Land der Superlative
Wenn man Russland von Westen nach Osten durchreist, durchquert man elf Zeitzonen und drei Klimazonen. Ein Staat, der im Osten an China grenzt, im Polargebiet nur noch wenige Kilometer von Alaska entfernt ist und in den Weiten Sibiriens seine Goldgrube hat, die der einstigen Großmacht wieder internationales Gewicht verleiht: die riesigen Energievorkommen.
Russland ist mit mehr als 17 Millionen Quadratkilometern das größte Land der Erde, hat aber bei Weitem nicht die höchste Einwohnerzahl: Mit knapp 145 Millionen Menschen (Stand 2018) wohnen dort noch nicht einmal doppelt so viele Menschen wie in Deutschland. Dafür passt die Bundesrepublik aber 48 Mal in die Fläche Russlands.
Bis zum Ural ist Russland europäisch. Bis hierhin ist das Land auch am weitesten entwickelt: Im europäischen Teil liegen die großen Metropolen Moskau und St. Petersburg, das Straßen- und Eisenbahnnetz ist hier gut ausgebaut. Im westlichen Teil Russlands fließt im Süden auch der längste Fluss Europas: Die Wolga ist seit Jahrhunderten eine wichtige Lebensader für Mensch und Wirtschaft.
Hinter dem Ural beginnt Sibirien und dort lagern die größten Erdgasvorkommen der Welt, die der Staatskasse und dem Energiemonopolisten Gazprom Geld in die Kasse spülen.
Die Entstehung des Riesenreiches
Entlang der Handelsrouten zwischen Ostsee und Schwarzem Meer entwickelte sich im 9. Jahrhundert ein System von slawischer und skandinavischer Herrschaft, die "Kiewer Rus". Im 13. Jahrhundert zerbrach das Reich durch die Mongolenstürme, die Teilfürstentümer kamen unter die Herrschaft der sogenannten "Goldenen Horde".
Erst nach 200 Jahren konnte sich das Großfürstentum Moskau von der mongolischen Fremdherrschaft befreien und Großfürst Iwan IV. ließ sich 1547 zum ersten "Zar der ganzen Rus" krönen. Unter seiner Herrschaft begann auch die Eroberung Sibiriens.
Im 16. Jahrhundert regierte Iwan der Schreckliche mit eiserner Hand und betrieb eine imperiale Machtpolitik nach Osten und Süden. Auch unter Katharina der Großen wurde das Reich noch einmal vergrößert: Sie drang bis zum Schwarzen Meer und dem Osmanischen Reich vor.
Die Sowjetunion
Die Krise der einfachen Bevölkerung im Zeitalter der Industrialisierung führte im 19. Jahrhundert zu vielen Aufständen. Dies mündete schließlich in der Oktoberrevolution von 1917.
Im nachfolgenden Bürgerkrieg zwischen kommunistischen und nicht-kommunistischen Kräften setzten sich zunächst im Kernland, später auch in den Provinzen, die Kommunisten durch. 1922 gründeten sie die UdSSR, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Industrie und Landwirtschaft wurden verstaatlicht, die Besitzer enteignet.
Gegen Widersacher der jeweils aktuellen politischen Linie wurde gezielter Terror eingesetzt. In den Gulags, den Straflagern, die Josef Stalin unter anderem in Sibirien errichtet hatte, starben Hunderttausende von Menschen.
Die "Diktatur des Proletariats" zerfiel erst mit der Politik von Glasnost und Perestroika, die Michail Gorbatschow seit Mitte der 1980er-Jahre verfolgte. Ergebnis war nicht nur der Zusammenbruch der Sowjetunion, sondern auch der Fall der Mauer in Deutschland und die Demokratisierung Osteuropas.
Die Jelzin-Jahre
Im Zuge des Demokratisierungsprozesses verlor Gorbatschow nach einem Putsch im August 1991 seine Position. Schon im November 1991 räumte der russische Kongress der Volksdeputierten seinem Nachfolger Boris Jelzin außerordentliche Vollmachten zur Durchführung von Wirtschaftsreformen ein.
Für die Umgestaltung des Wirtschaftssystems gab die Auflösung der UdSSR am 31. Dezember 1991 endgültig den Weg frei. Unter Boris Jelzin wurden in Russland Teile der Wirtschaft privatisiert und demokratische Reformen durchgeführt.
Beides verfehlte jedoch sein Ziel und die Wirtschaft brach zusammen. Die hohe Inflation und Arbeitslosigkeit, aber auch die Tatsache, dass viele Menschen monatelang keine Gehälter bezahlt bekamen, destabilisierten das Land, es versank im Chaos.
Die Jelzin-Jahre haben den Begriff "Demokratie" bis heute bei vielen Russen in Verruf gebracht. Die letzten Jahre seiner Amtszeit war Jelzin im Prinzip regierungsunfähig. Die Amtsgeschäfte des schwer kranken Präsidenten übernahmen Mitglieder der Familie. Unter anderem spielte Jelzins Tochter in diesem Machtgefüge eine wichtige Rolle.
Das System Putin
Schon die neue Verfassung, die Anfang der 1990er-Jahre verabschiedet wurde, räumte dem Präsidenten eine mächtige Stellung ein, die kaum vom Parlament kontrolliert werden konnte. Diese starke Machtkonzentration verstärkte Wladimir Putin in seinem Amt als Präsident, das er im März 2000 antrat. Ein Markenzeichen der Jelzin-Jahre, die starke Föderation, baute Putin ab.
Während unter Jelzin die Gouverneure der einzelnen Bundesländer bei Regionalwahlen vom Volk gewählt wurden, ernennt sie heute der Kreml. Auch sonst setzte Putin in seinen Amtsjahren sehr auf Kontrolle – wohl eine Eigenschaft, die durch seine langjährige Zeit beim Geheimdienst KGB ausgeprägt wurde.
Heute sitzen an vielen zentralen Machtpositionen Leute der russischen Geheimdienste. Dennoch genießt Putin hohes Ansehen bei der russischen Bevölkerung. Dank seiner Reformen hat nicht nur die Wirtschaftselite etwas vom wirtschaftlichen Erfolg, es kommt auch unten bei den einfachen Leuten etwas davon an. Auch die Gehälter werden wieder gezahlt.
Gerade durch seine Popularität im Vergleich zum kranken Jelzin konnte sich Putin mehr oder weniger unersetzbar machen. Die Schachzüge, die eine Fortsetzung seiner Macht auch nach den Wahlen sichern sollen, beweisen dies. Bei den Präsidentschaftswahlen 2008 konnte Putin laut damaliger Verfassung nicht noch einmal antreten. Es wäre seine dritte Amtsperiode in Folge gewesen. Er musste vier Jahre warten, bis er wieder gewählt werden konnte.
Dimitrij Medwedjew (Präsident von 2008 bis 2012) schlug gegen Ende seiner Amtszeit Wladimir Putin als seinen Nachfolger vor. 2012 gewann Putin die Wahl und wurde so zum dritten Mal Präsident von Russland. Auch bei den Wahlen im Jahr 2018 ging Putin als Sieger hervor und wurde für seine vierte Amtszeit vereidigt, nachdem die Amtsperiode zuvor auf sechs Jahre verlängert worden war.