Ein junger griechischer Mann mit zwei Koffern wird in einer Essener Bergbau-Leitstelle von einer Gruppe Männer empfangen

Deutsche Geschichte

Gastarbeiter

In den 1950er-Jahren fehlten in Deutschland Arbeitskräfte, deshalb warb die Regierung im Ausland Arbeitnehmer an. Die meisten wollten eigentlich später in ihre Heimat zurückkehren. Doch viele blieben für immer.

Von Gabriele Trost und Malte Linde

Die Notwendigkeit der Integration

In den 1950er-Jahren dachte noch niemand daran, dass die angeworbenen Arbeitskräfte dauerhaft bleiben würden – weder die Deutschen noch die Ausländer selbst. Heute erkennen selbst konservative Politiker die Tatsache an, dass die Bundesrepublik ein Staat mit Bürgern unterschiedlicher Herkunft ist.

Doch tatsächlich wurde lange nicht erkannt, dass eine wirksame Integrationspolitik Not tut, und dass es um die Stabilität der von vielen Kulturen beeinflussten deutschen Gesellschaft willen erforderlich ist, Chancengleichheit herzustellen.

Die Anfänge

Mit dem Wirtschaftswunder der Bundesrepublik wurden mehr und mehr Arbeitnehmer gesucht, die auf dem inländischen Markt nicht mehr zu finden waren. Und so schloss die Bundesrepublik am 20. Dezember 1955 mit Italien das erste Anwerbeabkommen ab. Es folgten Abkommen mit Griechenland und Spanien (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und dem damaligen Jugoslawien (1968).

Der millionste Gastarbeiter mit seinem Geschenk.

Der millionste Gastarbeiter bekam 1964 als Geschenk ein Moped

Als 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer der Zustrom von ostdeutschen Arbeitskräften endete, war die Anwerbung außerhalb Deutschlands noch dringlicher geworden. 1964 wurde der millionste Gastarbeiter – Armando Rodrigues aus Portugal – feierlich vom damaligen Bundesinnenminister begrüßt.

Sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die "Gastarbeiter" gingen dabei von einem befristeten Aufenthalt aus. Eine langfristige Integration war von der Politik damals nicht vorgesehen. Die meisten machten sich mit wenig Informationen über das Land im Norden auf den Weg nach Deutschland.

Von den Behörden den Unternehmen zugewiesen, erlebten die Gastarbeiter einen ersten Schock: Einfache Holzbaracken in der Nähe ihrer Arbeitsstellen waren von den Unternehmen für die fast durchweg männlichen Arbeiter bereitgestellt worden.

Sprachprobleme, die fremde Umgebung, die zum Teil ungewohnte Arbeit sowie die aufeinandertreffenden unterschiedlichen Mentalitäten galt es zu meistern. Mit Lehrfilmen versuchte man, den Gastarbeitern die deutschen Lebensgewohnheiten nahezubringen – gut gemeinte, aber unbeholfene Versuche. Das Heimweh blieb. Der Gang zum Bahnhof – die Verbindung zur Heimat – war für viele von ihnen wie der Gang zur Kirche.

Die 1960er und 1970er

Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zuwanderer blieben lange Zeit sehr bescheiden. Die meisten kamen zunächst allein und ohne Familienangehörige, lebten in Wohnheimen und Baracken ohne Komfort.

Ihr Ziel war es, einen großen Teil des Einkommens nach Hause zu schicken oder zu sparen, um im Heimatland später eine bessere Existenz aufbauen zu können. Daher akzeptierten sie eher als die Deutschen schmutzige und körperlich schwere Arbeiten.

Doch schon die ersten Anzeichen der Rezession 1966/67 lösten Debatten aus, wie man die Beschäftigung von Ausländern wieder verringern könnte. Und 1973 führte die sich abzeichnende Wirtschafts- und Energiekrise zum Anwerbestopp.

Das "Gastarbeiterproblem", wie es damals oft genannt wurde, war damit aber keinesfalls gelöst: Zwar sank die Zahl ausländischer Arbeitnehmer, aber die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer stieg an.

Der Anwerbestopp wurde zum eigentlichen Beginn des Daueraufenthaltes der Gastarbeiter. Viele holten jetzt ihre Familien nach und begannen, sich auf eine längere Zeit in der Fremde einzurichten. Die Verbindungen zur Heimat reduzierten sich nach und nach, vor allem bei den Kindern, der zweiten Generation.

Die Gegenwart

Ein großer Teil der Gastarbeiter ist mit Familien und Nachkommen in Deutschland geblieben. Viele sind inzwischen deutsche Staatsbürger geworden. Es gibt bemerkenswerte Karrieren in allen Bereichen von Kultur, Wirtschaft und Politik – Namen wie der des Grünen-Politikers Cem Özdemir, des Schriftstellers Feridun Zaimoglu und des Comedians Kaya Yanar sind allgemein bekannt.

Die ausländerfeindlichen Gewalttaten der vergangenen Jahrzehnte, zum Beispiel die Brandanschläge von Mölln (1992) und Solingen (1993), die Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU, 2000 bis 2007), der Anschlag auf zwei Shisha-Bars in Hanau (2020) und viele andere Gewalttaten stehen dagegen für deutsche Fremdenfeindlichkeit.

So war und ist die Geschichte der Gastarbeiter in Deutschland leider zum Teil auch eine Geschichte des gegenseitigen Unverständnisses und der Ablehnung.

Türkische Gastarbeiter-Familie in den 70ern. Zwei Männer sitzen im Wohnzimmer an einem Tisch und spielen Karten. Eine Frau mit Kind sitzt im Hintergrund auf dem Sofa.

Allmählich kamen die Familien nach – und blieben

Der Ausländeranteil in der Bundesrepublik erreichte Ende 2018 mit rund 12 Prozent den höchsten Wert seit Beginn der Aufzeichnungen des Ausländerzentralregisters (AZR) 1967. Damit liegt Deutschland über dem EU-Durchschnitt von 7,5 Prozent. In der Schweiz dagegen betrug der Ausländeranteil 25,1 Prozent, in Luxemburg gar 47,8 Prozent. Staaten wie Bulgarien, Polen oder Rumänien haben hingegen einen Ausländeranteil von rund einem Prozent oder weniger.

Die größte Gruppe unter den Ausländern machen hierzulande die Türken aus, von denen knapp 1,5 Millionen in Deutschland leben. Von der ehemals größten Gruppe, den Italienern, lebten Ende 2018 noch rund 645.000 in Deutschland. Von den 14 Millionen Gastarbeitern, die bis zum Anwerbestopp 1973 nach Deutschland kamen, gingen elf Millionen zurück in ihre Heimatländer.

In den vergangenen Jahren sind viele Migranten aus den EU-Ländern Polen, Rumänien, Bulgarien oder Kroatien zum Arbeiten nach Deutschland gekommen.

Quelle: SWR / WDR | Stand: 18.05.2020, 10:45 Uhr

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