Passanten laufen an einem zerstörten jüdischen Geschäft vorbei.

Novemberpogrome

Wer musste für die Novemberpogrome zahlen?

Die Schäden der Novemberpogrome waren enorm. Zahllose jüdische Geschäfte, Synagogen und Privatwohnungen waren zerstört. Wer kam eigentlich dafür auf?

Von Kathrin Schamoni

Die Zerstörungswut in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 war massiv, die Schäden beliefen sich auf eine dreistellige Millionensumme Reichsmark. Wer sollte das bezahlen? Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDSP) befasste sich hiermit am 12. November 1938 bei der Besprechung über die "Judenfrage". Die Lage der Reichsfinanzen sah alles andere als gut aus.

Hermann Göring, der als zweiter Mann hinter Adolf Hitler galt, nannte die Pogrome eine "volkswirtschaftlich unsinnige Zerstörung von Sachwerten". Göring war für den Vierjahresplan verantwortlich – also dafür, die Wirtschaft bereit zu machen für den Krieg. "Mir wäre es lieber gewesen, ihr hättet 200 Juden erschlagen und hättet nicht solche Werte vernichtet", sagte Göring zu Joseph Goebbels, dem Initiator der Pogromnacht.

Schließlich machte Göring den Vorschlag, allen Juden eine "Sühne" aufzuerlegen: Eine Milliarde Reichsmark hatten sie an das Deutsche Reich zu zahlen. Zudem mussten die Juden ihre Versicherungsansprüche komplett an den Staat abtreten.

Doch nicht alle demolierten Geschäfte und Wohnungen gehörten tatsächlich Juden. Oft waren sie nur von ihnen gemietet, die Eigentümer waren Nichtjuden. Daher mussten die Versicherungen für diese Schäden aufkommen.

Den Juden wurde weiterhin jeglicher Besitz von Vermögen, Grundeigentum, Wertpapieren, Juwelen, Schmuck und Kunstgegenständen verboten – diese Werte gingen ebenfalls an den Staat. All das wurde in den Pogromverordnungen am 12. November festgelegt.

Folglich mussten die Juden die Schäden der Pogrome, die ihnen von den Nationalsozialisten zugefügt worden waren, selbst beseitigen und bezahlen. Es passte in den Plan der Partei, die jüdische Bevölkerung komplett aus dem wirtschaftlichen Leben auszuschließen.

Die wahren Täter des Novemberpogroms aber kamen straffrei davon. Das Oberste Parteigericht der NSDAP hatte sich mit einer Fülle von Verfahren wegen Mordes, Plünderung und Vergewaltigung im Zuge der Pogromnacht zu befassen, die jedoch größtenteils niedergeschlagen wurden.

Auch hier musste sich Goebbels Kritik gefallen lassen. Das Gericht beanstandete seine "verschleierte Befehlsgebung", die besagte, dass die Partei den Pogrom nicht organisieren sollte, spontanen Gewaltausbrüchen aber auch nicht entgegenzutreten hatte. Durch diesen "indirekten Befehl" sei es schwierig gewesen, die Verfahren abzuwenden.

Jeder in der Öffentlichkeit wusste, dass nicht die "kochende Volksseele" oder "der spontane Volkszorn" für die Pogrome verantwortlich gewesen waren, wie es die staatlich gelenkte Presse schrieb. "Wenn in einer Nacht sämtliche Synagogen abbrennen, so muss das irgendwie organisiert sein und kann nur organisiert sein von der Partei", hieß es im Gerichtsbericht.

(Erstveröffentlichung 2008. Letzte Aktualisierung 22.11.2019)

Quelle: WDR

Darstellung: