Der Kampf gegen die Tagesbrüche

Planet Wissen 06.07.2022 03:01 Min. Verfügbar bis 04.10.2024 WDR Von Lars Tepel

Steinkohle

Bergschäden

Was hat ein Schnitzel mit dem Steinkohlebergbau zu tun? In Wohnhäusern, die durch den Bergbau in eine Schieflage geraten sind, kennt man das Problem: Das Fett in der Pfanne läuft immer zur einen Seite. Eine Schnitzelseite brennt an, die andere schwimmt im Öl.

Von Jennifer Dacqué

Ein Leben in Schieflage

Doch dieses eher harmlose Problem ist nur ein kleiner Teil dessen, was es heißt, in einem Haus mit einem Bergschaden zu leben. Achim Sprajc vom "Verband bergbaugeschädigter Haus- und Grundeigentümer" (VBHG) kennt kuriose, aber auch ernste Folgen des Bergbaus.

In seinem Verein engagiert sich Achim Sprajc zusammen mit vielen Betroffenen für die Rechte Bergbaugeschädigter. Dabei hört er Geschichten, die für Unbeteiligte nahezu unglaublich klingen. Er kennt die Auswirkungen, die der Bergbau für manchen Hausbesitzer haben kann. Das Schnitzel ist dafür nur ein Beispiel unter vielen.

Die meisten Schäden an Wohnhäusern entstehen dadurch, dass sich der Boden absenkt, Gebäude zusammengepresst werden oder Dehnungen im Fundament die Bausubstanz beschädigen. Oft geschieht die Veränderung schleichend, weiß Sprajc: "Kaum etwas passiert von einem Tag auf den anderen. Stattdessen entstehen langsam Risse in den Hauswänden oder eine Seite des Hauses neigt sich Zentimeter um Zentimeter."

Für die Bewohner eines solchen Hauses ergeben sich so im Alltag ungeahnte Schwierigkeiten: Teetassen, die seitlich überschwappen, Gardinen, die im Verhältnis zum Fenster schief hängen, Rollos, die sich aufgrund der Schieflage beim Herunterlassen ständig verkanten – all diese Dinge sind typische Anzeichen eines Bergschadens.

Zwei Autos versinken in einem Krater.

Autos in einem Essener Tagesbruch

Wegen der Neigung fällt die Tür von alleine zu

Sprajc selbst hatte noch Glück. Da sein Haus ein starkes, mit Eisenplatten verstärktes Fundament hat, neigte es sich nur minimal. Die Auswirkungen bekommt er trotzdem zu spüren: "Immer wenn ich morgens zum Briefkasten gehe, um die Zeitung zu holen, muss ich daran denken, einen Schlüssel mitzunehmen, denn die Tür fällt wegen der Neigung des Hauses von alleine zu."

Das sind allerdings verhältnismäßig kleine Schäden. "Ich habe schon einmal gesehen, dass Betroffene ein Sofa, das Rollenfüße hatte, festbinden mussten, damit es auf dem Parkett nicht durch das Zimmer rollt."

In den mehr als 20 Jahren, in denen er für den VBHG arbeitet, hat er auch schlimme Bergschäden gesehen. Einen traurigen ersten Weihnachtsfeiertag erlebte zum Beispiel eine Familie aus seiner Nachbarschaft in Herten bei Recklinghausen.

Der Boden unter ihrem Haus hatte sich verschoben und in der Nacht platzte die Hauptwasserleitung. Der ganze Keller stand unter Wasser, die Fäkalien aus den Rohren konnten nicht in die Kanalisation abfließen.

Zwischen zwei Haushälften klafft eine große Spalte

Wenn ganze Häuser auseinanderdriften

Wie Bergschäden entstehen

Aber wie kommt es überhaupt zu solchen Schäden? Der Grund liegt tief unter der Erde. Würde man den Boden in einem Bergbaugebiet in einem Querschnitt darstellen, sähe er ähnlich aus wie ein Maulwurfbau.

Das Gestein ist durchzogen von Gängen, Schächten und Hohlräumen. Doch das unterirdische Labyrinth bleibt nicht ewig bestehen. Wenn die Kohle in einem Tunnelbereich vollständig abgebaut und der Tunnelabschnitt verlassen ist, stürzt der Hohlraum nach und nach ein.

Über den Kohleschichten, den Flözen, befinden sich Ablagerungen aus Sandschiefer, darüber eine weitere Schicht aus Sandstein. Durch den Druck, den die Gesteinsschichten oberhalb des Tunnels ausüben, gibt der Sandschiefer nach und bricht.

