Zeichnung eines Riesenkalmars

Tiere der Tiefsee

Riesenkalmare

Erzählungen über riesige Kraken, die auf hoher See Boote mitsamt Besatzung umschlingen und in die Tiefe reißen, gibt es seit Jahrhunderten. Seemannsgarn oder Realität?

Von Tina Heinz

Stoff für Mythen und Legenden

Schon 55 nach Christus schrieb der römische Gelehrte Plinius der Ältere von einem "Polypen" mit riesigen Augen, dessen Arme wie "verknotete Keulen" aussehen. 1500 Jahre später berichtete der schwedische Geistliche Olaus Magnus von einem "monströsen Fisch", der Schiffe in die Tiefe ziehen kann.

Sogar in die Weltliteratur haben die Kraken es geschafft: In Herman Melvilles "Moby Dick" (1851) sichtet Kapitän Ahabs Crew ein riesiges Meerestier, das sie zunächst für den Weißen Wal halten. Das Tier taucht wieder ab und sie kommen zu dem Schluss, den "leibhaften großen Kraken" gesehen zu haben.

In Jules Vernes Roman "20.000 Meilen unter dem Meer" von 1870 müssen Kapitän Nemo und seine Mannschaft gleich gegen mehrere Riesenkalmare kämpfen.

Wie viele Legenden gründen sich auch die Erzählungen über die Riesenkraken auf Indizien, die in schaurige Geschichten verpackt und weitererzählt werden. Tatsächlich hatten Fischer riesige Tentakel und andere undefinierbare Kadaverteile an Stränden gesehen. Waljägern war außerdem aufgefallen, dass sich im Magen ihrer Beute Teile überdimensionaler Fangarme befanden. Einige Wale wiesen auch Narben auf, die offenbar von riesigen Saugnäpfen stammten.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts verwiesen Wissenschaftler diese Funde und Geschichten ins Reich der Märchen. Das änderte sich, als 1857 angespülte Teile eines Riesenkalmars vom dänischen Wissenschaftler Japetus Steenstrup untersucht wurden. Er hatte auch die Ehre, dem Riesen seinen wissenschaftlichen Namen zu geben: Architheutis, was so viel bedeutet wie Ur-Kalmar.

Mittlerweile sind Tentakel und andere Körperteile von Architheutis vor allem rund um Neuseeland aufgetaucht. Fündig wurde man auch immer wieder in den Mägen von Pottwalen.

Inzwischen lassen sich auch die Saugnapf-Abdrücke auf den Körpern der Pottwale erklären: Sie liefern sich in der Tiefe Kämpfe mit Riesenkalmaren, die offenbar einen Großteil ihrer Nahrung ausmachen. Ein lebendes Exemplar von Architheutis hatte bis vor einigen Jahren allerdings noch niemand zu Gesicht bekommen.

Der Riesenkalmar Architheutis

Diverse Forscherteams versuchen seit Jahrzehnten, lebende Riesenkalmare zu entdecken. Kurios, aber wahr: Die größten bekannten wirbellosen Tiere der Welt sind extrem schwer zu finden.

Erst 2004 gelang es japanischen Forschern, mit einer ferngesteuerten Kamera Bilder eines lebenden Riesenkalmars aufzunehmen. Fangen konnten sie den Riesen aber nicht. Ein Jahr später gelangen den gleichen Wissenschaftlern sogar Videoaufnahmen eines Architheutis in seinem natürlichen Lebensraum.

In den Geschichten der Seefahrer wurde die Unterscheidung zwischen Krake und Kalmar nicht so genau genommen. Die geheimnisvollen Riesen aus der Tiefe sind aber keine Kraken, sondern Kalmare. Kraken besitzen nur acht Arme, Kalmare zusätzlich noch zwei längere Fangarme, insgesamt also zehn. Der Riesenkrake hat dagegen gewöhnlich eine Armlänge von lediglich zwei Metern.

Von Architheutis sind schon Exemplare mit zehn Meter langen Tentakeln untersucht worden. Allerdings kommt es unter Forschern bei der Bestimmung der Tentakellänge schon einmal zu Unstimmigkeiten, da die Tentakel eines Riesenkalmars äußerst dehnbar sind. Einig ist man sich darüber, dass Architheutis mit bis zu 40 Zentimetern Durchmesser die größten Augen des Tierreichs besitzt.

Über die Lebensweise der Riesenkalmare weiß man sehr wenig. Magenuntersuchungen toter Exemplare haben ergeben, dass sie sich von Fischen und anderen Kalmaren ernähren. Die wenigen Beobachtungen lebender Tiere haben gezeigt, dass Architheutis ein aggressiver Jäger ist. Dass er schon ganze Schiffe versenkt hat, fällt aber wohl doch eher in die Kategorie Seemannsgarn.

Ein Wissenschaftler mit Atemmaske schaut in einen Glaskasten, in dem sich die Tentakel eines Riesenkalmars befinden.

Lebende Riesenkalmare konnte noch niemand untersuchen

(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 24.07.2019)

Quelle: WDR

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