

Der Rückzug der Sowjetunion und auch das Ende des US-amerikanischen Engagements hinterließen ein Machtvakuum. Nach Nadschibullahs Sturz geriet der Machtkampf zwischen den nunmehr zerstrittenen Mudschaheddin-Gruppen des ehemaligen afghanischen Widerstandes außer Kontrolle.

Viele Gebiete des Landes verfielen in Anarchie und gelangten unter die Kontrolle sogenannter Warlords. Plünderungen, Vergewaltigungen und andere Gewalttaten waren an der Tagesordnung. Was folgte, waren jahrelange ethnische Konflikte unter den verschiedenen Mudschaheddin. Es herrschten grauenhafte Zustände, kaum einer traute sich noch aus dem Haus – jahrelang.

Herrschaft der Taliban

In dieser Zeit gründete sich die radikalislamische Terror-Organisation Taliban unter Mullah Omar im Süden des Landes, in der Nähe Kandahars. Ihre Gründung wurde von Pakistan und den USA finanziell und materiell unterstützt. Unter strenger Auslegung der Scharia sorgten sie für Ordnung, wo es schon lange keine mehr gab.

Sie nahmen auch Jihadisten aus aller Welt in Afghanistan auf. Zunächst wurden die Taliban vom Großteil der Bevölkerung Afghanistans willkommen geheißen. Schnell marschierten sie voran und nahmen bereits 1996 die Hauptstadt Kabul ein.

Aber mit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan begann für die Bevölkerung ein Schreckensregime, das sie nahezu ins Mittelalter zurückwarf. Das Land geriet international ins Abseits, Handel und Wirtschaft kamen zum Erliegen, und die Bevölkerung litt unter Hunger und Krankheit.

Zusätzlich hatten der international gesuchte Top-Terrorist Osama Bin Laden und seine Terrororganisation Al Qaida Unterschlupf in Afghanistan gefunden. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 wurde das Land aufgefordert, Osama Bin Laden auszuliefern. Das verweigerte die Taliban-Regierung jedoch, und so wurde Afghanistan erneut zum Kriegsschauplatz.

Aufnahme von Osama Bin Laden.

Afghanistan weigerte sich, Osama Bin Laden auszuliefern

Die USA erklärten Al Qaida und den Taliban den Krieg und schickten ihre Armee nach Afghanistan. Den US-Soldaten folgte kurze Zeit später auch die NATO, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen und Afghanistan von der Herrschaft der Taliban zu befreien.

Im Dezember 2014 endete die NATO-Kampfmission in Afghanistan. Anfang 2015 löste außerdem die NATO-Trainingsmission Resolute Support Mission (RSM) die Vorgängermission ISAF (Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe) ab – an RSM ist auch Deutschland beteiligt.

Doch nach dem Abzug der Truppen und der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit sorgten die Taliban in vielen Provinzen mit Gewalt dafür, dass Afghanistan instabil blieb. Vor allem junge Menschen und solche mit Schulbildung sahen keine Zukunft in ihrer Heimat und flüchteten ins Ausland.

Machtübernahme der Taliban 2021

Ende 2020 kündigte der damalige US-Präsident Donald Trump an, sämtliche US-Truppen aus Afghanistan zurückzuziehen. Der Abzug der US-Armee sowie der internationalen Truppen, darunter auch Deutschland, begann im Mai 2021. Zur gleichen Zeit rückten die radikalislamischen Taliban wieder vor; beim afghanischen Militär stießen sie kaum auf Widerstand. Mitte August übernahmen die Taliban erneut die Macht im Land.

Die NATO-Staaten wurden von der Entwicklung und vor allem der Schnelligkeit völlig überrumpelt. Zum Zeitpunkt der Machtübernahme waren noch viele Botschaftsangehörige, Mitarbeiter von Presse und Hilfsorganisationen sowie die afghanischen Ortskräfte im Land. Es begann eine dramatische internationale Evakuierungsaktion, bei der etliche Menschen starben.

Quelle: SWR | Stand: 18.08.2021, 13:42 Uhr

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