Zwei Männer im Fall,  im Hintergrund einer Feuerwolke

Erfindungen

Sprengstoff

Sprengstoff lässt Häuser zerbersten, Berge erzittern und Türme zusammenfallen. Wenn er explodiert, bleibt kein Stein auf dem anderen – er ist konzentrierte Energie. Die Kräfte einer Sprengstoffexplosion faszinieren Menschen seit Jahrtausenden.

Von Marietta Arellano

Chinesisches Schießpulver

Die Nutzbarmachung der chemischen Sprengkraft brachte den Menschen sowohl technischen Fortschritt als auch unsagbares Leid. Schon im 10. Jahrhundert ließen es die Chinesen krachen. Findige Alchimisten hatten als Erste erkannt, dass in der Mischung aus Salpeter, Holzkohle und Schwefel explosive Kräfte schlummerten und erfanden das Schießpulver.

Feuerwerksraketen und Brandsätze verbreiteten sich schnell im ganzen Land. Genutzt wurden die zischenden und sprühenden Geschosse nicht nur zur allgemeinen Belustigung, sondern auch zur Abschreckung von Feinden.

Mit großem Erfolg: Vor allem die mit Schießpulver gefüllten Bambusrohre waren gefürchtet und können als die ersten Flammenwerfer der Geschichte bezeichnet werden.

Von Asien aus setzte Schießpulver zu einem Siegeszug nach Europa an. Mehr und mehr Handelsreisende kehrten im 13. Jahrhundert mit dem Wissen über die brisante Mischung in ihre Heimat zurück. Doch auch im westlichen Abendland hatten frühe Sprengstoffexperten inzwischen erste Erfolge erzielt.

So schrieb der englische Franziskanermönch Roger Bacon (1214-1294): "Lass das gesamte Gewicht dreißig sein, jedoch von Salpeter nehme sieben Teile, fünf von jungem Haselholz und fünf von Schwefel, und du wirst so Donner und Zerstörung hervorrufen, wenn du die Kunst kennst."

Die Schlacht von Pavia von 1525: Ein Gemälde zeigt die Explosion eines Munitionsdepots

Sprengstoffeinsatz im Mittelalter

Die Kunst der Sprengstoffherstellung kannten bald alle Völker auf dem europäischen Kontinent und so standen sich die Armeen des 14. Jahrhunderts bereits mit schweren Metallkanonen gegenüber. Geschossen wurde zunächst mit Brandpfeilen, später mit Steinkugeln. Das Schießpulver lieferte den Antrieb für die gefährliche Munition.

Über Jahrhunderte blieb die Mischung aus Salpeter, Holzkohle und Schwefel der einzige bekannte Sprengstoff. Dann brach mit Nitroglycerin und Dynamit ein neues Zeitalter in der Geschichte der Explosivstoffe an.

Meilenstein Dynamit

Mit der Erfindung des Dynamits gelang Alfred Nobel (1833-1896) der Durchbruch in der Sprengstoffforschung. Als Herr über ein Sprengstoffimperium verdiente er sich bald eine goldene Nase.

Dabei war Nobel keinesfalls der einzige, der von einem handhabungssicheren und hochexplosiven Sprengstoff geträumt hatte. Der Turiner Chemiker Ascanio Sobrero (1812-1888) stieß bereits 1846 auf das Nitroglycerin, einen Stoff mit enormer Sprengkraft.

Die Mischung aus Glycerin, Schwefel- und Salpetersäure war explosionsfreudig wie kein anderes Mittel zuvor. Allerdings gelang es Sobrero nicht, seine Erfindung zu bändigen. Schon bei kleinster Erschütterung ging die farblose Flüssigkeit in Flammen auf.

Der Schöpfer des Nitroglycerins erfuhr die Schattenseite seiner Entdeckung am eigenen Leibe. Schwere Verletzungen im Gesicht zeichneten den Sprengstoffforscher bis zu seinem Tod.

