Junge steht mit geballter Faust vor einer Graffitiwand

Jugendgewalt in Deutschland

Programme gegen Jugendgewalt

Gewalt gehört im Leben vieler Jugendlicher zum Alltag – ob als Opfer, als Täter oder beides. Viele Täter sind selbst schon Opfer von Gewalt geworden, zum Beispiel innerhalb der Familie. Oder sie mussten mit ansehen, wie sich die Eltern schlagen.

Von Katharina Heimeier

Jugendgewalt – ein alltägliches Phänomen

Nach den Ergebnissen einer Studie, die das "Kriminologische Forschungsinstituts Niedersachsen" (KfN) in regelmäßigen Abständen durchführt und für die mehrere Tausend niedersächsische Schüler und Schülerinnen in befragt werden, sind 2017 27,2 Prozent mindestens einmal in ihrem bisherigen Leben Opfer einer Gewalttat geworden. 17,7 Prozent berichten, wenigstens einmal eine Gewalttat begangen zu haben.

Dabei ist Jugendgewalt bis zu einem gewissen Grad normal. "Sie ist Teil eines Entwicklungs- und Reifungsprozesses bei jungen Menschen, zu dem unter anderem das Austesten von Normen und Grenzen sowie die Anerkennung unter Gleichaltrigen gehört", heißt es in einer Broschüre des KfN und der Polizei zu den Schülerbefragungen.

Viele Jugendliche würden damit aufhören, ohne jemals mit der Polizei in Kontakt gekommen zu sein. Ein relativ kleiner Teil der Jugendlichen dagegen werde über einen längeren Zeitraum und mit schweren Straftaten auffällig.

Wer häufiger schwänzt, schlägt eher zu

Bei diesen Jugendlichen ist ein deutlicher Zusammenhang zwischen Gewaltbereitschaft und Schulschwänzen zu erkennen. "Je häufiger Schülerinnen und Schüler die Schule schwänzen, desto größer ist dabei die Wahrscheinlichkeit delinquenten Verhaltens", heißt es in einer anderen KfN-Studie.

Daher richten sich einige Programme konkret an Schulschwänzer. Häufiges unentschuldigtes Fehlen kann nach Ansicht des KfN ein Symptom sein, das auf persönliche Probleme der Jugendlichen hinweise.

So würden Untersuchungen über die Bildungs- und Berufswege von jugendlichen Mehrfach- und Intensivstraftätern zeigen, dass fast alle Befragten eine Karriere als Schulschwänzer vorweisen könnten.

Projekte gegen das Schwänzen müssten allerdings mehr im Blick haben als die reine Senkung der Fehlquote. Denn zu den Gründen für das Fehlen würden auch Konflikte mit den Lehren oder Mobbing durch Mitschüler gehören.

Das Pilotprojekt "ProgreSs" (Projekt gegen das Schulschwänzen) der niedersächsischen Landesregierung setzt dementsprechend auf individuelle Hilfsangebote für die Jugendlichen.

So wurden in den Schulen Helferteams aus Lehrern, Psychologen und Sozialarbeitern gebildet. Auch Polizeibeamte wurden in das Projekt mit einbezogen. Sie sollen in Kaufhäusern, Spielhallen und Bahnhöfen Schulschwänzer ansprechen.

An den Modellstandorten ging die Schulschwänzerrate von vier Prozent im Jahr 2000 auf 1,6 Prozent im Jahr 2004 zurück.

Zudem wurden weniger Ladendiebstähle registriert. Dennoch wurde das Projekt nicht fortgeführt. Stattdessen gibt es das bundesweite Nachfolgeprogramm "Schulverweigerung – Die 2. Chance", das auf die Erkenntnisse des Pilotprojekts zurückgreift.

Ein Junge sitzt mit seinem Schulranzen auf einer Tischtennisplatte auf einem Spielplatz und spielt auf einem Smartphone

Viele Programme richten sich an Schulschwänzer

Locker mit blöden Sprüchen umgehen

Mit Programmen wie "ProgreSs" soll der Teufelskreis durchbrochen werden, der mit Schwänzen beginnt und in noch schlechteren Noten und sinkenden Chancen auf eine gute Ausbildungsstelle mündet.

Auch die Anti-Gewalt- und Coolnesstrainer Andreas Sandvoß und Helmut Kuhfuß aus Essen machen eine wachsende Jugendarbeitslosigkeit, Sprachschwierigkeiten und ein begrenztes Selbstwertgefühl als Ursachen für die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen aus.

Gewaltausübung diene dann zur "Aufladung des Selbstwertakkus" und erzeuge "rauschartige Befriedigung", stellen die Essener fest. Und: "Der Machtgedanke und die Unterwerfung des Opfers wird schnell zu einer Droge, die Steigerung verlangt."

