Wiege der Zivilisation
Der Boden der Türkei ist fruchtbar. Das erkennen schon vor mehr als 10.000 Jahren die Menschen in der Jungsteinzeit. Die Schwemmlandebenen der Flüsse Euphrat und Tigris im Osten der Region sind ideal, um Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Nicht von ungefähr ist der Mensch in der Gegend um diese beiden Flüsse zum ersten Mal in seiner Geschichte sesshaft geworden.
In Göbekli Tepe nahe der Stadt Sanliurfa graben deutsche Archäologen seit 1994 in einem Langzeitprojekt die älteste bekannte Tempelanlage der Welt aus. Die ältesten Funde gehen bis auf das 10. Jahrtausend vor Christus zurück.
Und in der Siedlung Çatalhöyük am Rande der zentralanatolischen Hochebene leben bereits im 7. Jahrtausend vor Christus mehrere Tausend Menschen. Sie streitet sich zusammen mit Jericho und einer indischen Ausgrabungsstätte um den Titel "älteste Stadt der Welt".
Im 2. Jahrtausend vor Christus siedelt sich das Volk der Hethiter in Anatolien an, dem asiatischen Teil der Türkei. Die Hethiter werden innerhalb kurzer Zeit zu einer Großmacht, mit der selbst der übermächtige ägyptische Pharao Ramses II. eine Konfrontation scheut. Davon zeugt der älteste erhaltene Friedensvertrag von 1274 vor Christus.
Nach dem bisher ungeklärten Zusammenbruch des hethitischen Reiches im 12. Jahrhundert vor Christus fällt die Region zunächst in eine Art Dornröschenschlaf.
Göbekli Tepe – Der wahrscheinlich älteste Tempel der Welt
Im Wechselbad der Kulturen
Ab dem 10. Jahrhundert vor Christus siedeln griechische Stämme nach Anatolien über und gründen dort, im asiatischen Teil der heutigen Türkei, zahlreiche Städte. In den folgenden Jahrhunderten entwickelt sich vor allem an der Mittelmeerküste eine blühende Kultur, von der noch heute zahlreiche Bauwerke zeugen.
Drei der sieben antiken Weltwunder sind dort zu finden: der Artemistempel in Ephesos, das Mausoleum von Halikarnassos auf dem anatolischen Festland und der Koloss von Rhodos auf der gleichnamigen vorgelagerten Insel.
Nach dem Zusammenbruch des Reiches von Alexander dem Großen führen die Römer ab dem 2. Jahrhundert vor Christus das griechische Erbe fort. Während das weströmische Reich am Ende der Antike von der Landkarte verschwindet, hat das oströmische (byzantinische) Reich mit der Hauptstadt Konstantinopel (das heutige Istanbul) noch lange Bestand.
Durch das Erstarken der Araber im 7. Jahrhundert nach Christus muss das byzantinische Reich zwar Gebietsverluste im Osten Anatoliens hinnehmen, kann sich im Westen aber noch für lange Zeit halten.
Im 11. Jahrhundert verschieben sich jedoch die Machtverhältnisse nachhaltig. Aus Zentralasien drängen immer wieder islamisch geprägte turksprachige Nomaden nach Westen.
Blühende antike Kultur in Ephesus
Die Osmanen kommen
Anfänglich sind die verschiedenen Nomadenstämme in relativ unbedeutenden, kleinen Fürstentümern organisiert. Im frühen 14. Jahrhundert kann Osman I. einige militärische Erfolge gegen das Byzantinische Reich feiern und mehrere Nomadenstämme vereinen.
Im Laufe der Jahrhunderte entwickelt sich daraus ein riesiges Reich, das 1453 auch Konstantinopel erobert. Unter den Nachfolgern von Osman wächst das Osmanische Reich weiter.
Im 17. Jahrhundert hat es eine Ausdehnung, die weit über die Grenzen der heutigen Türkei hinausgeht. Der Balkan, Griechenland, Algerien, Libyen, Ägypten, der gesamte Nahe Osten und Teile des Iraks sowie der arabischen Halbinsel zählen zum Osmanischen Reich. 1529 und 1683 scheitern jedoch zwei Anläufe, Wien zu erobern und nach Mitteleuropa vorzudringen.
1683 stehen die Osmanen vor den Toren Wiens
Mit dem Erstarken der europäischen Nationen verliert das Osmanische Reich in der Folgezeit immer mehr Einfluss. In zahlreichen Kriegen muss es große Gebietsverluste außerhalb des anatolischen Kernlandes hinnehmen.
Im Ersten Weltkrieg schlägt sich das Osmanische Reich auf die Seite des Deutschen Reiches, was im Oktober 1918 zur bedingungslosen Kapitulation führt. Das Reich ist fortan unter fremder Herrschaft.
Franzosen, Italiener und Griechen beanspruchen die Küstengebiete für sich, Istanbul und der Bosporus stehen unter internationaler Vormundschaft und im Osten Anatoliens sollen autonome armenische und kurdische Gebiete entstehen.
Die Türkei wird ein säkularer Staat
Für den Großteil der türkischsprachigen Bevölkerung ist die Vorstellung einer Fremdherrschaft unerträglich. In dieser Situation betritt ein junger General die Bildfläche, der in den folgenden Jahrzehnten die Belange der Türkei maßgeblich prägen wird: Mustafa Kemal Atatürk.
Eigentlich soll er im Auftrag der Engländer nur die versprengten osmanischen Truppen entwaffnen. Doch Mustafa Kemal Atatürk eint die Truppen und formiert den Widerstand gegen alle Fremdbesatzer. Nach und nach vertreibt er Italiener, Griechen und Franzosen aus Anatolien.
Da die europäischen Großmächte kein Interesse daran haben, den Krieg wieder aufleben zu lassen, kann Atatürk nahezu ungestört schalten und walten. Am 29. Oktober 1923 verkündet er die Gründung der Republik Türkei. Er selbst wird bis zu seinem Tod 1938 Staatspräsident der neuen Republik.
Für die Türkei hat die Bildung der Republik weitreichende Folgen. Atatürk krempelt die gesamte Verwaltung um, macht aus einem von islamischen Gesetzen geprägtes Sultanat einen modernen, europäisch ausgerichteten Staat. Die Religion wird aus der Öffentlichkeit verbannt und findet nur noch im Privaten statt.
Als Gegenpol zur alten Hauptstadt Istanbul baut Atatürk Ankara zur neuen Hauptstadt aus. Einzig und allein die türkische Nation zählt. Alle auf türkischem Gebiet lebende Bevölkerungsgruppen sollen sich fortan als Türken verstehen. Auf die Belange religiöser und ethnischer Minderheiten geht der neue türkische Staat nicht ein.
Atatürk baut Ankara zur modernen Metropole aus
Probleme mit den Minderheiten
Die neuere türkische Geschichtsschreibung verehrt Atatürk als Helden, der dem Selbstbewusstsein der Türken nach der Fremdherrschaft zu neuer Stärke verholfen hat. Doch nicht alle können sich mit der Etablierung des Türkentums identifizieren.
Die Kurden im Osten Anatoliens verstehen sich seit Jahrhunderten als eigenständiges Volk, das sich in großen Teilen einen eigenen Staat wünscht. Diesen Konflikt versuchten beide Seiten immer wieder mit Gewalt zu lösen: die türkische mit massiver militärischer Präsenz im Osten des Landes, die kurdische mit immer wiederkehrenden Anschlägen im ganzen Land.
Immer wieder kommt es in kurdischen Städten zu Zusammenstößen
Die armenische Minderheit im Nordosten des Landes hingegen hat mit der Bildung eines eigenen Staates abgeschlossen. Sie versucht vielmehr den türkischen Staat dazu zu bewegen, die Vertreibung und Ermordung der armenischen Bevölkerung im Osmanischen Reich in den Jahren 1915/16 als Völkermord anzuerkennen.
Bis heute wehrt sich die Türkei vehement gegen die Anerkennung als Völkermord. In den türkischen Geschichtsbüchern findet die Vertreibung überhaupt nicht statt. Die Türkei droht anderen Staaten sogar mit dem Abbruch diplomatischer Beziehungen, sollten sie ihn anerkennen.
UNSERE QUELLEN
- Udo Steinbach: Geschichte der Türkei; Verlag C.H. Beck; München; 2010
- Günter Seufert, Christopher Kubaseck: Die Türkei – Politik, Geschichte, Kultur; Verlag C.H. Beck; München; 2006
- Wolf-Dieter Hütteroth, Volker Höhfeld: Die Türkei – Geographie, Geschichte, Wirtschaft, Politik; Wissenschaftliche Buchgesellschaft; Darmstadt; 2002
- Bundeszentrale für politische Bildung: Türkei
(Erstveröffentlichung 2012. Letzte Aktualisierung 07.10.2020)
Quelle: WDR