Nobel entging solch einem Schicksal. Ihm gelang es, aus der unberechenbaren Flüssigkeit einen handhabungssicheren und damit für die Industrie wertvollen Sprengstoff zu bauen. Hierzu mischte er 1866 Nitroglycerin mit Kieselgur, einem Sand aus den Skeletten von Kleinstlebewesen des Meeres. Die so entstandene Masse ließ sich problemlos portionieren und transportieren.

Eingewickelt in Paraffinpapier und mit einer Zündschnur versehen, konnten dem neuen Sprengstoff bisher unbekannte Kräfte entlockt werden. Fünfmal stärker als das Schießpulver soll die Explosionskraft von Nobels Erfindung schon damals gewesen sein. Eine Sensation! Nobel gab seinem Sprengstoff den Namen Dynamit, denn das griechische Wort "dynamis" bedeutet Kraft.

Schwarzweiß-Foto: Vier Frauen bei der Zusammensetzung von Dynamit-Patronen

Sprengstoffherstellung wird zur Fabrikarbeit

Ziviler Nutzen

Die Nutzung von Sprengstoff hat viele Facetten: Im Tunnel- und Kanalbau kommt der explosive Stoff ebenso zum Einsatz wie bei der Sprengung von Gebäuden. Die Erfindung Nobels ermöglichte Vorhaben, von denen ehrgeizige Bauherren zuvor nur träumen konnten.

Die Baugeschichte des Kanals von Korinth, der das griechische Festland von der Halbinsel Peloponnes trennt, macht das besonders deutlich: Während der römische Kaiser Nero (37-68 nach Christus) sich trotz der Arbeit von Tausenden von Sklaven an dem Bauvorhaben die Zähne ausbiss, war die Fertigstellung des Kanals im ausgehenden 19. Jahrhundert dank Dynamit eine Leichtigkeit. Nur zwei Jahre lang, von 1891 bis 1893, arbeiteten die Einsatzkräfte an der Fertigstellung des neuen, sechs Kilometer langen Wasserweges.

Sprengstoff hilft aber nicht nur, neue Bauvorhaben zu realisieren, sondern zerstört auch alte Gebäude in Sekundenschnelle. Bei Abbrucharbeiten kommt Sprengstoff heute wie selbstverständlich zum Einsatz.

Ein mehrstöckiges Haus kippt durch eine Sprengung zur Seite

Sprengstoff lässt Gebäude zerbersten

Wo vorher noch ein Haus oder eine Industrieanlage stand, ist wenig später nur noch Schutt und Asche – der Sprengmeister macht es möglich. Seine Arbeit ist eine nervenaufreibende Angelegenheit und jede Sprengung muss sorgfältig geplant werden.

Bei Gebäudesprengungen in dicht bebauten Gebieten achtet er streng darauf, dass Häuser oder Türme nicht unkontrolliert in alle Richtungen zerbersten. Sie sollen auf engem Raum in sich zusammenfallen. Oft muss der Sprengmeister hierzu mehrere tausend Sprengköpfe verlegen lassen.

Um eine optimale Sprengleistung zu erreichen, werden die Sprengköpfe nicht einfach lose in das Bauwerk gelegt. Stattdessen bohren die Arbeiter für jeden einzelnen Explosionskörper einen Hohlraum in die zu sprengenden Wände.

Nach diesen Vorbereitungen kann der Sprengberechtigte den roten Knopf seiner Zündmaschine drücken. Die Explosion des Sprengstoffs macht das Gebäude dann dem Erdboden gleich.

Militärische Sprengstoffe

Das Arsenal des Schreckens kennt heute kaum noch Grenzen. Wenn Bomben fallen und Schüsse ausgelöst werden, ist militärischer Sprengstoff im Spiel. Zu den bekanntesten Explosivstoffen der Kriegsführung gehört Trinitrotoluol (TNT). 1863 stellte der deutsche Chemiker Joseph Wilbrand den hochexplosiven Stoff erstmals her.

