Simulation: Schwarzes Loch saugt Licht an

Astronomie

Das Geheimnis der Gravitationswellen

Vor mehr als einer Milliarde Jahren in den Tiefen des Universums verfängt sich ein schwarzes Loch im Schwerefeld eines weiteren schwarzen Loches. Es beginnt ein kosmischer Kampf zwischen diesen galaktischen Ungeheuern, der in einer gewaltigen Explosion endet.

Von Sebastian Funk

Eine schicksalhafte Nachtschicht in Hannover

Es ist die Nacht des 14. September 2015. Der Datenanalyst Marco Drago sitzt vor seinem Computer in Hannover und wertet Messdaten aus. Drago gehört zu einer globalen Gruppe von Physikern, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, eine 100 Jahre alte Theorie von Albert Einstein zu beweisen: die Theorie der Gravitationswellen.

Dazu wurden kilometerlange Messinstrumente in den USA erbaut. Es ist das "Laser Interferometer Gravitationswellen Observatorium", kurz LIGO.

Die riesigen Interferometer stehen in den US-Städten Livingston und Hanford. Vier Kilometer lange, im rechten Winkel aufgestellte Doppelröhren, in denen absolutes Vakuum herrscht und präzise Spiegel Laserstrahlen reflektieren.

Als an diesem Abend das Computersystem des LIGO Alarm schlägt, ahnt Marco Drago noch nicht, dass er der erste Mensch ist, der in der 40-jährigen Geschichte des LIGO das Signal einer echten Gravitationswelle sieht. Die 100 Jahre lange Suche hat ein Ende. Ein neues Tor zum Universum ist geöffnet.

Luftbild des LIGO-Obersavatoriums in Hanford

In Hanford baute LIGO kilometerlange Messinstrumente

Was sind Gravitationswellen?

Albert Einstein hatte in seiner allgemeinen Relativitätstheorie auch die Gravitation untersucht und diese als einen Effekt von Raum und Zeit beschrieben. In seiner Vorstellung sind Raum und Zeit wie ein Gummituch verwoben. Jede Energie, jede Masse in unserem Universum – sei es eine Sonne, ein Planet oder ein Hamster – erzeugt eine Delle in diesem Tuch. Je tiefer die erzeugte Delle, desto größer die Gravitation, also die Anziehungskraft des Objektes.

Bewegen sich die Objekte auf diesem Tuch, von Einstein als Raumzeit bezeichnet, dann erzeugen sie Wellen in der Raumzeit. In etwa wie bei einem Boot, das sich über die ruhige Wasseroberfläche eines Sees bewegt und Wellen auslöst.

Bei der Raumzeit bedeuten diese Wellen, dass sowohl Raum als auch Zeit kurzzeitig gestaucht und gedehnt werden. Diese Wellen in der Raumzeit bezeichnet Einstein als Gravitationswellen. Da Gravitationswellen keine Masse haben, bewegen sie sich mit Lichtgeschwindigkeit durch die Raumzeit fort. Es dauerte 100 Jahre, bis Einsteins Theorie durch das LIGO bewiesen werden konnte.

Einstein und die Gravitation

Planet Wissen 14.01.2020 02:39 Min. Verfügbar bis 14.01.2025 WDR Von Sanaz Saleh-Ebrahimi, Heinz Greuling

Woher stammen die Gravitationswellen?

Die Gravitationswelle, die am 14. September 2015 unsere Erde in der Raumzeit schwingen lässt, hat ihren Ursprung vor 1,4 Milliarden Jahren weit hinter der Magellan‘schen Wolke im Sternbild Schwertfisch. Dieses Sternbild ist nur von der Südhalbkugel der Erde zu sehen.

Zwei schwarze Löcher kamen sich dabei näher und stürzten ineinander. Dabei umkreisten sie sich auf immer enger werdenden Spiralbahnen. Durch diese Bewegung entstand die Gravitationswelle, die auf der Erde gemessen werden sollte.

