Ein Schwarm Fische.

Logistik

Schwarmintelligenz – von den Fischen lernen

Ein Fischschwarm organisiert sich mit nur wenigen Regeln. Greift etwa ein Feind an, ändern alle Fische die Richtung, um zu fliehen. Forscher untersuchen, wie sich das Schwarmverhalten der Fische auch auf Menschen übertragen lässt.

Von Alexandra Stober

Verhaltensregeln im Schwarm

Fische schaffen es, sich im Kollektiv wie ein einziges Lebewesen zu bewegen. Wie das funktioniert, hat der US-Forscher Brian Partridge Anfang der 1980er-Jahre herausgefunden. Der Biologe untersuchte dafür eine Dorschart, die im Schwarm lebt.

Um zu verstehen, wie sich der Schwarm fortbewegt, beobachtete er einzelne Fische. Er versah jeden Dorsch mit einem Zeichen, setzte Gruppen von 20 bis 30 Exemplaren in runde Becken und ließ die Fische im Kreis schwimmen. Dann dokumentierte Partridge ihre Bewegungen aus der Luft, von einem Kran aus.

Nach seinen Beobachtungen hielt sich jeder der Fische lediglich an zwei einfache Regeln: "Folge dem Fisch vor dir" und "Halte die Geschwindigkeit des Fisches neben dir".

Nicht nur Fische nutzen dieses Schema, auch viele andere Tiere bewegen sich so im Schwarm, darunter Vögel und Insekten. Und auch der Mensch selbst folgt in der Masse diesen beiden Verhaltensregeln.

Fünf Prozent lenken die Masse

Ein Schwarm funktioniert im Idealfall wie ein Sensorensystem, sagt Jens Krause vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Jedes Tier empfängt in diesem System Informationen und verarbeitet diese unabhängig von den Artgenossen. Die Fische im Schwarm orientieren sich dabei auch an den Fischen in ihrer Umgebung.

In einem Experiment hat Krause einen Schwarm mit nur wenigen Roboterfischen gelenkt. "Fünf Prozent sind der Schwellenwert, bei dem ein Verstärkereffekt einsetzt", sagt der Verhaltensbiologe, der sich seit Langem mit dem Verhalten von Fischschwärmen beschäftigt. Die Fische folgten den Robotern sogar in die Nähe von Feinden, die sie sonst eher meiden.

Waren weniger als fünf Prozent Roboterfische im Schwarm, folgten ihnen nur wenige bis keine Tiere. Oberhalb dieses Schwellenwerts ist es offenbar für das Kollektiv relativ wahrscheinlich, dass es nicht dem Irrtum Einzelner aufsitzt.

Ein Schwarm Goldbrassen von unten in einer Unterwasseraufnahme in einer Fischzucht

Fünf Prozent lösen einen Domino-Effekt aus

Wie man Menschenmengen führt

Krauses Forschungsergebnisse lassen sich auch auf den Menschen übertragen. Der Biologe beschäftigt sich unter anderem damit, wie sich Menschenmengen intelligent lenken lassen, um etwa Massenpaniken zu verhindern.

Mit seinem Team hat er das Verhalten von 200 Menschen in einer Arena von 50 Metern Durchmesser analysiert. Die Versuchsteilnehmer bekamen die Anweisung, immer in Bewegung zu bleiben. Sie sollten eine Armlänge Abstand voneinander halten und durften nicht miteinander sprechen.

Zehn der Teilnehmer erhielten die Aufgabe, die Gruppe an den Rand der Arena zu manövrieren. Die anderen erhielten zwar die Information, dass es Führer gäbe – sie erfuhren aber nicht, wer diese genau waren.

Die anonymen Gruppenleiter gingen zum vereinbarten Ziel. Der Rest der Versuchsteilnehmer folgte intuitiv. "Man kann alleine an der Bewegung von Personen in einer Menschenmenge erkennen, wer bestimmte Informationen hat", sagt Krause.

Die Helfer konnten die Gruppe am besten führen, wenn sie am Rand oder mitten in der Menschenmenge standen. Es ist demnach wichtig, wo das Personal während eines Konzerts steht, um einen Bereich im Notfall zu evakuieren.

(Erstveröffentlichung: 2012. Letzte Aktualisierung: 08.10.2019)

Quelle: WDR

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