
Deutsche Geschichte
Rechtspopulismus: Wie er sich in Europa entwickelt hat
Dem Österreicher Jörg Haider gelang die Verschmelzung des klassischen Rechtsextremismus mit dem Rechtspopulismus. Er inszenierte radikal rechte Inhalte als modern. Haiders Umgang mit Medien dient bis heute vielen Rechtspopulisten in ganz Europa als Vorbild.
Von Thies Marsen
Anfänge in Skandinavien
Die ersten rechtspopulistischen Parteien entstanden in den 1970er-Jahren in Skandinavien und richteten sich zunächst vor allem gegen den skandinavischen Wohlfahrtsstaat, dem sie ein dezidiert wirtschaftsliberales Modell entgegenstellten.
Damit grenzten sie sich auch wirtschaftspolitisch klar von klassischen rechtsradikalen Parteien ab, deren Vorstellungen eher – im Wortsinne – national-sozialistisch geprägt waren. Denen also eine Wirtschaftsordnung vorschwebte, die einerseits völkisch-nationalistisch geprägt ist, andererseits aber auf einem gewissen sozialen Ausgleich beruht.
Jörg Haider und die FPÖ
Die Versöhnung des klassischen Rechtsextremismus mit dem modernen Rechtspopulismus gelang schließlich dem Österreicher Jörg Haider, nachdem er in den 1980er-Jahren den Vorsitz der FPÖ übernommen hatte und die Partei nach seinen Vorstellungen umgestaltete.
Die FPÖ war von Altnazis gegründet worden und wurde lange Zeit von einstigen SS-Mitgliedern dominiert. Haider verstand es, radikal rechte Inhalte modern zu inszenieren. Insbesondere sein Umgang mit Medien dient bis heute als Vorbild für Rechtspopulisten in ganz Europa.

Jörg Haider kleidete die FPÖ in ein neues Gewand – mit alten Inhalten
Frankreichs "Front National"
Ähnlich wie die FPÖ entstammt auch der französische Front National (FN) dem rechtsextremen Spektrum und verfolgte jahrzehntelang eine klar rassistische und antisemitische Politik.
Schon Gründer Jean-Marie LePen feierte Erfolge, schaffte es etwa in die Stichwahl um die Präsidentschaft. So richtig Fahrt nahm der Erfolg des FN aber erst unter seiner Tochter Marine LePen auf, die der Partei ein gemäßigteres Image verpasste und es damit 2017 ebenfalls in die Stichwahl ums Präsidentenamt brachte.
Zuvor ließ Marine Le Pen zahlreiche FN-Mitglieder, die sich antisemitisch, rassistisch, NS-verherrlichend oder homophob geäußert oder die Kolonialgeschichte Frankreichs verharmlost hatten, aus der Partei ausschließen. Im August 2015 warf sie sogar ihren eigenen Vater aus dem FN.
Trotz all dieser vor allem kosmetischen beziehungsweise machttaktischen Veränderungen beruht das Erfolgsrezept des FN laut der Politikwissenschaftlerin Karin Priester weiterhin auf "ethno-nationalistischer Fremdenfeindlichkeit und der Vermischung von Anti-System und Anti-Establishment-Rhetorik". Ein Rezept, das rechtspopulistische Parteien in ganz Europa zu kopieren versuchen.

Warf aus taktischen Gründen sogar ihren Vater aus der Partei: Marine Le Pen
Ausnahme Niederlande
Eine Besonderheit ist die Entwicklung in den Niederlanden, wo sich Rechtspopulisten in gesellschaftspolitischen Fragen stets betont liberal geben und zugleich den Islam zum Hauptfeind erkoren haben. Vorreiter dieser Entwicklung war der offen homosexuelle Professor Pim Fortuyn, der 2002 von einem radikalen Tierschützer ermordet wurde.
Sein Erbe hat Geert Wilders angetreten mit seiner "Partei für die Freiheit". Seine explizite Anti-Islam-Rhetorik erklärt praktisch sämtliche Muslime zu Feinden westlicher Werte. So hat es Wilders geschafft, Rechtspopulisten in ganz Europa eine Argumentationsvorlage zu liefern.
Nicht umsonst wird Wilders auch von deutschen Rechtspopulisten regelmäßig als Redner eingeladen, etwa von der inzwischen aufgelösten Anti-Islam-Partei "Die Freiheit" oder von Pegida.

Hat die Islamfeindlichkeit salonfähig gemacht: Geert Wilders
Spätzünder Deutschland
In Deutschland gibt es seit Jahrzehnten Versuche, rechtspopulistische Parteien und Bewegungen zu etablieren – etwa die "Schill-Partei", oder den "Bund freier Bürger". Doch meist hatten diese Versuche keinen langfristigen Erfolg. Das scheint sich durch die "Alternative für Deutschland" (AfD) geändert zu haben.
Die Partei hat seit ihrer Gründung im Jahr 2013 die Entwicklung des europäischen Rechtspopulismus sozusagen im Schnelldurchlauf vollzogen. Ursprünglich als Anti-Euro-Partei entstanden, hat sie sich binnen kürzester Zeit zu einer Anti-Establishment-Partei entwickelt, deren Vertreter inzwischen immer öfter mit extrem rechter Rhetorik auffallen.

AfD-Mitglieder wie Björn Höcke (links) fallen immer wieder durch den Schulterschluss mit extrem Rechten auf
Ungarn und Polen – Abbau der Demokratie
Übrigens: Die Anti-Establishment-Rhetorik wird auch dann weiterverfolgt, wenn rechtspopulistische Parteien die Macht übernommen haben, also eigentlich selbst das Establishment stellen. Das zeigen die Beispiele Ungarn und Polen, wo die Parteien Fidesz beziehungsweise PiS regieren.
Während sich in Polen die PiS als Kämpferin gegen angeblich noch existierende Seilschaften aus der Zeit des Kommunismus und als Opfer internationaler Verschwörungen darstellt, wendet Ungarns Regierungschef Victor Orban seine Polemiken inzwischen vornehmlich gegen Brüssel und lässt engste Mitarbeiter gegen "Kosmopoliten" hetzen, womit seine Partei unverhohlen antisemitische Stereotype bedient.
Zugleich wird der Staat – in Ungarn ebenso wie in Polen – im Sinne der Regierungsparteien umgestaltet: Die Rechtspopulisten an der Macht höhlen das Justizsystem aus, "säubern" die Verwaltung und gesellschaftliche Institutionen von liberal Denkenden, knebeln und schüchtern die freie Presse ein und bringen die öffentlich-rechtlichen Medien auf Linie. Kurz: Sie wandeln die Demokratie und den Rechtsstaat nach und nach in ein autoritäres Regime um.

Gestaltete den ungarischen Staat nach seinen Vorstellungen um: Victor Orbán
Quelle: BR | Stand: 25.09.2018, 10:17 Uhr