Die Physiker des LIGO können anhand der Form und Frequenz der Gravitationswelle Rückschlüsse auf die beiden schwarzen Löcher ziehen. Eines der schwarzen Löcher war knapp 30-mal so schwer wie unsere Sonne, das andere hatte 35 Sonnenmassen.

Nachdem die beiden schwarzen Löcher auf 350 Kilometer aneinandergerückt waren, verschmolzen sie in gerade einmal 0,2 Sekunden zu einem neuen schwarzen Loch. Dieses hat eine Masse von 62 Sonnenmassen.

Die übrigen drei Sonnenmassen wurden in Form der Gravitationswelle abgestrahlt. Dabei hatte die Welle zu Beginn eine unfassbare Leistung. 36.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000 Watt. Es gibt kein Wort für diese extrem große Zahl, weshalb Physiker sie mit 3,6 mal 10 hoch 49 Watt abkürzen. Die Welle breitet sich mit Lichtgeschwindigkeit in alle Richtungen gleichmäßig aus, verteilt so ihre Energie.

Computersimulation einer Kollision schwarzer Löcher

Computersimulation einer Kollision schwarzer Löcher

Mit einer 150 Jahre alten Erfindung Gravitationswellen messen!

Für uns Menschen sind Gravitationswellen nicht spürbar. Tatsächlich braucht es Messinstrumente, die bereits eine Längenänderung um das Tausendstel des Durchmessers eines Protons messen können: eine unvorstellbare Winzigkeit.

Doch mit einem Trick ist es möglich: Man benötigt dazu ein Interferometer. Das Interferometer geht auf Albert A. Michelson zurück. Der preußische Physiker konstruierte 1883 ein Gerät, um mittels zweier Lichtstrahlen eine Interferenz zu erzeugen, also eine Veränderung zwischen den Wellenberghöhen und Wellentaltiefen.

Da Licht einen Wellencharakter hat, ist es möglich, auch mit Licht Interferenzen zu erzeugen. Dazu müssen die Lichtstrahlen aber die gleiche Wellenlänge haben. Sind die beiden Lichtstrahlen im gleichen Wellentakt, so addiert sich Wellenberg mit Wellenberg, Wellental mit Wellental. Sind sie aber aus dem Takt gebracht, so kommt es zur ganzen oder teilweisen Auslöschung der Wellenberge und Wellentäler. Ein typisches Interferenzmuster entsteht. Es gibt Bereiche mit Verstärkungen und Bereiche mit totaler Auslöschung. Auf einem Bildschirm entstehen so helle und dunkle Lichtmuster.

Wie kann ein Laser-Interferometer Gravitationswellen messen?

Ein Laser-Interferometer nutzt die Tatsache aus, dass Laserlicht immer mit der gleichen Wellenlänge schwingt. Der Laserstrahl wird durch einen halbdurchlässigen Spiegel geschickt, sodass sich der Strahl im 90-Grad-Winkel aufteilt. Beide Laserstrahlen machen sich nun auf die gleichlange Reise zum Spiegel am Ende des Strahlrohrs und von dort aus wieder zurück.

Nur werden die Strahlen vom ersten halbdurchlässigen Spiegel zu einem Detektor geleitet. Da beide Strahlen gleich lang unterwegs waren, ist ihr Takt auch gleich. Der Detektor sieht keine Interferenz.

Eine Gravitationswelle dehnt jedoch sowohl die Zeit als auch den Raum. Die Folge: Wenn eine Gravitationswelle auf das Interferometer trifft, kommen die beiden Laserstrahlen in den beiden Strahlrohren aus dem Takt. Dadurch kommt es zu einem Interferenzmuster, das Signal einer Gravitationswelle. Die LIGO-Detektor-Software errechnet dann das typische Wellenmuster, das schließlich auch akustisch wiedergegeben werden kann.

