Eine Straße führt durch eine Allee riesiger Baobabs.

Inseln

Madagaskar

Madagaskar ist die viertgrößte Insel der Welt und wird auch als "sechster Kontinent" bezeichnet. Viele der Tiere und Pflanzen gibt es nur hier. Aber das Naturparadies ist bedroht: Die Armut der Menschen frisst den natürlichen Reichtum der Insel nach und nach auf.

Von Christine Buth

Die graue Vorgeschichte der roten Insel

Madagaskar ist eine "Alte Insel", wie die Geologen sagen. Schon vor mehr als 150 Millionen Jahren brach Madagaskar vom afrikanischen Kontinent ab. Isoliert vom Rest der Welt entwickelten sich hier andere Tierarten als auf dem afrikanischen Kontinent.

Ursprünglich war Madagaskar eine grüne Insel – fast die ganze Fläche war mit Wald bedeckt. Heute sind die Wälder zusammengeschrumpft und umgeben von Ackerland oder Steppe.

Im Zentrum der Insel liegt ein Hochplateau mit Bergen, die über 2000 Meter hoch aufragen. Der Rest des Landes ist eher flach. Wo der Wald fehlt, kommt der nährstoffarme Boden zum Vorschein. An vielen Stellen ist er leuchtend rot, weshalb Madagaskar heute auch die "Rote Insel" genannt wird.

Menschen auf Madagaskar

Madagaskar war einer der letzten Orte der Welt, die besiedelt wurden. Erst vor etwa 2300 Jahren erreichten die Siedler die Insel. Woher sie kamen, lässt sich nicht klar sagen, vermutlich zu verschiedenen Zeiten aus verschiedenen Richtungen: aus Ostafrika und dem Nahen Osten, aber vor allem aus Südasien.

Dass ihre Vorfahren aus Indonesien und Malaysia kamen, kann man vielen Madagassen heute noch ansehen. An ihren Gewohnheiten kann man es ganz sicher erkennen: Auf der Insel wird viel Reis angebaut und zu jeder Mahlzeit gegessen.

Der erste Europäer, der die Insel sah, war der portugiesische Seefahrer Diego Dias. Er entdeckte sie am 10. August 1500 und nannte sie São Lorenço. Da sich aber auch die Briten, Niederländer und Franzosen für die Insel interessierten, wechselte sie in den nächsten Jahrhunderten noch einige Male den Namen.

Der Begriff Madagaskar tauchte schon recht früh auf, aber erst im 17. Jahrhundert begannen auch die Einheimischen, ihre Insel so zu nennen. Zuvor hieß sie bei vielen "Nosim-Dambo" – "Insel der wilden Schweine".

Frau mit Kind auf dem Rücken kauft auf traditionellem Markt ein

Die madagassische Küche ist einfach, aber lecker

Das Jahrhundert der Piraten

Die ersten Europäer, die ab dem 16. Jahrhundert versuchten, auf der Insel sesshaft zu werden, wurden von den Madagassen schnell wieder vertrieben. Nur Piraten gelang es, sich dauerhaft auf der Insel einzurichten, vor allem an der Ostküste und im Norden. Hier sollen die Freibeuter sogar ihre eigene Republik gegründet haben: "Libertalia".

Sicher ist: Im 17. Jahrhundert war Madagaskar die wichtigste Pirateninsel im Indischen Ozean. Ideal gelegen, um große Handelsschiffe zu überfallen, die reich beladen auf dem Weg nach Europa waren.

Außerdem gab es auf der Insel ausreichend Frischwasser, jede Menge Holz, um Schiffe zu reparieren, und zahllose Buchten und Verstecke, in die sich die Piraten zurückziehen konnten. Angeblich vergruben die Freibeuter tonnenweise Schätze auf der Insel – ganz sicher vergrößerten sie den Genpool der Bevölkerung.

Madagaskar als Kolonie

Ursprünglich hatte auf Madagaskar jedes Dorf einen anderen Herrscher. Im 18. Jahrhundert bildeten sich jedoch immer größere Reiche heraus. Schließlich gelang es König Andrianampoinimerina, große Teile der Insel unter seine Herrschaft zu bringen.

Als Regierungssitz wählte er die Stadt Antanarivo im Hochland der Insel, die bis heute Hauptstadt von Madagaskar ist. Auf einen kurzen Flirt mit den Briten, die erste Missionare auf die Insel brachten, folgten Jahre des Misstrauens gegenüber den Europäern.

Im späten 19. Jahrhundert wuchs das Interesse der Kolonialmacht Frankreich an der Insel im Indischen Ozean. 1883 besetzte die Armee den Hafen, beendete die madagassische Monarchie und erklärte die Insel schließlich am 6. August 1896 zu einer französischen Kolonie. Die Bevölkerung und ihre Sprache "Malagasy" wurden unterdrückt.

