Brutaler Vorgänger des modernen Fußballs
Zwar hat der moderne Fußball mit seinen heutigen Regeln seinen Ursprung in England und nicht in Italien. Doch bereits in der Renaissance wurde in Florenz ein Spiel gespielt, das dem italienischen Fußball bis heute seinen Namen gibt: der "Calcio Storico" (calcio = Fußball, storico = historico = historisch). Heute wird er auch "Calcio in Costume" genannt, weil die Spieler oft in traditionellen Kostüme antreten.
Mit Fußball im herkömmlichen Sinn hat dieses Spiel allerdings wenig gemein. Den Spielern der beiden Mannschaften ist alles erlaubt, um dem Gegner den Ball abzujagen und ins feindliche Tor zu bugsieren – egal mit welchem Körperteil.
Dieses Szenario ähnelt eher dem britischen Rugby, bloß ohne Regeln. Auch Elemente aus Boxen und Mixed Martial Arts gehören dazu. Das italienische Wort "calciare" heißt übersetzt auch "treten". Als Zuschauer fragt man sich, ob damit eher der Ball oder der Gegner gemeint ist.
Beim Calcio Storico ist fast alles erlaubt
Blütezeit unter den Medici
Ende des 15. Jahrhunderts erfand die berühmte Medici-Familie den "Calcio". Wie bei vielen Dingen in der Renaissance hat auch dieses Spiel vermutlich einen antiken Vorgänger. Schon der Feldherr Cäsar soll ein glühender Verfechter des römischen Spiels "Harpastum" gewesen sein, bei dem es darum ging, der gegnerischen Mannschaft einen Lederball zu entreißen.
Doch erst bei den Medici wurde der "Calcio" richtig populär. An hohen Feiertagen war das Spiel stets fester Bestandteil des Programms.
Die Liebe zum Calcio ging sogar so weit, dass die Medici die Mannschaften zeitweise sogar auf den Plätzen des Vatikans spielen ließen. Nach dem Ende der Medici-Ära im 18. Jahrhundert geriet das Calcio-Spiel jedoch zunehmend in Vergessenheit.
Der "Calcio" wird von einem festlichen Umzug begleitet
Historisches Spektakel als Touristenattraktion
1930 führte der faschistische Diktator Benito Mussolini den Calcio wieder ein. Er hatte Angst vor einer Überfremdung durch den damals in Italien bereits heiß geliebten Fußball britischer Art. Den modernen Fußball konnte er jedoch nicht mehr zurückdrängen – Italien wurde schon 1934 und 1938 Fußball-Weltmeister.
Der Calcio wird seitdem jedes Jahr aufs Neue in Florenz ausgetragen. Die vier historischen Stadtteile San Giovanni, Santa Maria Novella, Santa Croce und Santo Spirito stehen sich dabei im Mai und im Juni auf der Piazza Santa Croce gegenüber.
Gespielt wird auf Sand und in den historischen Kostümen der Renaissance. Jedes Team besteht aus 27 Spielern, die den Ball in das aufgespannte Netz des Gegners befördern müssen. Das Netz wird von jeweils vier Torhütern bewacht.
Verletzungen sind beim rauen "Calcio Storico" an der Tagesordnung. Das Finale wird traditionell am 24. Juni ausgetragen, dem Namenstag von Johannes dem Täufer, dem Schutzpatron der Stadt Florenz.
Mittlerweile ist das historische Spektakel zu einer Touristenattraktion geworden, die zahllose Besucher anzieht – wenn auch vielleicht nicht ganz so viele wie das historische Pferderennen "Palio" in der Stadt Siena.
Dem Gewinner des "Calcio" steht nicht nur die traditionelle Flagge des Siegers zu, sondern auch ein weißes Kalb. Und anschließend wird im Stadtviertel der siegreichen Mannschaft ausgiebig bis tief in die Nacht gezecht.
(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 29.09.2020)
Quelle: WDR