Malerwinkel in Ramsau bei Berchtesgaden.

Geschichte des Reisens

Interview: Nachhaltiger Bergtourismus in Ramsau

"Nicht der Tourismus soll bestimmen, was mit Ramsau passiert, sondern die Gemeinde!", sagt Fritz Rasp, Geschäftsführer der Tourist-Information Ramsau. Einst sollte eine Bergbahn auf den Watzmann gebaut werden. Das Vorhaben scheiterte, stattdessen entstand 1978 der Nationalpark Berchtesgaden. 2015 wurde die Nationalpark-Gemeinde Ramsau zum ersten Bergsteigerdorf Deutschlands gekürt.

Von Andrea Wengel und Claudia Heidenfelder

Herr Rasp, was bedeutet das Siegel "Bergsteigerdorf"?

Fritz Rasp: Es war ursprünglich eine Erfindung des Österreichischen Alpenvereins. Die Philosophie der Bergsteigerdörfer fußt auf der Alpenkonvention, die sich für den Schutz der Alpen und Nachhaltigkeit im Tourismus einsetzt. Der Deutsche Alpenverein, der italienische, der Slowenische und der Südtiroler haben sich hier angeschlossen. Mittlerweile gibt es 29 Bergsteigerdörfer in den Alpen. Im Grunde verpflichten sich die Bergsteigerdörfer, verschiedene Dinge zu unterlassen im Sinne einer intakten Natur.

Worauf verzichten die Bergsteigerdörfer konkret?

Wir verzichten darauf, Bergbahnen zu bauen oder große Hotelprojekte, wir verzichten auf Gletschererschließungen. Es wird auch vom Deutschen Alpenverein überprüft, der als Naturschutzverband ein strenges Auge darauf wirft.

Portraitaufnahme von Fritz Rasp.

Fritz Rasp: "Heute sind wir froh, dass wir auf dem Watzmann keine Bahn haben."

Auch für die Ramsau ist der Tourismus Lebensgrundlage. War es denn nie ein Thema, die Region für den Tourismus stärker zugänglich zu machen?

Doch, das war durchaus so, vor allen Dingen in der Vergangenheit. Die Watzmannbahn war von den 1920er bis in die 1970er Jahre ein Thema. Doch es kam vom Alpenverein und von den Naturschutzverbänden der Widerstand. Stattdessen entstand 1978 der Nationalpark Berchtesgaden. Die Entscheidung dazu fiel im Bayerischen Landtag. Natürlich gab es vor 40 Jahren Streitigkeiten um dieses Projekt. Vor allem die Waldbesitzer standen dem sehr skeptisch gegenüber, aber auch die Waldarbeiter, die um ihre Arbeitsplätze fürchteten. Es war ein intensiver Prozess, der in den Gemeinden geführt wurde. Letztlich hat ein Großteil der Bürger das Projekt Nationalpark aber befürwortet.

Wie steht es um die Akzeptanz des Nationalparks heute?

Heutzutage sind wir froh, dass wir auf dem Watzmann keine Bahn haben, sondern einen Nationalpark. Heute, nach 40 Jahren, hat sich der Nationalpark etabliert; laut einer Umfrage liegt die Akzeptanz bei 93 Prozent. Tourismusverband und Nationalpark arbeiten eng zusammen. Die vielen Bildungs- und Erholungsangebote für Kinder und Erwachsene helfen auch dem Tourismus. Bei uns können sie zum Beispiel auf eine Alm gehen und das Käsen lernen. Außerdem sind wir die einzige Biosphärenregion in den deutschen Alpen. Das heißt, wir arbeiten mit Produkten aus der Region, haben beispielsweise auch das schwarze Alpenschwein wieder angesiedelt. Viele Almbauern können ihre Produkte vor Ort vermarkten, sie werden auch an die Hotellerie vertrieben. Das ist regionale Wertschöpfung, es erhält die Biodiversität – also eine Win-Win-Situation.

Sie werben ja auch mit Natur: Nationalpark und Tourismus – geht das immer so einwandfrei Hand in Hand?

Der Nationalpark ist ein wichtiger Partner für uns, er war ja auch eine Voraussetzung für das Siegel "Bergsteigerdorf". Jedes Bergsteigerdorf braucht eine gewisse Schutzzone. Wir haben das Glück, dass zwei Drittel unserer Gemeindefläche im Nationalpark liegen. Entsprechend ist das ein sehr wichtiger Partner. Aber auch der Nationalpark spürt die gestiegene Nachfrage durch steigende Tourismuszahlen. Und das geht nicht immer reibungslos. Leute kommen mit den Einwegzelten zu uns und mit den Campern, manchmal gibt es dann Problemsituationen. Doch die Gemeinde harmoniert mit dem Nationalpark sehr gut. Denn die intakte Natur ist unser größtes Gut.

