Klärwerke – warum die 4. Reinigungsstufe nötig ist Planet Wissen 31.10.2023 05:19 Min. Verfügbar bis 31.10.2028 SWR

Wasserversorgung in Deutschland

Wie sich Klärwerke optimieren lassen

Die herkömmliche Abwasserbehandlung in den Klärwerken lässt zu viele Stoffe im Wasser, die in der Natur für Probleme sorgen. Deswegen empfiehlt das Umweltbundesamt, in den Klärwerken weitere Aufbereitungsstufen zu installieren. Aber wer soll das bezahlen?

Von Frank Drescher

Medikamentenrückstände im Abwasser schaden der Umwelt

Verkümmerte Geschlechtsteile bei Fischen irritierten um die Jahrtausendwende herum die Fischer auf dem Thuner See in der Schweiz. Die Hoden der männlichen Tiere waren oft zu klein und in vielen Fällen mit dem Muskelgewebe verwachsen.

Im Verdacht standen Hormonrückstände der Antibabypille und hormonähnliche Substanzen, wie sie in Weichmachern in Plastik vorkommen oder in manchen Spülmitteln, die einen Stoff speziell für die Säuberung von Tafelsilber beinhalten. Sie gelangen über das Abwasser in die Umwelt.

Medikamentenrückstände werden bislang in Kläranlagen nicht abgebaut | Bildquelle: Mauritius/Umstätter, Uwe

Ein Laborversuch in Berlin zeigte schon 2007: Aus Kaulquappen werden Riesenkaulquappen statt Fröschen, wenn sie im Wasser dem Abbauprodukt eines bestimmten Insektenvernichtungsmittels ausgesetzt sind, das wie ein Hormon wirkt. "Wenn es bei den Tieren zu Effekten kommt, wird es für den Menschen auch bedenklich", erklärte der Versuchsleiter Werner Kloas vom Institut für Gewässerökologie damals.

Und schwedische Forscher stellten 2013 fest: Das Beruhigungsmittel Oxazepam wirkt nicht nur bei depressiven Menschen, sondern auch bei Barschen. Die verlieren ihre natürliche Scheu und entwickeln den Mut, allein statt im Schwarm auf Nahrungssuche zu gehen, was sie angreifbarer für Fressfeinde macht.

In allen drei Fällen stammen die Stoffe, die die Probleme auslösen, aus Siedlungsabwässern. Sie gelangten trotz Klärwerken in die Umwelt. Denn die herkömmlichen Verfahren zur Abwasserbehandlung entfernen die Stoffe nicht.

Qualitativ hochwertiges Trinkwasser: eine Herausforderung für die Zukunft | Bildquelle: SWR

Klärwerke sollen aufgerüstet werden

Das Umweltbundesamt hat deshalb schon 2015 empfohlen, Deutschlands Kläranlagen aufzurüsten: Zu den herkömmlichen drei Reinigungsstufen des Abwassers – mechanisch, biologisch und chemisch – würde dann eine zusätzliche vierte Stufe kommen.

Mit der vierten Stufe sollen auch Medikamentenrückstände aus dem Abwasser entfernt werden können, etwa mithilfe von Aktivkohlefiltern. Ein ähnlicher Effekt lässt sich mit Ozon erzielen, das ins geklärte Wasser gegeben wird. Allerdings können hierbei problematische Abbauprodukte entstehen, für die weitere Behandlungsstufen nötig sind.

So gesehen ist der Begriff von der "vierten Stufe" etwas ungenau, da es sich um mindestens eine weitere mechanische, chemische und biologische Aufbereitungsstufe, aber auch die Kombination mehrerer solcher Stufen im Anschluss an die herkömmliche dreistufige Abwasseraufbereitung handeln kann.

Eine zusätzliche Reinigungsstufe kostet Milliarden

Nach Berechnungen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) würde die flächendeckende Installation der zur "vierten Stufe" gehörenden Verfahren jährlich 1,2 Milliarden Euro kosten. Die Abwassergebühren müssten dann in Deutschland um durchschnittlich 17 Prozent steigen.

Doch dann, so argumentiert der Verband, hätten die Verursacher der Probleme wenig Grund, ihr Verhalten zu ändern. Und als Verursacher sieht der Verband weniger die Arzneimittelkonsumenten, die zur Toilettenbenutzung für die Zeit der Medikamenteneinnahme ja keine Alternative haben, sondern die pharmazeutische Industrie.

Deswegen solle die Pharmaindustrie nach den Vorstellungen des BDEW eine Abgabe auf ihre Produkte zahlen, die den Abwasserentsorgern zugutekommen würde.

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hält sich zu dieser Idee allerdings bedeckt: "Der Gewässerschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe, alle Beteiligten stehen hier gleichermaßen in der Verantwortung. Die Mitgliedsunternehmen des BPI nehmen den Umweltschutz ernst: Die Aktivitäten der pharmazeutischen Industrie sind heute schon auf einem sehr hohen Niveau", heißt es da.

Fragen wie diese sind allerdings auch Gegenstand des nationalen Wasserdialogs. Den veranstaltete das Bundesumweltministerium von Herbst 2018 bis 2020 aus Anlass der UN-Wasserdekade von 2018 bis 2028.

Zu fünf verschiedenen Themenbereichen tauschten sich Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen, aus der Wasserwirtschaft, aus der Forschung sowie von Naturschutz- und Verbraucherschutzverbänden über die Zukunft des Gewässerschutzes und der Trinkwassergewinnung aus.

Seit Ende des Dialogs liegen die nationale Wasserstrategie und ein Aktionsprogramm vor. In zehn strategischen Themen wird beschrieben, wie der nachhaltige Umgang mit den Wasserressourcen in Deutschland langfristig gesichert werden soll.

Dabei geht es unter anderem um die Begrenzung von Stoffeinträgen, den Zugang zu Trinkwasser, die Wiederherstellung des naturnahen Wasserhaushalts, die ökologische Entwicklung der Gewässer und die Weiterentwicklung von Wasserinfrastrukturen.