Deutsche Reichsgründung 1871

01:54 Min. Verfügbar bis 14.03.2029 Von Lukas Prommer / David da Cruz/ Bilderfest GmbH

Reichsgründung

Der lange Weg zum Deutschen Reich

Um 1815 entstand in vielen Ländern der Wunsch nach nationaler Einheit – auch bei den Deutschen.

Von Martina Frietsch

Rund zwei Jahrzehnte lang hatte Frankreich unter Napoleons Herrschaft halb Europa beherrscht. Das führte dazu, dass in vielen Ländern das Nationalgefühl größer wurde – auch bei den Deutschen. Doch es war noch ein langer Weg, bis 1871 das Deutsche Reich gegründet wurde.

Der Wiener Kongress ordnet Europa neu

Als der Wiener Kongress im Juni 1815 nach knapp neun Monaten zu Ende ging, hatten sich die 200 Länder, Fürsten und Städte auf eine neue europäische Ordnung geeinigt, die das Gleichgewicht der Großmächte nach der Niederlage Napoleons wiederherstellte. Das Ergebnis des Friedenskongresses trug deutlich die Handschrift des konservativen österreichischen Fürsten Metternich, der liberale und nationale Ideen als gefährlich ablehnte.

Wiener Kongress, Eröffnung (am 01.11.1814)

WDR ZeitZeichen 01.11.2014 13:51 Min. Verfügbar bis 29.10.2024 WDR 5


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Der Wiener Kongress legte fest, dass die Verhältnisse vor dem Ausbruch der Französischen Revolution wieder hergestellt werden sollten. Nur monarchistische Herrscher und Dynastien, die vor 1789 an der Macht waren, durften wieder eingesetzt werden. Die Fürsten sollten sich gegenseitig unterstützen, um revolutionäre Bewegungen abzuwehren.

Ein Schulwandbild aus den 1950ern zeigt Delegierte des Wiener Kongresses (1814/15)

Delegierte des Wiener Kongresses (1814/15)

Das Gleichgewicht der Großmächte

Das Gleichgewicht der fünf Großmächte (die so genannte Pentarchie) Russland, Großbritannien, Österreich, Preußen und Frankreich, das der Kongress durch Gebietsveränderungen erreichte, war immerhin so stabil, dass es für fast 100 Jahre keinen großen Konflikt zwischen den Großmächten gab. Es sollte auch garantieren, dass keine der Großmächte kleinere, schwächere Länder besetzte.

Kritisch war bei den Verhandlungen 1815 aber vor allem die polnisch-sächsische Frage: Russland erhob Anspruch auf Polen, Preußen beanspruchte Sachsen für sich.

Der Kongress fand mit der Teilung Sachsens und der Konstruktion von "Kongresspolen" einen Kompromiss: Der russische Zar Alexander wurde König des autonomen Polen.

Jahrzehntelang stimmten sich die Großmächte bei Krisen ab und sorgten so für Stabilität. Dieses Gleichgewicht im Europäischen Mächtekonzert wurde mit Ausbruch des Krimkriegs 1853 erheblich gestört, als Russland seinen Machtbereich ins Osmanische Reich ausdehnen wollte. Im Krimkrieg standen sich letztlich mehrere Großmächte der Pentarchie – Russland gegen Frankreich und Großbritannien – feindlich gegenüber.

Die Gründung des Deutschen Bunds

Beim Wiener Kongress wurde auch über die so genannte "Deutsche Frage" verhandelt und schließlich der Deutsche Bund gegründet, ein Staatenbund aus 35 souveränen Fürstentümern und vier freien Städten. Er sollte dem Schutz gegen Frankreich dienen und für Frieden in der Mitte Europas sorgen.

Dem Deutschen Bund gehörten die beiden Großmächte Österreich und Preußen an – ein Konstrukt, das in den 1860er-Jahren zum offenen Konflikt führte, da außer Österreich auch Preußen die Vorherrschaft im Deutschen Bund für sich beanspruchte.

Der Deutsche Bund als loser Staatenbund besaß weder Regierung noch Volksvertretung, sondern lediglich die Bundesversammlung in Frankfurt, in die die Mitgliedsstaaten ihre Gesandten schickten. Unter dem Vorsitz Österreichs war der Deutsche Bund ein Garant für die Beibehaltung der monarchischen Ordnung. Reformen in den Einzelstaaten, demokratische Ideen und die neue Bewegung für die nationale Einheit wurden bekämpft.

Der Deutsche Bund bestand – unterbrochen durch die Deutsche Revolution 1848/1849 – bis 1866, als Preußen nach dem Deutschen Krieg gegen Österreich das Bündnis verließ und für aufgelöst erklärte.

In der Bundesversammlung in Frankfurt tagen die Delegierten des Deutschen Bundes

In der Bundesversammlung in Frankfurt tagte der Deutsche Bund

In Europa entstehen Nationalstaaten

Nicht nur in den deutschen Städten und Fürstentümern verbreitete sich die Idee des Nationalismus: Im 19. Jahrhundert entstanden in ganz Europa Nationalstaaten – so zum Beispiel Griechenland, Belgien, die Schweiz und Italien.

Die Idee der Nation versprach eine neue Ordnung, neuen Halt und einen Ersatz für die bestehenden wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Ordnungen, die in Auflösung begriffen waren: Zünfte, Dorfgemeinschaften, Kirchen, Ständeordnungen wichen den neuen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen.

Das revolutionäre Frankreich hatte es vorgemacht, und genau dies fürchteten die deutschen Fürsten: Der Nationalismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine fortschrittliche Idee, die auf die Selbstbestimmung des Volkes setzte und sich gegen Fürstenherrschaft und die feudale Privilegienordnung richtete.

Die deutsche Nationalbewegung

Die Befürworter der nationalen Einheit wurden nach dem Ende des Wiener Kongresses bitter enttäuscht: Der Deutsche Bund war alles andere als ein Bundesstaat, der Nationalstaat damit wieder in weiter Ferne. Zur ersten großen Demonstration für einen Nationalstaat kam es am 18. Oktober 1817 durch mehr als 500 Studenten auf der Wartburg.

Während die deutschen Einzelstaaten die Forderungen nach Freiheit und nationaler Einheit weiter unterdrückten, kam es zu politischen und sozialen Spannungen. Diese wurden durch die zunehmende Verelendung und durch Hunger in den armen Bevölkerungsteilen ausgelöst.

In Bürgertum, Handel und Industrie mehrten sich die Anhänger liberaler Ideen – Forderungen, die der reformfeindliche Deutsche Bund nicht mehr unterdrücken konnte. Politisch setzte die deutsche Nationalbewegung auf Preußen, um ihrem Ziel näherzukommen.

In der Revolution 1848/1849 forderten die Aufständischen eine neue politische und soziale Ordnung sowie die Schaffung des Nationalstaats, in dessen Verfassung die Grundrechte garantiert werden sollten. Doch mit der Niederschlagung der Revolution wurden die erstrittenen demokratischen Rechte wieder zurückgenommen. Die Nationalbewegung schien am Ende.

Straßenkämpfe in Berlin am 18./19.  März 1848

Barrikadenkämpfe im Revolutionsjahr 1848

Bismarcks Weg zum Nationalstaat

1862 wurde Otto von Bismarck Ministerpräsident von Preußen. Er ließ keinen Zweifel an seinem Ziel: der Schaffung eines deutschen Nationalstaats. Allerdings sah Bismarcks Plan einer deutschen Nation anders aus als die Wünsche der wieder formierten Nationalbewegung.

Bismarck und König Wilhelm I. vertraten monarchische Interessen und nicht die der Demokraten. Auch in der Wahl der Mittel unterschieden sie sich: Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse würden die großen Fragen der Zeit entschieden, sagte Bismarck im September 1862 in einer berühmten Rede, "sondern durch Eisen und Blut".

1864 löste er den Konflikt mit Dänemark, in dem es um die Zugehörigkeit von Schleswig und Holstein ging, mit Waffengewalt. Auch das Ringen der beiden Großmächte Preußen und Österreich um die Vorherrschaft endete im Deutschen Krieg, in dem Preußen siegte. Der deutsche Bund, der von Österreich dominiert wurde, wurde aufgelöst und Preußen gründete den Norddeutschen Bund.

Schließlich war es der Deutsch-Französische Krieg, der den Weg in den deutschen Nationalstaat ebnete. Bismarck hatte es geschafft, die süddeutschen Staaten zum Kriegseintritt an der Seite des Norddeutschen Bunds zu manövrieren.

Die nationale Begeisterung nach dem deutschen Sieg nutzte er, um schon vor dem Waffenstillstand Fakten zu schaffen: Am 18. Januar 1871 wurde der preußische König Wilhelm I. in Versailles zum deutschen Kaiser proklamiert und symbolisch das Deutsche Reich gegründet.

Quelle: SWR | Stand: 02.01.2021, 15:30 Uhr

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