Persönlichkeiten

Nobelpreisträger

Mehr als 750 Forscher, Literaten und Politiker haben den Nobelpreis bisher bekommen. Vergleicht man die Lebensläufe, das Umfeld und die Herkunftsorte der Preisträger miteinander, werden Muster erkennbar. Frauen zum Beispiel gehen oft leer aus.

Von Johannes Hirschler

Ein Preis der Industrienationen

Besonders viele Nobelpreise gehen an Persönlichkeiten aus den westlichen Industriestaaten: Die meisten Preisträger kommen aus den USA, England, Deutschland und Frankreich. In den Naturwissenschaften liegt das zum einen daran, dass die Forschungsteams eingespielt sind und gut finanziert werden.

Zum anderen dürfen nur ehemalige Preisträger und ausgewählte Professoren einen Forscher für den Nobelpreis nominieren und Gutachten schreiben. Vermutlich begutachten sich die Wissenschaftler im Laufe ihrer Forscherkarrieren auch untereinander – das System Nobelpreis verstärkt sich so selbst.

Preisträger 1905: Robert Koch | Bildquelle: akg-images / RIA Nowosti

Bis zum Zweiten Weltkrieg waren die deutschen Hochschulen auf vielen Gebieten von der Medizin bis zur physikalischen Grundlagenforschung führend. Eine kleine Auswahl:

Max Planck wurde 1918 für seine Quantentheorie ausgezeichnet, Werner Heisenberg für die Entdeckung der Quantenmechanik; Adolf Windaus (1928) und Richard Kuhn (1938) bekamen die Chemie-Nobelpreise für die Erforschung von Vitaminen.

Der Bakteriologe Robert Koch entdeckte 1882 das Tuberkulosebakterium und ein Jahr später den Erreger der Cholera. Mit seinen Forschungen zur Hygiene half er, die Sterblichkeitsrate entscheidend zu senken. Koch erhielt 1905 für seine Arbeit zur Tuberkulose den Medizin-Nobelpreis.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verlagerte sich der Schwerpunkt. Seitdem kommt ein Großteil der Preisträger aus den USA. Preisträger, die nicht aus den USA oder Europa stammen, sind selten.

Die wichtigsten Fähigkeiten

Um eines Tages den Nobelpreis zu gewinnen, müssen verschiedene Faktoren zusammenkommen: Neugierde und Begabung etwa, das richtige familiäre und schulische Umfeld und die Möglichkeit, mit Stipendien und Forschungsaufträgen an bestimmten Problemen zu arbeiten.

Doch am wichtigsten ist die Fähigkeit, außerhalb vertrauter Bahnen zu denken. Das zeigt das Beispiel von Klaus von Klitzing, der 1985 für die Entdeckung des quantisierten Hall-Effektes den Physik-Nobelpreis erhielt. Alle experimentellen Daten waren schon zwei Jahre vor seiner Entdeckung veröffentlicht.

"Jeder, der die Literatur lesen kann, hat die Chance gehabt, den Quanten-Hall-Effekt zu entdeckenden und den Nobelpreis dafür zu bekommen", sagte Klaus von Klitzing später.

Doch dass schließlich er die unerwarteten Messergebnisse richtig interpretierte, verdankte er auch längst zurückliegenden Ferienjobs als Werksstudent, durch die er einen anderen Blickwinkel hatte als seine Kollegen.

Seine Entdeckung über das Verhalten von Widerständen in Magnetfeldern war nicht nur eine Sensation für die Physik, sondern auch für die Entwicklung hochintegrierter Schaltelemente. Es war die Grundlage für das Eichen elektronischer Messgeräte.

Prägende Kindheitserlebnisse

Die meisten Nobelpreisträger wandten sich schon in der frühesten Kindheit der Wissenschaft zu. Albert Einstein, 1921 für die Relativitätstheorie mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet, hatte sein Schlüsselerlebnis, als er als kleiner Junge die rätselhaften Bewegungen eines Kompasses verfolgte.

Gestatten: Albert, vier Jahre alt, Genie in spe | Bildquelle: akg-images

Auch die britische Chemikerin Dorothy Crowfoot Hodgkin, deren Arbeiten zur Röntgenstrukturanalyse von Atomen entscheidende Fortschritte bei der Entwicklung von Medikamenten wie Insulin brachten, erinnert sich an ein solches Erlebnis.

Bei einer Hauslehrerin lernte sie als Zehnjährige bei der Einführung in die Chemie, aus gesättigten Lösungen Kristalle zu züchten. "Ich war von der Eleganz und Schönheit der Kristalle augenblicklich gefangen."

Schönheit und Eleganz sowie der Gedanke des Spiels sind für die meisten Preisträger wichtig. Viele von ihnen spielen ein Instrument oder neigen sogar zu einer Musikerlaufbahn.