Als Füllmittel für Granaten erlangte der Stoff in der deutschen Rüstungsindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer größere Bedeutung. Mit einer Explosionsgeschwindigkeit von neun Kilometern pro Sekunde suchte er lange Zeit seinesgleichen. Mittlerweile wird aber auch diese Rekordleistung von noch wirkungsvolleren Substanzen in den Schatten gestellt.

Seit der Entdeckung der ersten Explosivmittel ist der Aktionsradius von Waffen immer größer geworden – die Sprengkraft fordert immer mehr Todesopfer. 8200 Kilogramm Sprengstoff schlummern beispielsweise in der "Massive Ordnance Air Blast Bomb" (MOAB) der US-Luftwaffe.

Ihre Zerstörungskraft stellte das US-Militär bei einem Testabwurf im März 2003 eindrucksvoll unter Beweis. Ein 300 Meter hoher Rauchpilz schoss nach der gewaltigen Explosion in die Höhe. Die gigantische Druckwelle verwüstete einen Landstrich in einem Umkreis von 1500 Metern.

2007 zündeten die Russen eine der stärksten konventionellen Bomben der Welt, die "Aviation Thermobaric Bomb of Increased Power" (ATBIP). Dabei handelt es sich um eine Vakuumbombe, die eine besonders langanhaltende Hitze- und Druckwelle auslöst. Die Stärke der Explosion ist mit der einer Atombombe vergleichbar, jedoch ohne dabei radioaktive Materialien zu verwenden. Die Sprengkraft entspricht der von 44 Tonnen TNT.

Eine MOAB-Rakete (Massive Ordnance Air Blast) wird für einen Test vorbereitet

Die Bomben werden kleiner, haben aber mehr Sprengkraft

Sprengstoff explodiert nicht nur in offenen Kämpfen. Oft lauert die tödliche Substanz über Jahre im Boden und wartet geduldig auf ihr nächstes Opfer. Seit Jahrzehnten machen Menschenrechtsorganisationen auf die Gefahr von Landminen aufmerksam. Landminen sind kleine Explosionskörper, die vom Opfer selbst unbeabsichtigt ausgelöst werden. Wird ihr Zünder mit einem bestimmten Gewicht belastet, explodiert der mit Sprengstoff gefüllte Behälter.

Sprengstoff im Terroreinsatz

Nicht nur Regierungen und Rebellen greifen zu Sprengstoff, um ihre kriegerischen Ziele durchzusetzen. Auch terroristische Vereinigungen nutzen die explosiven Stoffe. Vor allem von Flüssigsprengstoff ist in den Nachrichten immer wieder die Rede.

Als Flüssigsprengstoff bezeichnen die Fachleute explosive Mischungen, die aus sehr einfachen Bestandteilen zusammengesetzt werden können. Als Bombenzutaten können Reinigungsmittel und Kunstdünger ebenso dienen wie Chemikalien aus der Apotheke.

So konnte zum Beispiel im August 2006 der britische Geheimdienst terroristische Flüssigsprengstoff-Anschläge auf Passagierflugzeuge vereiteln. Seit November 2006 ist es aus diesem Grund in der EU verboten, mehr als 100 Milliliter Flüssigkeit einer Substanz im Handgepäck mit sich zu führen.

Ein Plastikbeutel mit Flüssigkeiten für das Handgepäck

Seit 2006 dürfen nur 100 ml pro Flüssigkeit mit ins Handgepäck

Nach wie vor ist die Terrorgefahr durch Sprengstoff hochaktuell. Neu ist sie allerdings nicht. Denn schon zu Alfred Nobels Zeiten verbreiteten Sprengstoffattentäter Angst und Schrecken: So starb 1881 der russische Zar Alexander II. (1818-1881) durch einen Sprengkörper.

(Erstveröffentlichung 2006. Letzte Aktualisierung 08.10.2019)

Quelle: WDR

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