Gefahr Tagesbruch

Planet Wissen 06.07.2022 01:25 Min. Verfügbar bis 04.10.2024 WDR Von Jens Hahne

Wenn das Gestein nach unten rutscht

Der Hohlraum wird mit dem darüber liegenden Sandstein aufgefüllt und wie in einem Trichter rutschen daraufhin auch weiter oben liegende Gesteinsschichten nach unten. An der Erdoberfläche bemerkt man diesen Vorgang meistens nicht, obwohl sich der Boden um einige Zentimeter absenkt. Doch die Entstehung solcher Senkungsmulden hat sichtbare Konsequenzen: die Bergschäden.

Häufig wird durch das Absacken der Erde die Statik von Wohnhäusern verändert. Oft geraten sie in Schräglage, wenn der Boden nicht gleichmäßig absinkt. Oder es entstehen Risse im Mauerwerk, die eine aufwendige Renovierung nach sich ziehen. Die Kosten für eine Reparatur muss das zuständige Bergbauunternehmen tragen.

Doch auch der Bauherr des Hauses hat Pflichten: Wer ein Haus in einer Bergbauregion errichten möchte, muss mit dem Bergbauunternehmen vorab klären, ob spezielle Sicherungsmaßnahmen nötig sind, um mögliche Bergschäden verhindern zu können.

Riss in einer weiß getünchten Wand. Rechts neben dem Riss ist mit Filzstift die Aufschrift '6 mm' geschrieben.

Bergschäden: Mit einem solchen Riss ist nicht zu spaßen

Grubenbeben können Häuser zum Einsturz bringen

Während das langsame Absacken der Erde lediglich Kosten und Ärger für manche Hausbesitzer bringt, können Grubenbeben viel dramatischere Folgen haben. Ein Grubenbeben entsteht, wenn eine poröse Gesteinsschicht über einem großen Hohlraum plötzlich vollständig bricht und große Gesteinsmassen sich verschieben.

Anders als beim langsamen Absacken der Erde ist ein Grubenbeben an der Oberfläche deutlich zu spüren, ähnlich einem Erdbeben. Die Erdstöße können Gebäude zum Einsturz bringen, Bäume umwerfen oder Straßen aufreißen.

Im Februar 2008 erschütterte ein Grubenbeben mit einem Wert von 4,0 auf der Richterskala das Saarland. Es war das stärkste Grubenbeben der deutschen Bergbaugeschichte. Zahlreiche Häuser wurden beschädigt, herabstürzende Schornsteine landeten auf Autos und die Stromversorgung wurde unterbrochen.

Von der St.Blasius-Kirche in Saarwellingen lösten sich fußballgroße Ornamente und schlugen auf die Kirchentreppe, wo kurz zuvor noch eine Gruppe Kinder gestanden hatte. Zum Glück wurde niemand verletzt.

Dennoch mehren sich nach jedem Grubenbeben die Diskussionen über die Sicherheitslücken im Bergbau. So wurden die Hohlräume im Berg früher noch mit wertlosem Gestein wieder aufgefüllt. Heute wird dies immer seltener gemacht.

Schild warnt vor Bergbauschäden

Nicht immer sind Bergschäden lebensgefährlich. Ärgerlich sind sie oft.

Sicher wohnen im Bergbaugebiet

Auch über Bergstollen, in denen seit Jahren nicht mehr gearbeitet wird, können noch Bergschäden an Häusern entstehen, denn viele Hohlräume haben sich noch nicht vollständig gefüllt. Achim Sprajc rät daher jedem, der vorhat, in einem Bergbaugebiet ein Haus zu bauen, rechtzeitig Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.

Ein verstärktes Fundament sei ebenso wichtig wie ein ausreichend großer Abstand zum Nachbarhaus. Sprajc erklärt: "Es gibt allerdings auch sehr gute Möglichkeiten, sein Haus auch noch im Nachhinein gegen Bergschäden abzusichern. Ich kenne einen Hausbesitzer, der eine Art zweiten Keller hat ausheben lassen, um das Haus danach auf flexible Hubelemente zu setzen. Diese beinhalten genaue Sensoren, die reagieren, sobald sich die Erde bewegt. Eine Neigung wird dann von den beweglichen Stützen des Hauses automatisch ausgeglichen."

Auch wenn das Haus bereits in eine Schieflage geraten ist, können Hausbesitzer etwas tun. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, ein Gebäude wieder anzuheben, in eine waagerechte Position zu bringen und den Hohlraum zum Beispiel mit Beton aufzufüllen. Sobald der Bergschaden behoben wurde, ist auch das Zubereiten eines Schnitzels kein Problem mehr.

Straße mit einem Haus, dessen Mauer von mehreren Rissen durchzogen ist

Beschädigtes Haus in Gelsenkirchen

(Erstveröffentlichung 2005. Letzte Aktualisierung 09.03.2020)

Quelle: WDR

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