Jens Weidner, der ein Anti-Aggressivitäts-Training für gewalttätige Wiederholungstäter entwickelt hat, bezeichnet "Opfer als Tankstelle des Selbstbewusstseins". Dies dem Täter bewusst zu machen, ist ein Baustein des Trainings.

Außerdem sollen die Jugendlichen lernen, Provokationen zu widerstehen. So wird im Training die Toleranzgrenze gesteigert und ein lockerer Umgang mit blöden Sprüchen geübt. Da müssen sich die Jugendlichen auch schon mal eine Anmache vom Trainer anhören.

Auf dem sogenannten "heißen Stuhl" werden die Täter in die Rolle der Opfer versetzt und müssen sich mit ihren Gewalttaten auseinandersetzen. Filme über Opfer sollen den Tätern die Perspektive ihres Gegenübers zusätzlich klarmachen. Zudem müssen die Teilnehmer einen fiktiven Entschuldigungsbrief schreiben.

Ein Jugendlicher prügelt auf einen anderen Jungen ein, der am Boden kauert.

Selbstwertgefühl durch Gewalt

Nur die längerfristige Begleitung bringt Erfolg

Nach den Erfahrungen der Essener Trainer Sandvoß und Kuhfuß ist das Training bei einem Drittel der Jugendlichen erfolgreich. Sie würden weniger oder fast gar nicht mehr zuschlagen und gelassener mit Provokationen umgehen.

Ein Drittel der Teilnehmer würde ihr Verhalten allerdings nicht ändern. Ihnen fehle nach dem auf 20 Stunden angelegten Training oftmals eine Bezugsperson, die sie weiterhin unterstützt.

Auch die Studie des "Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen" (KfN) macht eine längerfristige Ausrichtung als einen Erfolgsfaktor solcher Trainings aus. Kurzfristige Projekte seien in der Regel wirkungslos.

Wenn die Schulschiedsstelle zum Zuge kommt

An einer anderen Stelle, nämlich am Klima in der Schule, setzen Mediations- beziehungsweise Streitschlichterprogramme an. Diese würden sich vor allem dann als sinnvoll erweisen, wenn sie mit anderen Projekten der Gewaltprävention verbunden seien, heißt es in der Studie.

Ein solches Programm hat das Land Nordrhein-Westfalen mit den sogenannten Schulschiedsstellen gestartet.

Diese Gremien bestehen aus gleichaltrigen Schülerinnen und Schülern, die Stellung zu Regelverletzungen von Mitschülern wie Mobbing, Beschimpfungen oder Rangeleien im Schulbus nehmen und diese sanktionieren.

So kann es sein, dass der Beschuldigte sich öffentlich entschuldigen oder mit seinem Taschengeld den Schaden wieder gutmachen muss. Das Land setzt dabei auf den positiven Einfluss Gleichaltriger.

Junge trägt Weste mit der Aufschrift 'Streitschlichter'.

Gleichaltrige sollen bei Streit schlichten

Die Opfer im Blickfeld

Diejenigen, die zu Opfern von jugendlichen Gewalttätern werden, stehen im Blickfeld eines anderen Projektes – des auch in nordrhein-westfälischen Schulen erprobten Anti-Bullying-Programms.

Bullying beschreibt das Schikanieren schwächerer Schüler in einer Klasse. Die Quälereien können dabei von Hänseleien bis zu körperlichen Angriffen reichen. Die Opfer sind oft so eingeschüchtert, dass sie sich nicht trauen, ihren Eltern oder Lehrern von den Angriffen zu berichten.

Im Rahmen des Anti-Bullying-Programmes, das auf einen Ansatz des schwedischen Professors Dan Olweus zurückgeht und alle Beteiligten einbezieht, sollen daher Konflikte möglichst früh erkannt und gelöst werden.

Lehrern und Erziehern wird ein Leitfaden an die Hand gegeben, der schultypische Situationen thematisiert und Lösungen aufzeigt. Dazu gehören eine verbesserte Pausenaufsicht, Gespräche zwischen Lehrern und Eltern sowie eine gezielte Unterstützung von Opfern zum Programm.

In den Klassengemeinschaften sollen Regeln gegen störendes Verhalten aufgestellt werden und Problemlösungen – beispielsweise in Rollenspielen – gefunden werden. Auf diese Weise soll letztlich das Klima in den Klassen und Schulen verbessert werden, sodass es erst gar nicht zu Gewalttaten kommt.

Ein Junge wird von seinen Klassenkameraden ausgelacht

Anti-Bullying-Programme haben die Opfer im Blick

(Erstveröffentlichung 2003. Letzte Aktualisierung 31.07.2019)

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Quelle: WDR

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