Strandkörbe am Strand von Sylt. Im Hintergrund: das Rote Kliff.

Nordsee

Sylt

Himmel und Meer, Dünen und Reet, Strandkörbe und Ferienglück – daran denken die meisten, wenn es um Sylt geht. Die Insel gilt als die Ferieninsel der Deutschen schlechthin. Als Eiland der Reichen und Schönen, aber auch der Familien und Gesundheitsapostel.

Von Beatrix von Kalben

Wohltuende Wucht der Wellen

Schon im 19. Jahrhundert schwörten Sylt-Urlauber auf die heilende Kraft des Nordseeklimas. Und mit den Jahren eroberte sich die Insel eine wahre Fangemeinde. Doch was genau macht Sylt so beliebt?

Da ist zum einen die bessere Brandung auf "der Insel". Die mannshohen Wellen stellen natürliche Gunstfaktoren dar, die dem seit 1927 durch den Hindenburgdamm mit dem Festland verbundenen Eiland eine führende Stellung unter den deutschen Urlaubsinseln in der Nordsee einräumen.

Tatsächlich weist Sylt die stärkste Brandung aller deutschen Meeresküsten auf. Vor allem am Strand von Kampen lassen sich die Badegäste von den Prankenschlägen der Wellen massieren.

Doch auch auf den restlichen 40 Kilometern Weststrand und den fünf Kilometern Nordstrand genießen Urlauber die wohltuende Wucht der überstürzenden Wellen. Zum Wasser gelangen sie dabei auf insgesamt 84 Strandübergängen durch die Dünen.

Blick vom Morsum-Kliff auf die See.

Der Strandhafer verhindert, dass die Dünen abgetragen werden

Ihre Kraft stellten die Sylter Brandungswellen 1976 spektakulär unter Beweis: Ein dänischer Fischkutter war völlig unbeschädigt am Strand von Wenningstedt gestrandet. Innerhalb von nur zwei Tagen hatten die Wellen das Schiff komplett zerschlagen, nicht einmal von den beindicken Schiffspanten aus Eichenholz war etwas übrig geblieben.

Heilendes Reizklima

Die Brandung hat eine beachtliche gesundheitsfördernde Wirkung. Sie erzeugt eine Art Sprühregen, das Meeresaerosol, das sämtliche Meeressalze und Spurenelemente enthält. Natrium, Kalium, Kalzium sowie Brom, Jod, Fluor werden in der Luft verteilt und gelangen über die Atemwege in den menschlichen Körper.

Das Aerosol ist somit ein wesentliches Element des Reizklimas der Nordsee. Es wirkt sich äußerst positiv bei Erkrankungen wie Asthma, anderen Atemwegserkrankungen und auch Rheuma aus.

Die heilkräftige Wirkung des Aerosols veranlasste 1885 den Landvogt Werner van Levetzau, erstmals Badekarren und Umkleidezelte am Westerländer Strand aufzustellen.

Der Altonaer Arzt Gustav Ross gehörte bereits um 1857 zu den ersten Gästen auf Sylt. Er war von der therapeutischen Wirkung eines Nordseeaufenthaltes derart überzeugt, dass er eine Schrift darüber verfasste: "Das Nordseebad Westerland auf der Insel Silt. Eine vorläufige Ankündigung" steigerte den Bekanntheitsgrad des Seebades Westerland enorm.

1857 gründete Gustav Ross mit anderen eine Aktiengesellschaft zur Errichtung einer Badeanstalt. In seiner Rede zur Grundsteinlegung sagte der Arzt: "Ein großartiges Meer, ein Strand meilenlang ausgebreitet wie der köstlichste Samtteppich, die phantastische Dünenlandschaft, die hehre Schönheit der ganzen Insel – das ist eine so seltene Vereinigung von Vorzügen, dass sicherlich binnen wenigen Jahren Sylt zu den gesuchtesten Nordseebädern zählen wird."

Schwarzweiß-Foto: feine Gesellschaft am Strand. Menschen in Anzügen und Kleidern sitzen unter einem Strandhaus um einen Tisch herum.

