Der kolorierte Stich zeigt Gruppen von Männern, die miteinander kämpfen. Ein Mann wird in Richtung eines Fensters gedrängt.

Prag

Der Prager Fenstersturz

Genau genommen gab es in Prag nicht nur einen, sondern sogar mehrere als "Fenstersturz" bezeichnete Ereignisse. Ursprung war jedes Mal ein Konflikt, der damit endete, dass religiöse oder politische Gegner kurzerhand aus dem Fenster geworfen wurden.

Von Christina Lüdeke

"Defenestrace" sagt man dazu auf Tschechisch, in Anlehnung an das lateinische Wort "fenestra" für "Fenster". Im Deutschen wurde daraus "Defenestration". Wohl am bekanntesten ist der Prager Fenstersturz aus dem Jahr 1618.

Sechs Jahre zuvor war der in Böhmen beliebte Kaiser Rudolf II. gestorben. Nachfolger wurde Rudolfs Bruder Matthias. Er hielt sich nicht an die von Rudolf garantierte Glaubensfreiheit.

Stattdessen wurden viele Protestanten aus den königlichen Diensten entlassen; der Einfluss der Katholiken am Hof nahm zu.

Die empörten protestantischen Adligen richteten zunächst ein Protestschreiben an den Kaiser, auf das dieser jedoch nicht reagierte. Am 23. Mai 1618 machten sie sich auf zur Prager Burg, um dort ihre Anliegen deutlich zum Ausdruck zu bringen.

Sie improvisierten eine Art Gerichtsverhandlung, an deren Ende sie die beiden königlich-habsburgischen Statthalter sowie einen ebenfalls anwesenden Sekretär aus dem Fenster der königlichen Kanzlei warfen.

Die Statthalter und der Sekretär überlebten den Fall aus dem zweiten Stock – weil sie, wie die Protestanten später behaupteten, auf einem Misthaufen gelandet waren. Dennoch war der Fenstersturz Auslöser für den Dreißigjährigen Krieg zwischen Protestanten und Katholiken in ganz Europa.

Der Prager Fenstersturz (am 23.05.1618)

WDR ZeitZeichen 23.05.2018 14:35 Min. Verfügbar bis 20.05.2028 WDR 5


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Die Opfer des ersten Prager Fenstersturzes im Jahr 1419 dagegen überlebten diesen nicht. Ursache waren auch hier religiöse Auseinandersetzungen. Aufgebrachte Anhänger des Reformators Jan Hus warfen katholische Ratsherren aus dem Fenster des Neustädter Rathauses auf den heutigen Karlsplatz.

Die Ratsherren fielen direkt auf die Spieße der auf dem Platz versammelten Menschenmenge. Dieses blutige Ereignis löste die sogenannten Hussitenkriege aus, die das Land zwei Jahrzehnte lang erschütterten.

Im Jahr 1483 dann stürzten Prager Bürger den damaligen Bürgermeister aus dem Fenster des Rathauses, um einer geplanten Verschwörung katholischer Stadträte entgegenzuwirken. Dieser Sturz ist allerdings weniger bekannt, da seine Folgen weniger nachhaltig waren.

Der jüngste Fenstersturz stammt aus der Neuzeit, aus dem Jahr 1948. Damals fiel unter mysteriösen Umständen der damalige Außenminister Jan Masaryk aus dem Fenster seines Büros. Masaryk war Sohn des Republikgründers Thomáš G. Masaryk und der einzige Nichtkommunist in einem stalinistischen Kabinett.

Obwohl sein Tod offiziell als Selbsttötung dargestellt wurde, erschien es vielen als äußerst merkwürdig, dass der letzte hochkarätige Systemkritiker seiner Zeit ausgerechnet durch einen Fenstersturz ums Leben gekommen sein sollte.

Die Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt einen nachdenklichen Mann mit Halbglatze an einem mit Papieren bedeckten Schreibtisch, dahinter ist ein Bücherregal zu sehen.

Ob sich Jan Masaryk wirklich selbst tötete, wird angezweifelt

(Erstveröffentlichung 2008. Letzte Aktualisierung 09.04.2020)

Quelle: WDR

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