Ausstellungsbroschüre von 1938: Zu sehen ist ein Schwarzer mit Zylinder und Ohrring, der Saxofon spielt und einen Judenstern trägt. Darunter steht: 'Entartete Musik. Eine Abrechnung von Staatsrat Dr. H. S. Ziegler'.

Kindheit im Zweiten Weltkrieg

Die Swing-Jugend

Während des Nationalsozialismus galt die Swing-Musik als Provokation, die gefährlich werden konnte. Denn ihre Fans passten so gar nicht in das damalige Klischeebild der "deutschen Jugend" – und einige bezahlten für ihre Leidenschaft mit dem Leben.

Von Alexandra Stölzle und Gabriele Trost

Treffpunkte und Lebensstil

Swing wurde weniger in der Öffentlichkeit gehört, als vielmehr im privaten Rahmen. Bands wurden gegründet und Partys veranstaltet, auf denen exzessiv bis in den frühen Morgen hinein getanzt wurde.

Anfänglich trafen sich die Swings noch zu großen Partys, zum Beispiel zu einem Tanzfest im Curio-Haus in Hamburg, an dem mehr als 500 Swings teilnahmen. Mit der Zunahme von Razzien 1940 fanden die Treffen dann aber nur noch im kleineren Rahmen statt.

Bei Swing-Partys hörte man die verpönten Platten und tanzte nach einem eigenen, neu entwickelten Stil. Den Oberkörper locker vornüber fallengelassenen, mit gespreizten Beinen, ein Arm lässig in die Höhe gestreckt, bewegte man sich zur Musik. Zeige- und Mittelfinger formten dabei das Victory-Zeichen. Die Nazis verhöhnten diese Tanzweise als "Negertänze" oder "Affentänze".

Cliquenbildung

Schon bald gründeten die Jugendlichen erste Swings-Cliquen und demonstrierten ihre Mitgliedschaft durch das Tragen eines Clubabzeichens. Während die Nationalsozialisten viel Wert auf die getrennte Erziehung von Mädchen und Jungen in den Jugendorganisationen Hitlerjugend (HJ) und Bund Deutscher Mädel (BDM) legten, gab es bei den Swings keine Geschlechtertrennung.

Den Nazis war dies ein Dorn im Auge. Sie nutzten die gemischten Gruppen als Propagandamittel, um den ausschweifenden Lebensstil der Swings anzuprangern. Für diese gehörten Sex und Alkohol zu ihrem Lifestyle – zumindest nach außen.

Schwarzweiß-Foto: Eine Swing-Band mit Sängerin in Aktion.

Den Nazis war die Musik aus Amerika ein Dorn im Auge

Sprachliche Eigenheiten

In Briefen, die sich Swings untereinander schrieben, finden sich viele englische Ausdrücke und auch die Gespräche wurden mit englischen Sprachfetzen durchsetzt.

Die Swings gaben sich untereinander englische Namen. Bei den Männern waren Frank, Bobby und Teddy die beliebtesten, bei den Frauen Blackie, Micky und Dolly. Auf der Straße sprach man sich unkonventionell an, etwa mit Swing-Girl, Jazz-Katze, Swing-Puppe oder Old Boy.

Bei den Begrüßungen zog man gern die nationalsozialistischen Begrüßungsformeln ins Lächerliche. So hieß es nicht Sieg heil, sondern Swing heil, und aus Heil Hitler wurde Heil Hotler (in Anlehnung an das Wort Hotten, das von dem Begriff "hot music" als Bezeichnung für Jazz abgeleitet worden ist).

"Hotten" war ein szeneinterner Ausdruck für Tanzen, ein Hotter war ein Swing-Tänzer. Wörter wie Lässigkeit oder Lottern entstammten ebenfalls dem Jargon der Swings.

In manchen Kreisen war sogar die Verwendung von jüdischen Wörtern wie "meschugge" oder "koschere Musik" etabliert, was nicht unbedingt als Sympathiebezeugung für die jüdische Bevölkerung gemeint war, sondern eher um der Provokation willen eingesetzt wurde.

Die Mode

Die Jugendlichen kleideten sich nach englischen und amerikanischen Vorbildern. Dies brachte ein Outfit hervor, das bewusst dandyhaft und elegant wirken sollte.

Die Jungen trugen karierte, weite und lange Sakkos, Anzüge und Mäntel. Unverzichtbar waren die Accessoires Hut und Regenschirm. Letzterer wurde auch bei gutem Wetter mitgeführt. Die Haare trug man möglichst lang, ungefähr in Schulterlänge. Die nach hinten gekämmte Haarpracht wurde mit Zuckerwasser oder Haarpomade in Form gebracht.

Die Mädchen kleideten sich bewusst feminin. Kurze Röcke betonten die Figur, lange Hosen unterstrichen das selbstbewusste Auftreten. Eine Zigarette, die mit Hilfe einer langen Zigarettenspitze geraucht wurde, war unverzichtbar. Make-up und Dauerwelle durften ebenfalls nicht fehlen.

Konflikte mit der nationalsozialistischen Ideologie

Die Swings sahen sich nicht als Teil des politischen Widerstands. Häufig besuchten sie am Samstag zunächst die Veranstaltungen von HJ und BDM, um sich anschließend privat zu treffen und mit Swing-Musik eigene Partys zu feiern.

Doch die Swings fielen durch ihr Verhalten und ihre Lebensart aus den Idealvorstellungen der Nationalsozialisten heraus, mit deren Ideologie sie schon bald in Konflikt gerieten. Die deutsche Frau sollte sich nicht schminken und nicht aufreizend kleiden.

Die männlichen Swings, auch Swing-Heinis oder Tango-Jünglinge genannt, waren das Gegenteil von dem, was man sich unter einem Hitlerjungen vorstellte. Sie gaben sich weder drahtig noch soldatisch, sondern trugen anstelle des von der HJ propagierten Kurzhaarschnitts ihre Haare lang.

Bisweilen setzten die Swings sogar auf offene Provokation gegenüber den Machthabern. So parodierten etwa 1941 rund 60 Swing-Jugendliche auf dem Hamburger Hauptbahnhof den Empfang hoher Nazi-Persönlichkeiten.

Schick herausgeputzt erwarteten sie zwei Freunde, die beim Aussteigen aus dem Zug laut bejubelt und mit "Reichsstatistenführer" begrüßt wurden. Die beiden ließen sich von ihren Freunden fotografieren und zum Ausgang geleiten, wo schon eine Pferdekutsche wartete, die sie durch die Stadt fuhr.

Diese Parodie erboste die NS-Führung und hatte die Verhaftung der wichtigsten Beteiligten zur Folge, die anschließend an die Front geschickt wurden.

Swing-Anhänger wurden verfolgt

Nationalistische Kreise hatten schon zu Zeiten der Weimarer Republik gegen die amerikanische Jazz-Musik gewettert. Bereits 1931 gab es das erste regionale Swing-Verbot in Thüringen.

Unmittelbar nach der Machtübernahme wurde in der beliebten Radiosendung "Berliner Funkstunde" schon keine Swing-Musik mehr gespielt. Diese Art der Musik galt von nun an als musikalischer Untergang des Abendlandes.

In vielen Cafés wurden Schilder mit der Aufschrift "Swing tanzen verboten" aufgehängt. Die Nationalsozialisten begannen mit ihrer Jagd auf die Swings. Aus ihrer Sicht schädigten diese die deutsche Volkskraft. Herumhängen anstatt zu arbeiten – ein schlechtes Vorbild, das in den Augen der Nationalsozialisten keine Schule machen durfte.

Die Anhänger dieser entarteten Musik galten als degeneriert, krank und kriminell veranlagt. Strikt verboten war das Abhören von Feindsendern.

Die Musik selbst war bis zum Kriegsbeginn frei zugänglich auf Schallplatten zu kaufen. Jeden Monat erschienen neue Aufnahmen. Allerdings durften ab Januar 1938 keine jüdischen Komponisten oder Interpreten mehr verkauft werden.

Unzählige schwarze und weiße Swing-Orchester waren bis September 1939 noch zu kaufen. Erst mit der Einstufung von England und den USA als Feindstaaten, endete der Verkauf abrupt.

Viele wurden verhaftet

Ab 1940 nahmen die Verhaftungen von Swing-Jugendlichen zu. Vor allem die finanziell weniger gut gestellten Mitglieder der Szene wurden zur Umerziehung in Arbeitslager gesteckt. Ein großer Teil der Jugendlichen starb in Jugendkonzentrationslagern an körperlicher Erschöpfung und Unterernährung.

In Folge der Repressionen seitens der Nazis bildete sich unter den Swings erster politischer Widerstand. Es kam zu vereinzelten Kontakten zum Hamburger Teil der "Weißen Rose".

Viele der Jugendlichen verloren in Arbeits- und Konzentrationslagern ihr Leben für ihre Liebe zur Jazz- und Swing-Musik. Einige wenige konnten durch ihre Mitgliedschaft in Lagerorchestern dem Tod entgehen, andere schafften es, einer Verhaftung durch unauffälliges Verhalten auszuweichen.

Ein Mann hält eine Zeitung mit Infos über Jugendliche in deutschen Konzentrationslagern hoch

Günter Discher musste als Jugendlicher für drei Jahre ins KZ, weil er Swing-Fan war

Quelle: SWR | Stand: 01.02.2023, 12:00 Uhr

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