Albert Einstein zum Beispiel beherrschte die Geige. Manfred Eigen, 1967 mit dem Nobelpreis geehrt, schwankte lange zwischen Chemie- und Musikstudium.

Der Chemiker Richard Ernst wollte ursprünglich Komponist werden. Im Jahr 1991 bekam Ernst den Nobelpreis für seine Untersuchungen zur Kernresonanzspektroskopie: "Was ich damals tat, hatte eigentlich viel mit Musik zu tun. Ich machte Frequenzanalysen und habe sozusagen bestimmte Töne voneinander getrennt."

Forschung gelingt selten im Alleingang

Voneinander lernen und aufeinander hören ist auch für die Naturwissenschaften unabdingbar. Kaum eine wichtige Entwicklung gelingt heute im Alleingang, Forschergruppen mit mehr als 80 Teilnehmern und wissenschaftliche Aufsätze mit 15 und mehr Autoren sind keine Seltenheit.

Deshalb war Klaus von Klitzings erste Frage, als er den Anruf aus Stockholm entgegennahm, mit wem er sich den Preis denn teile.

Häufig wird kritisiert, dass der Nobelpreis, der an maximal drei Personen in einem Fach vergeben werden kann, der heutigen Realität nicht mehr gerecht werde und einem überholten Forschermodell vom einsamen Genie anhänge.

Es ist nicht selten, dass Institutsleiter die Lorbeeren für die Arbeit ihrer Assistenten einheimsen.

Viel zu selten: Nobelpreisträgerinnen

Auch Lise Meitner (1878-1968) ist so ein Fall. Die österreichisch-schwedische Physikerin forschte mehr als 30 Jahre lang gemeinsam mit Otto Hahn an radioaktiven Elementen.

Den Nobelpreis für die Entdeckung der Kernspaltung jedoch erhielt Hahn 1944 alleine, obwohl Lise Meitner maßgeblich daran beteiligt war und die physikalische Erklärung für die Entdeckung lieferte.

Lise Meitner arbeitete 1908 bis 1938 an Otto Hahns Seite | Bildquelle: dpa Picture-Alliance/Rauchwett

Betrachtet man alle Nobelpreisträger, so stehen 825 Männern gerade einmal 49 weibliche Preisträger gegenüber. Ein Bild, das sich auch bei der Präsenz von Frauen in Spitzenpositionen der Forschung wiederfindet. Die wohl berühmteste Nobelpreisträgerin ist die Physikerin Marie Curie, die sogar zweimal die begehrte Auszeichnung erhielt.

Leben mit dem Preis

Und wie sieht das Leben nach dem Preis aus? Der US-Physiker Dao Lee, 1957 mit 31 Jahren ausgezeichnet, soll gesagt haben: "Mein Gott, was wird nun aus dem Rest meines Lebens?"

Nobelpreisträger stehen in der Öffentlichkeit. Sie werden automatisch zu Repräsentanten ihrer Profession und ihres Landes. Sie erhalten Einladungen zu zahlreichen Kongressen und werden unabhängig von ihrer Kompetenz zu politischen Themen nach ihrer Meinung gefragt. In jungen Jahren kann das die weitere Forschungsarbeit behindern.

Welches positive Gewicht der Nobelpreis andererseits in der Öffentlichkeit haben kann, zeigt das Beispiel von Klaus von Klitzing. Um ihn an seinem Forschungsinstitut in Stuttgart zu halten, stockte das Land Baden-Württemberg die Mittel seines Institutes kräftig auf – das benachbarte Bayern hatte versucht, ihn abzuwerben.

In der Folge stiftete das Bundesforschungsministerium einen Forschungspreis, der jungen Wissenschaftlern unbürokratisch für ihre selbstgewählten Projekte zur Verfügung steht.

Preisträger Pauling setzte ein Verbot von oberirdischen Atomtests durch | Bildquelle: dpa Picture-Alliance / Klaus Ros

Forscher wie Albert Einstein und Linus Pauling, Chemie-Nobelpreisträger von 1954, nutzten das weltweite Ansehen für politische Aktionen. Pauling kritisierte in den 1950er-Jahren die Atomrüstung und setzte mithilfe seines eigenen Ruhmes und dem weiterer 50 Nobelpreisträger das Verbot von oberirdischen Atomtests durch, wofür er 1962 den Friedensnobelpreis erhielt.

Seine Unterstützer fand Linus Pauling in Lindau am Bodensee. Dort treffen sich einmal im Jahr Nobelpreisträger der naturwissenschaftlichen Disziplinen mit Studierenden aus aller Welt. Die Mischung aus Fachtagung und Familientreffen bietet Kontaktmöglichkeiten, die man in der formelleren Atmosphäre der Stockholmer Preisverleihung nicht findet.

(Erstveröffentlichung 2002. Letzte Aktualisierung 03.04.2020)