Die Geschichte des Frauenfußballs in der Bundesrepublik ab 1950 Planet Wissen 09.10.2023 04:07 Min. UT Verfügbar bis 20.01.2028 WDR

Fußballgeschichte

Die Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland

Vorurteile, Spielverbote und starke Persönlichkeiten – die spannende Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland begann mit einem Zeitungsinserat.

Von Daniel Schneider

Der erste Verein – ein kurzer Auftritt

Am Anfang des Jahres 1930 gibt die 19-jährige Lotte Specht in einer Zeitung eine Annonce auf, mit der sie fußballbegeisterte Frauen sucht. Das Inserat ist ein voller Erfolg – wenige Wochen später gründen Specht und 35 andere Fußballerinnen den "1. Deutschen Damen Fußballclub" (1.DDFC). Die Brisanz dieses Engagements ist Lotte Specht bewusst: "Meine Idee, die kam nicht nur aus der Liebe zum Fußballsport, sondern vor allen Dingen frauenrechtlerisch. Ich habe gesagt, was die Männer können, können wir auch", sagt die Fußballpionierin später.

Die Zeit der Weimarer Republik fördert zwar den gesellschaftlichen Wandel und damit auch die Emanzipation der Frauen. Die Weimarer Verfassung stellt beispielsweise Frauen und Männer dem Gesetz nach gleich. Doch trotz der Aufbruchsstimmung wird Lotte Specht und den anderen Spielerinnen schnell klar: Die Zeit ist noch nicht reif für den Frauenfußball. Der 1. DDFC bleibt der einzige Verein mit fußballspielenden Frauen. Es mangelt an sportlichen Gegnerinnen. So bleiben dem Team Trainingsspiele und Wettkämpfe gegen Männermannschaften.

Ihr Engagement brachte Lotte Specht sogar auf das Titelblatt einer Zeitschrift | Bildquelle: Eintracht Frankfurt Museum/ picture alliance / dpa

Gegnerinnen und Gegner des Frauenfußballs an sich gibt es eine Menge in Deutschland. Die Spielerinnen werden offen angefeindet, mit Steinen beworfen und als "Mannweiber" beschimpft. Bereits im Herbst 1931 löst sich der Verein wieder auf. Lotte Specht gilt bis heute als eine der wichtigsten Vorreiterinnen für den Frauenfußball.

Propaganda und Verbote 

Zur Zeit des Nationalsozialismus wird die Propaganda verbreitet, dass Frauen ihre Erfüllung als Mutter und Hausfrau finden sollen. Der Deutsche Fußballbund (DFB) veröffentlicht 1936 in seinem Fußball-Pressedienst folgende Meldung: "Es gibt Sportarten, in denen wir die Frau nicht als Sportausübende treffen, weil ihre Eigenarten nicht dem Wesen der Frau entsprechen." Zu diesen Sportarten gehöre auch der Fußball. Die durch die Weimarer Republik deutlich gestiegene allgemeine Sportbegeisterung von Frauen wird bewusst unterdrückt.

Nach dem Krieg organisieren sich fußballbegeisterte Frauen in Vereinen. 1951 nimmt zum Beispiel Blau-Weiß Oberhausen den Spielbetrieb auf. Der öffentliche Gegenwind lässt nicht lange auf sich warten. Presse, DFB und der Oberbürgermeister treten so vehement gegen die fußballspielenden Frauen an, dass Oberhausens Trainer Rolf Warschun nach einem Spiel lebenslang für alle Fußballämter gesperrt wird.

Einige Jahre später gibt es wieder einen Rückschlag. Auf einer Verbandstagung im Jahr 1955 untersagt der DFB allen Damenmannschaften das Fußballspielen. Die Begründung ist nicht neu: "Dieser Kampfsport ist der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd."

Sporthistorikerin Dr. Carina Sophia Linne schreibt dazu in ihrem Buch "Freigespielt – Frauenfußball im geteilten Deutschland": "Der Damenfußball, der zu diesem Zeitpunkt bereits als Ausdruck der Gleichberechtigung verstanden werden konnte, ging den Verbandsfunktionären zu weit. Ihr Führungsanspruch war nach wie vor auf ein patriarchalisches Leitbild im Sport ausgerichtet, auch wenn dieses Gebot der Gleichberechtigung im Grundgesetz widersprach."

Aufhebung des Verbots und erste Erfolge für die BRD

Das offizielle Verbot verhindert aber nicht, dass sich viele Spielerinnen inoffiziell organisieren und eigene Meisterschaften ausrichten. Sogar Länderspiele finden statt. Auch die Zuschauerzahlen wachsen. Im Jahr 1956, beim ersten Länderspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden, schauen 18.000 Fans zu. Ende der 1960er-Jahre spielen in Deutschland zwischen 40.000 und 60.000 Frauen und Mädchen Fußball.

Die Gründe, warum der DFB 1970 sein Verbot aufhebt, sind erstens die wachsende Begeisterung innerhalb Deutschlands und zweitens die internationale Entwicklung. In Ländern wie Italien und Frankreich existieren bereits Verbände. Offizielle Spiele werden von vielen Fans besucht. 1974 feiert der TuS Wörrstadt die erste offizielle deutsche Meisterschaft. Die Frauenmannschaft aus der Pfalz besiegt den TuS DJK Eintracht Erle aus dem Westmünsterland im Finale mit 4:0.