Das Klausbachhaus beherbergt eine Infostelle des Nationalparks Berchtesgaden.

Das Klausbachhaus beherbergt eine Infostelle des Nationalparks Berchtesgaden

Inwiefern hat sich die Gemeinde Ramsau trotzdem dem Tourismus untergeordnet?

Von unterordnen würde ich jetzt nicht reden, aber es ist unstrittig, dass Ramsau zum Beispiel die höchste Bruttowertschöpfung aller Tourismusgemeinden im Berchtesgadener Land hat. Und da sind schon einige Gemeinden um uns herum, die stark vom Tourismus geprägt sind: Berchtesgaden, Schönau am Königssee, Bad Reichenhall. Der Tourismus hat eine sehr lange Tradition bei uns. 1874 wurde der Tourismusverein gegründet, das Dorf "lebt" Tourismus. So gibt es zum Beispiel keinen Balkon, an dem nicht die Balkonblumen zu finden sind. Man freut sich, wenn die Saison beginnt, dass einfach Leben ins Dorf kommt. Aber nicht der Tourismus soll die weitere Entwicklung des Bergsteigerdorfes Ramsau bestimmen, sondern die Gemeinde und ihre Bürgerinnen und Bürger. Das heißt eben auch, nicht noch ein Skigebiet zu erschließen oder keine Bergbahn zu bauen.

Wie sieht es mit den Gästezahlen bei Ihnen aus?

Wir zählen 1700 Einwohner, über 70.000 Gäste im Jahr und circa 360.000 Übernachtungen. Das ist schon eine ganz schöne Nummer. Wir sind also stark frequentiert, aber ich denke, dass wir das Ganze gut händeln können, da jeder davon profitiert. Sowohl der kleine Beherbergungsbetrieb mit vier bis sechs Betten, aber auch die Bergbauern. Das ist sehr wichtig bei uns, weil das Nebenerwerbslandwirte sind, die so nicht existieren könnten. Durch den Tourismus verschaffen sie sich ein Zubrot. Wir haben etwa 60 Höfe, die Gäste unterbringen. Ohne diese zusätzlichen Einnahmen schaute es schlecht für die Berglandwirtschaft aus.

Der Hintersee bei Ramsau.

Der Hintersee bei Ramsau

Hat sich die Haltung der Anwohner zum Tourismus im Lauf der Zeit geändert?

Man kann nicht alle Erwartungen erfüllen. Aber ich denke schon, dass sich die Haltung geändert hat. Unsere Einheimischen, aber auch unsere Urlaubsgäste werden kritischer. Wenn zum Beispiel der Verkehr überbordet, im Juli, August, September, vor allem an den Wochenenden, weil jeder in die Berge will und jeder natürlich mit dem Auto – da wird es unter Umständen schon mal schwierig. Da hört man sowohl von Einheimischen als auch von unseren Gästen durchaus kritische Worte. Es ist dann zu viel! Da muss man mit intelligenten Lösungen Abhilfe schaffen.

Wie könnte das aussehen?

Wir sind gerade im "Modellprojekt Bergsteigerdorf Ramsau" dabei, vernünftige und zukunftsorientierte Lösungen, vor allem im Bereich Mobilität zu erarbeiten. Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs, Elektromobilität, Verbesserung der Radwege, Parkraumbewirtschaftung sind in dieser Hinsicht die vorrangigen Themen.

Generell ist zu sagen, dass wir uns ganz bewusst dafür entschieden haben, dass bei uns die natürlichen Ressourcen im Vordergrund stehen und auf eine weitere Bebauung, beispielsweise Skilifte, Bergbahnen und Beschneiungsanlagen, verzichtet werden soll. Dies ist eine deutliche Aussage und ein klares Profil, das wir uns in dieser Hinsicht gegeben haben. Unsere Argumentation gegen eine weitere bauliche Erschließung durch touristische Großprojekte wird durch das Siegel Bergsteigerdorf etwas leichter und verständlicher.

Bergsteigerdorf Ramsau

Planet Wissen 26.02.2024 02:29 Min. UT Verfügbar bis 11.10.2024 SWR

Viele unserer Gäste und vor allem unsere vielen Stammgäste bejahen diesen Ansatz und bestärken uns in unseren Bemühungen, eine weitere nachhaltige Entwicklung der Tourismusgemeinde Ramsau anzustreben.

Wie sehen Sie die Zukunft des Bergsteigerdorfes Ramsau?

Ich denke, dass wir mit der Umsetzung der Philosophie der Bergsteigerdörfer unsere Gemeinde auf ein richtiges Gleis für die Zukunft gebracht haben.

Quelle: SWR | Stand: 27.09.2019, 16:00 Uhr

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