Macht der Musik

Heavy Metal und die Katharsis-Hypothese

Musik bringt uns zum Weinen, motiviert uns beim Joggen, lässt uns in Melancholie eintauchen oder eine ganze Nacht durchtanzen. Die Wirkung von Musik ist unumstritten. Aber kann sie auch abhärten? Machen Heavy-Metal-Songs über Apokalypse, Tod und Teufel stark fürs Leben? Die Katharsis-Hypothese behauptet das.

Von Andrea Wieland

Mehr als nur Krach

Vorurteile gegenüber der Musikrichtung Heavy Metal gibt es viele: Zu wild, zu laut und zu aggressiv, sagen die Kritiker. "Das Genre reizt die Möglichkeitsräume harter Rockmusik aus", sagen andere wie der Kunsthistoriker Jörg Scheller.

Im Schweizer Fernsehen begründete er das so: "Das Tempo ist hoch, es geht darum, in den Soli zu brillieren, infernalisch zu grunzen und zu schreien oder in einer Art Sirenengesang zu exzellieren – was technisch durchaus anspruchsvoll ist."

Geschmäcker sind nunmal verschieden. Einig sind sich Kritiker und Fans darin, dass im Heavy Metal kein Blatt vor den Mund genommen wird. Das Böse, das Gewaltvolle, der Weltschmerz gehören zu den Inhalten. Welche Auswirkungen haben harte Worte, wenn man sie – mitunter täglich – ins Ohr gebrüllt bekommt?

Metal macht gut und glücklich

Zu der Wirkung von Heavy Metal auf den Hörer gibt es mehr oder weniger seriöse Studien, die mit Freude von den Medien aufgegriffen werden. "Die Welt" titelte 2015 "Heavy Metal macht den Menschen gut und glücklich".

Im Jahr 2021 wird dem regelmäßigen Hören sogar blutdrucksenkende Wirkung nachgewiesen, wie eine Studie der Vera Clinic in Istanbul festgestellt haben will.

Zwei Jahre zuvor hatte eine Studie der Cardiff Metropolitan University herausgefunden, dass das Metal-Hören geradezu "reinigend" wirke. Mit der Begründung, dass Hörer der harten Klänge so eine Möglichkeit bekommen, ihren innersten Gefühlen ein Ventil zu verpassen.

Die Black Sabbath Coverband Zakk Sabbath bei einem Auftritt in Toronto. | Bildquelle: Imago

Sind Metal-Hörer abgehärtet?

Diese Ansicht vertritt auch der bereits erwähnte Wissenschaftler und Musiker Jörg Scheller, wenn er in "Psychologie Heute" schreibt, dass Metal wie ein Resilienztraining sei.

Er beruft sich dabei auf die 2018 im "Journal of Community Psychology" veröffentliche Studie der University of South Australia, die zu dem Ergebnis kam, dass Metal-Identitäten den Teilnehmern [dabei halfen], Stress in schwierigen Umgebungen zu überstehen und starke und nachhaltige Identitäten und Gemeinschaften aufzubauen, wodurch potenzielle Probleme der psychischen Gesundheit gemildert wurden.

Scheller kommt daher zu dem Schluss: "Metal-Kids wachsen in apokalyptisch durchpulsten Symbolwelten und -atmosphären auf – Tod, Verderben, Zusammenbruch der Ordnung sind ihre ständigen Begleiter, auch wenn sie in einer vordergründig heilen Bullerbüwelt leben. Wenn diese Welt aus den Fugen gerät, sind sie zumindest nicht überrascht."

Negative Energien abbauen?

So einfach funktioniere das leider nicht, sagt der Musikpsychologe Professor Günther Rötter und erklärt: "Bei der Katharsis-Hypothese hat man geglaubt, wenn ein Mensch in einer aggressiven Stimmung ist, dann bestimmte Musik hört, dann reinigt ihn das von seinen Problemen und Aggressionen.

Das hat sich aber als falsch herausgestellt. Man kann mit dieser Methode nicht viel bewirken." Haben Texte über Tod und Teufel ihre Hörer auch nicht besser auf Krisen wie eine Pandemie vorbereitet? Rötter meint dazu, man solle die Wirkung von Musik nicht überschätzen.

Der gegenteilige Effekt

Trotzdem bestätigt der Musikpsychologe, dass sich über Musik unsere Stimmungen lenken lassen: "In der Musiktherapie gibt es ein Verfahren, das nennen wir: Jemanden da abholen, wo er steht. Jemandem, der sehr erregt ist, begegnet man zunächst mit erregter Musik. Aber nicht, um zu heilen, sondern man lässt die Musik dann langsam ruhiger werden."

Auf ruhige Musik würden Patient*innen im ersten Schritt nicht ansprechen, daher hole man sie in ihrer Stimmung ab und gibt immer mehr Ruhiges hinzu. Rötter schließt nicht aus, dass wir das auch intuitiv machen. Also in einer Situation aus Ärger und Wut zunächst ein lautes Metal-Stück wie Lamb of God hören, um dann zu etwas Ruhigerem wie Iron Maiden zu wechseln.

Besser wäre es seiner Ansicht nach, sich nicht nur bei einer Musikrichtung aufzuhalten. Ein Fan habe immer nur ein begrenztes Repertoire. "Ein Mensch, der es geschafft hat, ganz viele Arten von Musik zu mögen, der hat hier natürlich die besseren Karten", sagt Rötter.

Sich mit Musik abzuhärten fürs Leben, ist wohl nur schwer zu schaffen. Aber sich beruhigen, sich motivieren, die gute Laune verstärken – all das können wir mit Musik erreichen.

UNSERE QUELLEN:

  • Interview mit Jörg Scheller, SRF, 23.08.2020
  • Interview mit Prof. Günther Rötter am 22.9.21
  • Jörg Scheller: "Psychologie heute: Die beglückende Härte des Heavy Metal"
  • Klaus Miehling: "Gewaltmusik - Musikgewalt: Populäre Musik und die Folgen", Taschenbuch, 2006
  • Vladimir J. Konecni & Ebbe B. Ebbesen: "Disinhibition versus the cathartic effect: Artifact and substance", Journal of Personality and Social Psychology, 34, 352–365, (1976)