Das erste Länderspiel unter dem Dach des DFB findet im November 1982 in Koblenz statt. 5:1 gewinnt die deutsche Auswahl gegen die Schweiz. Da es für die Frauen keine passenden Trikots gibt, müssen die Nationalspielerinnen mit den Trikots der männlichen DFB-Jugendteams auflaufen. Das ist ihnen in diesem Moment egal.

Die Mannschaft um Spielführerin Anne Trabant erlebt sehr emotionale 90 Minuten. Nach dem Spiel sagt sie: "Es war etwas Besonderes. Als Kind habe ich immer davon geträumt, auch mal in der Nationalmannschaft zu spielen, und es war schon ein erhebendes Gefühl, als Spielführerin in der ersten Damen-Nationalmannschaft aufzulaufen."

Erstes offizielles dt. Frauen-Länderspiel (am 10.11.1982) WDR 2 Stichtag 10.11.2017 04:10 Min. Verfügbar bis 08.11.2027 WDR 2

Download

Die Öffentlichkeit bekommt diese positive Entwicklung erst einige Jahre später mit. 1989 gewinnen die deutschen Damen die Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land. Deutschland besiegt Norwegen mit 4:1. Vor 22.000 Zuschauerinnen und Zuschauern kann Kapitänin Silvia Neid den Pokal entgegennehmen. Die Spielerinnen bekommen vom DFB eine fragwürdige Prämie geschenkt: ein Kaffee- und Teeservice mit Blümchen.

Heidi Mohr und Silvia Neid freuen sich über das 3:0 im EM-Finale 1989 | Bildquelle: picture alliance / GES-Sportfoto

Fußball der Frauen in der DDR

In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wird der Frauenfußball erst 1960 offiziell erwähnt, als die Zeitung "Neue Fußballwoche" über ein Frauenfußballspiel in Dresden berichtet. Bis zur Wiedervereinigung wird die Sportart vor allem als Freizeit- und Erholungssport angesehen. Der Männerfußball gehört dagegen zum Leistungssport.

Meistens werden Damenmannschaften einem Betrieb angegliedert. Zwar sind fußballspielende Frauen auch in der DDR den damaligen Vorurteilen ausgesetzt, aber insgesamt wird die Sportart stärker toleriert als in Westdeutschland. Das ermöglicht den Fußballerinnen einige Freiheiten. Sie können ungestört ihren eigenen Übungs- und Wettkampfbetrieb entwickeln und durchführen.

Die Förderung des Fußballs der Frauen ist sehr von den einzelnen Regionen und Betrieben abhängig. Und von einzelnen Personen, die sich für den Sport engagieren. Bernd Schröder gilt beispielsweise als Urvater der Betriebssportgruppe "Turbine Potsdam". Als Gründer und Leiter der Frauenfußballabteilung des Potsdamer Energieversorgers lenkt er von 1971 bis 2016, mit einer fünfjährigen Unterbrechung, die Geschicke des Vereins.

Ab 1979 wird in einer so genannten Bestenermittlung die DDR-Meisterschaft ausgespielt. Eine Oberliga wie bei den Männern gibt es erst 1990, also im Jahr der Wiedervereinigung. Im selben Jahr absolviert die Frauennationalmannschaft der DDR ihr erstes und einziges Länderspiel und verliert in Potsdam gegen die Tschechische und Slowakische Föderative Republik (ČSFR). Im November 1990 geht der Deutsche Fußball-Verband (DFV) der DDR in den DFB über.

Bernd Schröder feierte unter anderem mit Turbine Potsdam große Erfolge | Bildquelle: Jens Kalaene/ picture alliance / ZB

Eine Bundesliga und viele internationale Titel

Die Bundesliga der Frauen spielt im vereinten Deutschland zunächst zweigleisig. Im Halbfinale treten jeweils die beiden besten Teams des Südens gegen die beiden besten Teams des Nordens an, um die beiden Finalisten auszuspielen. Seit 1998 gibt es nur noch eine Fußballbundesliga der Frauen.

Das Interesse der Öffentlichkeit steigt langsam, aber stetig. Das DFB-Pokalfinale wird seit Mitte der 1990er-Jahre live im Fernsehen übertragen. Es ist vor allem die Nationalmannschaft, die mit ihren Erfolgen dafür sorgt, dass der Frauenfußball in Deutschland immer beliebter wird. International gehört Deutschland seit dem ersten Titelgewinn 1989 zu den besten Mannschaften der Welt.

Insgesamt achtmal haben die deutschen Damen bisher die Europameisterschaft gewonnen, häufiger als jedes andere Team. 2003 und 2007 werden sie Weltmeister. 2016 gewinnen sie die olympische Goldmedaille. Auch in den internationalen Vereinswettbewerben, wie der UEFA Women’s Champions League, sind deutsche Mannschaften wie Turbine Potsdam, der 1. FFC Frankfurt oder der VFL Wolfsburg seit Anfang der 2000er Jahre erfolgreich.

Die EM 2022 – Werbung für den Frauenfußball Planet Wissen 09.10.2023 01:46 Min. UT Verfügbar bis 20.01.2028 WDR

(Erstveröffentlichung 2023. Letzte Aktualisierung 10.01.2023)

UNSERE QUELLEN