Sommerurlaub auf Sylt wurde rasch modern

Badefreuden Anno dazumal

In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich ein lebhafter Badebetrieb auf der Insel – die Betuchten der Gesellschaft begannen, in die sogenannte Sommerfrische, den Sommerurlaub, nach Sylt zu reisen. Doch obwohl der Sylter Arzt Andreas Ludwig Otto Jenner schon 1855 das Nacktbaden aus therapeutischen Gründen empfahl, ging es am Strand recht züchtig zu.

Oberstes Gesetz war die strikte Trennung der Geschlechter am Strand. Im Süden Westerlands befand sich das Damenbad, im Norden das Herrenbad. In der neutralen Zone dazwischen spielte sich das gesellschaftliche Leben ohne Badefreuden ab. Man ruhte im Strandkorb oder Liegestuhl und lustwandelte auf der Kurpromenade.

Lesehalle, Musikmuschel, Restaurants und "Giftbuden" sorgten für das körperliche und geistige Wohl der Kurgäste. "Giftbuden" waren die Vorläufer der Strandbars. Sie hießen so, weil hier "Gift" – ein einfach gebrannter Kümmelschnaps – an Badegäste ausgeschenkt wurde.

Auch die Badezeit war noch streng geregelt: Nur von sechs bis zwölf Uhr durfte man den Fuß ins kühle Nass setzen. Dazu bestieg man die vom Badepersonal dicht an den Flutrand geschobenen, geschlossenen Badekarren, in denen man sich von Kopf bis Fuß in Badebekleidung hüllte, bevor man in die Fluten tauchte.

Schwarzweiß-Foto: Badewagen am Strand mit Damen in weißen Kleidern und Herren in Anzügen.

Züchtig ging's zu am Badestrand

Insel der Nackten

Nackte Tatsachen bekamen die Sylter gut 100 Jahre nach Eröffnung des Badebetriebs zu Gesicht: Zwar erhielt das 1919 gegründete "Freideutsche Jugendlager Klappholttal" im Jahre 1927 eine landespolizeiliche Ausnahmegenehmigung zum Nacktbaden und war damit Sylts erster legaler Strand für Freikörperkultur. Der erste öffentliche FKK-Strand wurde aber erst 1954 in Westerland offiziell eröffnet.

Heute bevorzugt mehr als die Hälfte der Feriengäste das hüllenlose Baden. Für sie sind zwar viele Strandabschnitte reserviert, doch die einstmals festen Grenzen verschwimmen zusehends.

Das Sylt-Phänomen in Zahlen

Rund 12.000 Strandkörbe gibt es heute auf der Insel, knapp 60.000 Gästebetten stehen in den Sommermonaten zur Verfügung. Den knapp 18.000 Syltern stehen jährlich etwa 800.000 Besucher gegenüber.

Mit 98 Quadratkilometern ist Sylt die größte deutsche Nordseeinsel, 38,5 Kilometer lang und an der schmalsten Stelle nur knapp 600 Meter breit.

Vor etwa 8000 Jahren wurde Sylt vom Festland abgetrennt und liegt geografisch auf der gleichen Höhe wie die englische Stadt Newcastle, die sibirische Stadt Omsk und der Südzipfel Alaskas. Rund 70 Prozent der Gesamtfläche Sylts stehen unter Naturschutz.

Karte der Insel Sylt

Sylt ist durch einen Damm mit der Küste verbunden

Doch die Sylt-Faszination nährt sich nicht nur aus Strandidylle, Wind und Wellen. Es ist eine Art urtümliche Atmosphäre, die für viele die Schönheit der Insel ausmacht.

Sylt-Liebhaber schwärmen von der kargen Landschaft und den riesigen Dünen, dem auf den zweiten Blick gar nicht langweiligen Wattenmeer und der braunen und violetten Heidelandschaft.

Jeder Gast findet sein eigenes Highlight, seien es die Reetdächer, ausgiebige Wattwanderungen, das Shoppen in der Hauptstadt Westerland, ein Shantychor-Auftritt bei Sonnenuntergang in der Musikmuschel an der Strandpromenade oder die Orgelkonzerte in der beliebten Kirche St. Severin in Keitum.

Es ist das Gefühl zwischen Luxus und Zuhausesein, das nicht nur die Schönen und Reichen immer wieder nach Sylt zieht.

(Erstveröffentlichung: 2006. Letzte Aktualisierung: 17.03.2021)

Quelle: WDR

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