Straßenschild mit lettischer und teils überklebter russischer Schrift.

Lettland

Die baltischen Sprachen

Die Zeit der Sowjetunion hat Spuren hinterlassen – auch in den Sprachen des Baltikums. Heute werden Litauisch und Lettisch besonders gepflegt.

Von Jennie Radü

Stirbt die lettische Sprache aus?

In Lettland beherrschte in den 1990er-Jahren nur noch jeder Zweite die lettische Sprache, in der Hauptstadt Riga sogar nur noch jeder Dritte. In Litauen hat sich das Russische zwar nicht so stark durchsetzen können. Dennoch gibt es auch hier die Furcht vor einer Überfremdung der Sprache.

Eine parlamentarische Kommission wacht daher über die Reinheit des Litauischen, und in Lettland ist Lettisch als Amtssprache in der Verfassung des Landes verankert.

Ähnlichkeiten mit Sanskrit und Latein

Obwohl Lettisch weltweit nur von zwei Millionen und Litauisch von rund vier Millionen Menschen gesprochen wird, interessieren sich viele Wissenschaftler für die beiden Sprachen. Beide gelten als sehr archaisch – das Litauische noch mehr als das Lettische.

Zu der Gruppe der baltischen Sprachen zählten ursprünglich auch Altpreußisch und Kurisch. Beide sind heute jedoch ausgestorben. Obwohl Estland zum Baltikum gehört, zählt die Sprache der Esten nicht zu den baltischen Sprachen. Sie gehört zur finno-ugrischen Gruppe und ist eng mit dem Finnischen verwandt.

Vokabelbuch eines Litauisch-Lernenden: Begriffe rund ums Wetter

Vokabelbuch eines Litauisch-Lernenden: Begriffe rund ums Wetter

Im Lettischen und Litauischen haben sich bestimmte Eigenschaften der indogermanischen Ursprungssprache stärker bewahrt als in anderen heute noch gesprochenen Sprachen. Insbesondere in den traditionellen Volksliedern und Gedichten werden Ähnlichkeiten mit Latein und Sanskrit deutlich.

Zu erkennen ist das beispielsweise an dem alten Sprichwort "Hat Gott Zähne gegeben, so wird er auch Brot geben":

  • Lettisch: "Dievs deva zobus, Dievs dos maizes donu."
  • Litauisch: "Dievas dave dantis; Dievas duos duonos."
  • Sanskrit: "Devos adadat datas; Devas dat [oder dadat] dhanas."
  • Latein: "Deus dedit dentes; Deus dabit panem."

Innerhalb der indogermanischen Sprachen sind Lettisch und Litauisch zwar miteinander verwandt, aber anders als oft angenommen besteht keine enge Verbindung zu germanischen oder slawischen Sprachen. Erst die Ordensritter, die schwedischen und russischen Besatzer sowie die Union zwischen Litauen und Polen prägten die baltischen Sprachen durch ihre eigenen Begriffe.

Unterricht in einer lettischen Dorfschule, im Vordergrund das Buch "Latviešu Valoda".

"Latvie Valoda" – die lettische Sprache

Schwierige Verständigung und die Angst vor Überfremdung

Trotz der Verwandtschaft ihrer Sprachen müssen sich Litauer und Letten wie alle anderen Touristen mit Englisch, Russisch oder Händen und Füßen behelfen, wenn sie miteinander ins Gespräch kommen wollen. Es gibt einige Wörter und Formen, die sich ähneln und anhand derer sich einiges vermuten lässt – aber das trifft längst nicht auf alle zu.

Noch komplizierter werden die Verhältnisse durch die verschiedenen Dialekte. Innerhalb des Litauischen unterscheidet man Hochlitauisch und Niederlitauisch, die etwa so unterschiedlich sind wie Hoch- und Plattdeutsch.

Doch auch die beiden Dialekte sind keineswegs homogen, sondern weisen große regionale Unterschiede auf. In Lettland unterscheidet man die Hauptdialekte Zentral-, Tamisch- und Hochlettisch. Darüber hinaus gibt es mehr als 500 verschiedene Mundarten.

Neuerdings prägt auch das Englische die beiden Sprachen. Doch die litauische Regierung versucht dem entgegenzuwirken. Eine oft verspottete parlamentarische Kommission überwacht nicht nur die Aussprache von Radio- und Fernseh-Moderatoren, sondern erfindet auch neue Begriffe.

Dazu zählt beispielsweise das Wort "žiniasklaida" für "Medien" – wörtlich übersetzt heißt das "Nachrichtenausbreiter". Der Computer dagegen darf schlicht "kompiuteris" heißen.

Tafel mit der Aufschrift "Smoke Free Pub" in einem Pub in Riga.

Wer englisch spricht, den verstehen auch die Touristen

Fremde Namen – baltische Namen

Lettisch und Litauisch sind flektierende Sprachen. Das heißt: Es werden Endungen an die Wortstämme angehängt, dafür wird auf Artikel verzichtet. Das gilt für Begriffe ebenso wie für Namen – natürlich auch für ausländische.

Einige Beispiele: William Shakespeare heißt auf lettisch Viljams Šekspīrs, auf litauisch Vilijamas Šekspyras. Harry Potter wird auf lettisch zu Harijs Poters, auf litauisch zu Haris Poteris.

Anhand litauischer Familiennamen kann man erkennen, ob es sich um einen Mann, eine Frau oder eine unverheiratete Frau handelt. Ein Familienvater – nennen wir ihn Petras Kazlauskas – wäre beispielsweise mit Janina Kazlauskienė verheiratet.

Würden sie ihre Tochter ebenfalls Janina nennen, hieße diese dennoch anders als ihre Mutter – nämlich Janina Kazlauskaitė. Diese hätte wiederum den gleichen Nachnamen wie ihre unverheiratete Tante Elena Kazlauskaitė.

Seit einiger Zeit gibt es auch die Möglichkeit, den alten Namen bei einer Hochzeit zu behalten.

Niedliche Sprachen

Das Hochdeutsche kennt nur zwei Verkleinerungsformen, sogenannte Diminutive: "-chen" und "-lein". Im Lettischen dagegen gibt es einige mehr und im Litauischen sogar unzählbar viele.

Nicht nur Substantive werden auf diese Art verniedlicht, sondern auch Adjektive, Verben und Adverbien. Die vielen Verkleinerungsformen haben zum Teil unterschiedliche Bedeutungen.

Im Deutschen müssen wir Adjektive hinzufügen, um zu beschreiben, ob ein Mütterchen lieb, gut, zart oder teuer ist. Im Litauischen sprechen die Koseformen mamėlė, mamytė, mamaitė oder mamužėlė für sich. Insgesamt gibt es allein für das Wort Mutter 66 Verkleinerungsformen – darunter die fünffache Koseform mamaitužužužėlė.

Die Grammatik der beiden Sprachen ist ziemlich kompliziert. Gerade deshalb freuen sich Letten und Litauer in der Regel über jeden noch so zaghaften Versuch, ihre Sprachen zu lernen – und sehen großzügig über grammatikalische Fehlerlein und Irrtümchen hinweg.

Blättern in einem Litauisch-Wörterbuch.

Diminutive stehen nicht im offiziellen Wörterbuch

(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 27.05.2020)

Quelle: WDR

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