Interferometer Geo600

Der Laser-Interferometer GEO600 des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik

Echte Welle oder falsche Welle – fünf Monate Ungewissheit

Die Suche nach Gravitationswellen ist nicht leicht. Jeder Stoß, jeder vorbeifahrende LKW, ja selbst die Brandung des fernen Ozeans wird von den LIGO-Detektoren gemessen.

Es sind feine Wellenmuster, die es zu unterscheiden gilt. Die irdischen Wellen haben die Physiker schnell herausgefiltert, doch wie sieht nun eine Gravitationswelle für die Messinstrumente aus?

Dazu wurden mathematische Modelle entwickelt, quasi Schablonen, die zum Beispiel einen rotierenden Neutronenstern simulieren, oder eben zwei ineinanderstürzende schwarze Löcher. Diese Schablonen werden dann über die gemessenen Daten gelegt und die Entscheidung kann getroffen werden: Ist es eine Gravitationswelle oder eben nicht.

Zusätzlich wurden und werden immer wieder täuschend echte Testwellen in das System gespielt. So will man den Ernstfall üben – von der Messung bis zur Überprüfung. Tagelang haben die LIGO-Mitarbeiter so schon Berechnungen und Analysen durchgeführt, bis erst zum Schluss verkündet wurde, dass es nur ein Test war.

Daher wird das Signal vom 15. September 2015 auch erstmal geheim gehalten. Denn niemand weiß zunächst, ob es ein echtes Signal ist oder ein simuliertes. Dann stellt sich heraus: Es ist kein Test! Es ist das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass eine Gravitationswelle gemessen werden konnte.

Die Physiker des LIGO-Netzwerks kommen jedoch zu dem Schluss, dass diese Nachricht erst nach sorgfältiger wissenschaftlicher Untersuchung verkündet werden darf. So kommt es, dass erst fünf Monate später, im Februar 2016, die Öffentlichkeit über die Entdeckung informiert wird. Erst dann können wirklich alle Ergebnisse und Untersuchungen veröffentlicht werden. Darunter auch ein zirpendes Geräusch, das entsteht, wenn man die gemessene Gravitationswelle in den hörbaren Frequenzbereich transformiert.

Der Nobelpreis der Physik

Bis zum Februar 2016 war die Astronomie auf optische, Infrarot- und Radio-Teleskope angewiesen, um die Geheimnisse des Universums zu ergründen. Das Problem dabei war stets, dass man nur Objekte entdecken konnte, die Licht ausstrahlen, und sei es noch so schwach. Dunkle Objekte, wie schwarze Löcher, konnten lediglich indirekt untersucht werden.

Mit der Entdeckung der Gravitationswellen kann das Universum nun nicht nur gesehen werden, sondern auch gehört werden. Mit der Untersuchung der Gravitationswellen können erstmals schwarze Löcher direkt nachgewiesen werden. Aber auch andere massereiche Objekte, wie explodierende Sterne, die Supernovae, oder Neutronensterne, können nun näher untersucht werden. 100 Jahre nach Einsteins Vorhersage haben die Wissenschaftler nun die Möglichkeit, ihr Universum völlig neu zu begreifen und zu erforschen.

Die Hingabe und jahrzehntelange Suche nach den Gravitationswellen wurde 2016 mit dem Nobelpreis für Physik belohnt. Die Preisträger Rainer Weiss, Barry Barish und Kip Thorne sind die Begründer und Leiter des LIGO. Sie erhalten den Preis stellvertretend für die vielen tausend Wissenschaftler und Ingenieure, die Albert Einsteins Theorie bewiesen haben: mit dem Nachweis der Gravitationswellen.

Barry Barish, Kip Thorne und Rainer Weiss

Barry Barish, Kip Thorne und Rainer Weiss erhielten 2017 den Nobelpreis für Physik

Quelle: WDR | Stand: 19.09.2019, 16:00 Uhr

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