Die Franzosen erschlossen das Land durch den Bau von Eisenbahnlinien, Kanälen und Straßen, um seine Ressourcen schnell nach Europa abtransportieren zu können. Die Landwirtschaft produzierte das, was sich in Europa teuer verkaufen ließ: vor allem Zucker, Kaffee und Gewürze.

Drei Palmen vor einem Traumstrand mit weißem Sand und hellblauem Wasser.

Attraktiver Stützpunkt im Indischen Ozean

Alle Juden nach Madagaskar?

Ab dem 19. Jahrhundert tauchte in der antisemitischen Literatur immer wieder der sogenannte "Madagaskar-Plan" auf. Während des Zweiten Weltkrieges wurde er von den deutschen Nazis aufgegriffen. Er sah vor, alle europäischen Juden nach Madagaskar umzusiedeln. Eine Art "tropisches Israel" hatten die Nazis dabei wohl nicht im Sinn, Madagaskar wäre ein Großghetto geworden, eine Sterbeinsel.

Nach der Niederlage Frankreichs im Juni 1940 schien erstmals eine Möglichkeit zu bestehen, den Plan umzusetzen, und in Deutschland wurde ernsthaft daran gearbeitet. Der Umsiedelungsplan blieb jedoch ein Hirngespinst. Zu seiner Umsetzung hätte die britische Flotte besiegt werden müssen, das gelang jedoch nie. Im September 1940 wurden alle Arbeiten am Madagaskar-Plan eingestellt.

Endlich unabhängig

Schon vor dem Zweiten Weltkrieg hatte es Unruhen auf Madagaskar gegeben. Ab 1947 wurden sie jedoch weit heftiger. Nach jahrelangen schweren Kämpfen, bei denen mehr als 80.000 Madagassen starben, konnte Frankreich seine Kolonie nicht länger halten. Am 26. Juni 1960 wurde Madagaskar unabhängig. Erster Präsident des Landes wurde Philibert Tsiranana, der zehn Jahre lang regierte.

Auf Madagaskar leben viele unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, die "foko" genannt werden. Alle eint die gemeinsame Sprache Malagasy. Die alten Religionen sind auf Madagaskar auch heute noch sehr lebendig. Die Menschen folgen einem ausgeprägten Ahnenkult und beachten viele "fadys", Tabus, die ihr tägliches Handeln bestimmen.

Da fadys sich auf Orte, Speisen oder Handlungen beziehen können und in vielen Regionen von Ort zu Ort wechseln, ist das Reisen auch für Einheimische auf Madagaskar nicht immer einfach. Sie müssen sich vor Ort nach den herrschenden fadys erkundigen, um keinen Fehler zu machen. Bei Ausländern sind die Madagassen im Allgemeinen nachsichtig und tolerieren unbewusste Verstöße gegen ein fady.

Herausforderungen für die Zukunft

Vom natürlichen Reichtum Madagaskars ist heute nur noch ein geringer Teil erhalten. Wissenschaftler fürchten, dass in den nächsten Jahrzehnten auch die letzten Regenwälder auf der Insel verschwinden könnten – und mit ihnen viele einzigartige Tiere.

Naturschutz ist zwar in der Verfassung als Staatsziel festgeschrieben, solange die Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt, ist er jedoch kaum umzusetzen. Jeden Tag werden auf Madagaskar Wälder gerodet, um dort Nahrungsmittel anzubauen und Holz wird verfeuert, weil Strom auf der Insel zu teuer ist.

Madagaskar ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Ausbeutung in den Zeiten der Kolonialherrschaft und die korrupten Regierungen späterer Jahre haben dazu geführt, dass mehr als zwei Drittel der Madagassen unter der Armutsgrenze leben. Seit Jahren gibt es nicht genug Nahrung auf der Insel, Madagaskar muss vieles importieren, auch das Hauptnahrungsmittel Reis.

Im Frühjahr 2009 kam es in der Hauptstadt Antanarivo zu gewaltsamen Protesten, bei denen mehr als 100 Menschen starben. Während der Unruhen forderten die Madagassen den Rücktritt der Regierung von Präsident Ravalomanana, die sich auf Kosten der Bevölkerung bereichert hatte.

2009 folgte eine gewaltsame Machtübernahme durch einen Militärputsch. Der ehemalige Bürgermeister von Antanarivo, André Rajoelina, erklärte sich zum Präsidenten einer Übergangsregierung. International war Madagaskar seitdem nicht nur geografisch, sondern auch politisch und wirtschaftlich isoliert. Der afrikanische Staatenbund hatte das Land ausgeschlossen.

2011 unterzeichneten die einzelnen politischen Gruppierungen in Madagaskar mit Unterstützung der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) einen Plan zur Beendigung der Krise. Er sollte den Weg zurück zur Demokratie und zur Rechsstaatlichkeit ebnen. Im Dezember 2013 fanden schließlich wieder demokratische Präsidentschaftswahlen statt.

(Erstveröffentlichung 2010. Letzte Aktualisierung 16.04.2019)

Quelle: WDR

Darstellung: