Porträtaufnahme von Gerd Gigerenzer.

Entscheidungen

Mit einfachen Regeln richtig entscheiden

Manchmal treffen wir blitzschnell die richtige Entscheidung, scheinbar aus dem Bauch heraus. Wenn wir uns auf einem Gebiet gut auskennen, ist unsere Intuition ein sehr guter Ratgeber. Aber was ist Intuition überhaupt?

Von Katharina Bueß

Der Psychologe Gerd Gigerenzer beschreibt Intuition als unbewusste Intelligenz, die auf Erfahrung beruht. So handeln zum Beispiel erfahrene Sportler oft intuitiv richtig. Fangen sie an zu taktieren und nachzudenken, entscheiden sie sich häufig für eine weniger gute Option. Bei Anfängern sieht es anders aus: Sie entscheiden besser, wenn sie bewusst nachdenken.

Mit Faustregeln zu guten Entscheidungen

Mit einfachen Faustregeln, sogenannten Heuristiken, treffen wir oft gute Entscheidungen. Manchmal gilt: Entscheide schnell! Denn je länger wir nachdenken, desto mehr zweitklassige Lösungen fallen uns ein. Wir kommen ins Grübeln, und das Ergebnis wird dadurch nicht besser. Diese Regel gilt besonders dann, wenn wir uns in einem Gebiet schon gut auskennen.

Frag andere!

Anders sieht es aus, wenn wir in einem Gebiet fremd sind. Dann hilft es, sich Rat bei Experten zu holen. Doch Achtung: Vorher sollten wir prüfen, ob unsere Experten unabhängig sind.

Dem Rat eines Bankberaters, erklärt der Entscheidungsexperte Gerd Gigerenzer, würde er nicht trauen. Denn dieser sei in einem Interessenskonflikt und werde nur zu etwas raten, was seinem Unternehmen Nutzen bringt.

Die Perspektive wechseln

Eine andere Heuristik ist, den Blickwinkel zu ändern. Die neue Perspektive zeigt uns die Lösung. Ein prominentes Beispiel für diesen Trick ist die Notlandung des Airbus auf dem Hudson River im Jahr 2009.

Als kurz nach dem Start die Technik versagte, musste der Pilot Chesley Sullenberger innerhalb weniger Minuten eine Entscheidung treffen. Seine Wahl fiel auf die Notwasserung, alle Passagiere überlebten.

Ein Flugzeug ragt noch leicht aus den Fluten eines Flusses, im Hintergrund ist die Skyline einer Metropole zu sehen.

Notlandung im Hudson bei New York 2009

Schockrisiken führen zu falschen Entscheidungen

Etwa 250 Menschen kamen als Flugzeugpassiere bei den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA ums Leben. In der Folge gab es eine Panik vor Terrorismus und Flugzeugen. Geprägt von den Bildern in den Medien, fühlten sich viele im Auto sicherer.

Ein perfektes Beispiel für ein "Schockrisiko", erklärt der Experte für Risikobewertung Gerd Gigerenzer. Denn der Straßenverkehr stieg im folgenden Jahr stark an, und mit ihm die Zahl der tödlichen Autounfälle. Fast 1600 Amerikaner kamen dadurch ums Leben. Deutlich mehr, als durch die Flugzeugentführungen zuvor.

Oft schätzen wir die falschen Dinge als Risiko ein. Tatsächlich ist es um ein Vielfaches wahrscheinlicher, an einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall zu sterben als an einem Terroranschlag. Dennoch erkennen viele die Symptome nicht, auch wenn schnelles Handeln hier Leben retten kann.

Andere Länder, andere Ängste...

Wir fürchten uns vor der Zahl 13 – so sehr, dass es im Flugzeug oft keine 13. Reihe gibt. In asiatischen Ländern gilt die Vier als besonders gefährlich und wird gemieden. In den USA sind Schusswaffen weit verbreitet und viele meinen, dass diese ihre Sicherheit erhöhen. In Europa eine absurde Vorstellung. Wie kommt das?

Psychologe Gigerenzer erklärt das mit sozialem Lernen: Es kann Leben retten, ein Risiko nicht selbst einzugehen, sondern das Verhalten anderer zu imitieren. Auch wenn manche der vermeintlichen Gefahren gar keine sind. Es sei besser, mal etwas Ungefährliches zu meiden, als eine tatsächliche Bedrohung nicht zu erkennen.

Die Truthahn-Illusion

Die Folgen der Weltwirtschaftskrise von 2008 sind noch heute spürbar. Doch wie konnte es überhaupt dazu kommen? Einer der Gründe ist, dass dauerhaft Risiken nicht als solche erkannt wurden.

Risikoexperte Gigerenzer erklärt das mit der "Truthahn-Theorie": Ein Truthahn wird jeden Tag gefüttert und gehätschelt, er schließt daraus, dass es immer so weitergehen wird. Doch das ist eine Illusion: Er endet, scheinbar überraschend, im Backofen.

Fehler im Finanzsystem

Der Hauptgrund für den großen Crash in Wirtschaft und Finanzwelt liege im System, das die falschen Anreize setze, meint Gigerenzer. Ein Topmanager werde nur für drei oder vier Jahre engagiert und durch Boni belohnt, wenn er besonders hohe Risiken eingeht.

Den Schaden tragen andere. Ein klassischer Unternehmer, bei dem es um die eigene Firma geht, wird weniger zum Zocken neigen.

Ein Mann rauft sich die Haare und schaut entsetzt, im Hintergrund eine Schautafel mit Kursnotation.

Die Ursachen liegen im System

Lernen durch eine gute Fehlerkultur

Aus Schaden wird man klug? Nicht immer. Nur, wenn die Fehler anschließend offen benannt und Lehren daraus gezogen werden. Ein Bereich, in dem das laut Gigerenzer gar nicht klappt, sei die Medizin. Fehler würden hier aus Angst vor Klagen vertuscht.

So sterben in den USA jährlich 28.000 Menschen an Katheterinfektionen. Und die wären durch einfache Dinge wie Händewaschen mit Seife vermeidbar.

Ein US-Krankenhaus zeigte, dass es auch anders geht. Durch das Einführen einer Checkliste mit nur fünf Punkten ließ sich die Infektionsrate auf Null senken. So sieht eine gute Fehlerkultur aus.

Quelle: SWR | Stand: 01.10.2019, 10:00 Uhr

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