Alpenpanorama, Graubünden, Schweiz

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Nichts entspricht unserer Vorstellung von unberührter Natur so sehr wie eine saftige Bergwiese, nichts unserem Traum vom Wintersport mehr als eine schneebedeckte Skipiste. Mit beidem ist die Schweiz reichlich gesegnet.

Von Kerstin Hilt

Kaum verwunderlich, dass der Tourismus einer der wichtigsten Wirtschaftszweige der Alpenrepublik ist: Von ihm hängt jeder zwölfte Arbeitsplatz ab. Dass das hinter hohen Bergen verschanzte Land einmal ein El Dorado der Erholungsbedürftigen werden würde, ist allerdings alles andere als selbstverständlich.

Alles begann mit einer Wette

Noch im 19. Jahrhundert ist eine Reise in die Schweiz ein mittleres Abenteuer: Der Weg über die Pässe ist beschwerlich, viele Flüsse sind nicht schiffbar, Eisenbahntrassen werden erst allmählich in jahrelanger Knochenarbeit über Berge und Schluchten hinweggebaut.

Fast scheint es, als wolle sich das Paradiesgärtlein Schweiz scheu von der Außenwelt abwenden, als sei es sich selbst genug.

Doch gerade das reizt die zivilisationsmüden Reisenden aus dem Rest Europas. Besucher aus dem sich rasant industrialisierenden England sind begeistert von der unverdorbenen Natur. Die autoritätsgewöhnten Deutschen wiederum schätzen den rebellischen Geist der Schweizer, die sich nie freiwillig einem Monarchen beugen würden.

Doch während das touristische Geschäft in den Sommermonaten bald floriert, wissen die Herbergen lange nicht, wie sie auch im Winter Gäste anlocken sollen. Bis 1864 der Hotelier Johannes Badrutt vier Engländern eine verwegene Wette anbietet. Sie sollten im Winter wiederkommen, und wenn es ihnen nicht gefalle, bezahle er ihnen die Reisekosten – hin und zurück.

Seine Gäste kommen zu Weihnachten und bleiben bis Ostern – freiwillig. Denn Johannes Badrutt hat sich einiges für sie einfallen lassen: Von ein paar Bergbauern hat er sich Schlitten geborgt, mit denen normalerweise Holz und Heu transportiert wird – und er hat sich zeigen lassen, wie man mittels zweier schmaler, unter den Füßen festgeschnallter Holzbretter auch im Tiefschnee von den Bergen ins Tal gleiten kann. Aus reiner Geschäftstüchtigkeit hat Johannes Badrutt den Wintersport erfunden.

Berglandschaft mit Skipiste

Skifahren – eine Entdeckung des 19. Jahrhunderts

Segen und Fluch des Wintersports

Heute gehören die Schweizer Skigebiete zu den beliebtesten weltweit. Für Schneebegeisterte jeglicher Art hat das Land etwas zu bieten: Die Alpenarena zwischen Flims, Laax und Falera ist besonders bei Snowboardern beliebt; rund um Andermatt sind die Chancen auf Tiefschnee besonders gut; in Grindelwald hat man mit Eiger, Mönch und Jungfrau bei jeder Talfahrt eine einzigartige Bergkulisse vor Augen.

Als Geheimtipp gilt die Galferroute bei Obertoggenburg: Mit ihren 1600 Metern Höhenunterschied ist sie eine der längsten Abfahrten der Voralpen und trotzdem nicht allzu überlaufen. Im Oberengadin wiederum führen sogar einige Pisten über den berühmten Morteratschgletscher.

Allerdings: Wegen der Klimaerwärmung ist er in den vergangenen 150 Jahren um ein Viertel geschrumpft; in tiefer gelegenen Skigebieten nimmt seit einiger Zeit die Schneesicherheit deutlich ab.

Viele Wintersportorte versuchen deshalb, mit künstlicher Beschneiung, zum Beispiel durch Schneekanonen, gegenzusteuern – doch das birgt Gefahren für die Umwelt. Der natürliche Wasserhaushalt des Bodens wird verändert, die Oberfläche wird anfälliger für Beschädigungen.

Ohnehin ist der Skisport unter Naturschützern umstritten. Denn dort, wo im Winter Pisten sind, wachsen im Sommer weniger Pflanzen als anderswo – die Erosionsgefahr steigt, ganze Hänge können so ins Rutschen geraten.

Berglandschaft mit Gletscher bei hoch stehender Sonne

Auch der Gornergletscher bei Zermatt schmilzt

Wandern – aber gründlich!

Der Sommertourismus ist da für die Natur weitaus ungefährlicher – nicht zuletzt auch deshalb, weil die mehr als 60.000 Kilometer Schweizer Wanderwege mit weltweit einmaliger Sorgfalt ausgewählt und betreut werden.

Besonders die Markierungen sind für ihre Gründlichkeit bekannt: Fast immer findet sich in Sichtweite eine gelbe Raute auf Bäumen oder Felsen; an Kreuzungen weisen gelbe Schilder mit Entfernungen und geschätzter Dauer den richtigen Weg. Wer sich da noch verirrt, hat es nicht anders gewollt.

Die Schweizer selbst sind durchaus stolz auf ihr Wegenetz – was man schon allein daran sehen kann, dass überall freiwillige Helfer an seiner Instandhaltung mitarbeiten. Denn laut Vorschrift muss jede Route mindestens einmal im Jahr abgewandert und notfalls mit neuen Wegmarken oder Sicherungen versehen werden; eine Aufgabe, die die Behörden allein gar nicht leisten könnten.

Bergsteiger steht vor gelbem Wegweiser

Verirren unmöglich

Zusätzlich zu den Wanderwegen hat der Schweizer Tourismusverband 1998 außerdem ein offizielles Radwegenetz eröffnet, das stetig ausgebaut wird. Und wer die Berge genießen will, ohne sich dabei selbst zu bewegen, kann einfach in den Zug steigen: Besonders beliebt sind der Glacier-Express von St. Moritz nach Zermatt und die Strecke von Montreux ins Berner Oberland. Auf beiden Routen setzt die Schweizer Eisenbahn verglaste Panoramawagen ein.

Zurück im Tal

Doch auch abseits der Berge hat die Schweiz viel zu bieten. So erstreckt sich zwischen dem Jura-Gebirge im Norden und dem Alpenhauptkamm im Süden das weite Schweizer Mittelland, das mit seinen durchschnittlich 460 Einwohnern pro Quadratkilometer am dichtesten besiedelt und wirtschaftlich am erfolgreichsten ist (Zum Vergleich: In Graubünden leben pro Quadratkilometer nur 26 Einwohner).

Zürich zum Beispiel, reich und mondän, feiert sich als "Lifestyle-Mekka". Im Westen der Stadt haben Künstler, Galeristen und Designer neuen Schwung in alte Industriebrachen gebracht.

Die Hauptstadt Bern punktet dagegen eher mit Beschaulichkeit: Der mittelalterliche Stadtkern mit den Gassen und berühmten Lauben ist ein Gesamtkunstwerk. Kulturbegeisterte sollten außerdem auf keinen Fall die Unesco-Weltkulturerbe-Stadt St. Gallen auslassen. In der dortigen Stiftsbibliothek mit ihrem prunkvollen Barocksaal lagern 2000 wertvolle mittelalterliche Handschriften, darunter eine Handschrift des Nibelungenlieds.

Panoramablick über Berner Altstadt

Beschauliches Bern

Genf wiederum hat den Ruf, die internationalste Stadt des Landes zu sein. Hier haben viele Organisationen der Vereinten Nationen (UN) ihren Sitz. Idyllisch gelegen am Genfer See ist es das Zentrum der französischsprachigen Schweiz.

Schweiz goes India

Doch trotz aller Weltläufigkeit: Das Markenzeichen der Schweiz ist und bleibt der immerwährende Heidi-Traum von den dunklen Tannen, grünen Wiesen und hohen Bergen. Und auch wenn dieses Klischee den Schweizern selbst bisweilen auf die Nerven geht, verdienen sie doch gutes Geld damit – und das mit ganz unverhoffter Kundschaft.

So haben tatsächlich einige Regisseure aus dem fernen Indien das Land als Filmschauplatz entdeckt. Viele der Schmachtfetzen "Made in Bollywood" spielen vor malerischer Bergkulisse. Doch die bevorzugte Drehregion für diese Szenen, der indische Teil von Kaschmir, ist wegen des schwelenden Grenzkonflikts mit Pakistan zu gefährlich – und so weicht man eben auf täuschend ähnliche Schweizer Schauplätze aus.

Wie man hört, sollen die Filmteams so begeistert von dem fernen Land in Europa sein, dass sie, kaum zurückgekehrt, daheim eifrig Werbung für "Holidays in Switzerland" machen. Damit dürfte wohl auch die Zukunft des Schweiz-Tourismus gesichert sein.

Wanderer in Bergkulisse

Und immer wieder Berge

(Erstveröffentlichung: 2008. Letzte Aktualisierung: 06.01.2020)

Quelle: WDR

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