Die Wikinger
01:59 Min.. UT. Verfügbar bis 29.08.2028. Von Anja von Kampen, VisionX.
Völker
Wikinger
Die Wikinger gelten als Terroristen des Mittelalters. Sie eroberten per Schiff gewaltsam die Dörfer Europas, plünderten Klöster, versklavten die Bewohner und brannten nieder, was sie nicht mitnehmen konnten. Doch sie waren mehr als mordlüsterne Barbaren.
Der Überfall auf Lindisfarne
Es ist der Morgen des 8. Juni 793. Die Mönche des Klosters St. Cuthbert auf der englischen Insel Lindisfarne nahe Schottland beobachten seltsame Silhouetten über dem Meer. Sie bewegen sich rasend schnell auf die flachen Sandstrände zu.
Die Ordensbrüder erkennen langgestreckte Boote mit furchterregenden Drachen- und Schlangenköpfen am Bug. Es dauert nicht lange, bis sie das Ufer erreichen. Schwer bewaffnete Männer eilen auf das Kloster zu. Sie töten die Bewohner der Insel und rauben aus dem Kloster Kreuze aus Gold und Edelsteinen, Becher, Kandelaber und wertvolle Manuskripte.
Alkuin, der berühmte englische Gelehrte am Hofe Karls des Großen, berichtete später darüber: "Niemals zuvor brach ein solches Entsetzen über Britannien herein. Die Kirche des Heiligen Cuthbert ist besudelt mit dem Blut der Priester Gottes und all ihre Schätze wurden geraubt."
Der Überfall auf das Kloster St. Cuthbert auf Lindisfarne ist der erste große Raubzug der Wikinger, der durch Quellen belegt ist. Doch er blieb nicht der letzte.
In den folgenden drei Jahrhunderten plünderten die Wikinger Dörfer bis ins europäische Binnenland. Sie drangen von Dänemark aus nach Frankreich und ins südliche England vor; und von Norwegen aus nach Irland, Island, Grönland und Nordengland – sogar bis zu den Färöer-Inseln und den Shetlands.
Wikinger aus dem schwedischen Raum orientierten sich eher ostwärts. Sie nutzten das verzweigte Flusssystem und gelangten so ins heute russische Nowgorod und ins ukrainische Kiew. Sie kamen bis ans Schwarze Meer und sogar bis nach Konstantinopel, das heutige Istanbul.
Sie versetzten Europa in Angst
Die Horden aus dem Norden
Den Namen "Wikinger" erhielten die Horden aus dem Norden von den Menschen, die sie überfielen. Dabei waren die Plünderer keineswegs ein einheitliches Volk, eine ethnische Gruppe. Die Bezeichnung "Wikinger" ist viel mehr ein Sammelbegriff für verschiedene Völker aus dem Norden, die ab dem neunten Jahrhundert scheinbar plötzlich auf dem europäischen Kontinent erschienen.
Die Wikinger waren in Skandinavien beheimatet, sie stammten aus Norwegen, Dänemark und Schweden und fanden sich zu losen Gefolgschaften zusammen, um in Mittel- und Südeuropa Beute zu machen, Siedlungsräume zu finden und schnell reich zu werden.
Den Menschen in Mitteleuropa war damals gleichgültig, wer sie da genau überfiel. Für sie waren die weit übers Meer gereisten "Barbaren" alle unterschiedslos schrecklich, eben alles "Wikinger".
Gefürchtete Krieger
Der Name "Wikinger"
Die Namensbedeutung wird heute kontrovers diskutiert. Der Begriff "Wikinger" leitet sich womöglich von dem altnordischen Verb "víkingr" ab (Rauben, Plündern, auf Beutezug sein). Oder auch vom lateinischen Wort "vicus", damit sind die fahrenden Männer gemeint, die auf dem Schiff von Ort zu Ort, von Hafen zu Hafen gelangen.
Das Wort Wikinger bezeichnet also keine ethnische Zugehörigkeit, es ist vielmehr eine Zustandsbestimmung: Ein Wikinger ist ein Skandinavier, der sich auf Beutefahrt befindet.
Wikinger haben auch zahlreiche andere Namen. Die Normandie, eine französische Region, leitet sich von den "Nordmännern" ab – genauso wie die Bezeichnung "Normannen".
Finnen und Slawen nannten die schwedischen Wikinger dagegen "Waräger" oder "Rus", woraus das Wort Russland entstand. Ab dem Jahr 750 siedelten sie auf dem Gebiet des späteren Russland, Weißrussland und der Ukraine.
Mitteleuropa – das gelobte Land
Ansporn für die Wikinger, damals so beschwerliche und gefährliche Reisen zu unternehmen und Europa an allen Ecken und Enden zu überfallen, war die Schaffung und Sicherung besserer Lebensverhältnisse.
Die Skandinavier lebten als ärmliche Bauern und Siedler, die hart ums Überleben kämpften. Wichtige Wikingerniederlassungen waren Grönland und Island. Dorthin gelangten über 10.000 Menschen aus Norwegen, weil Überbevölkerung sie zum Auswandern zwang.
Handel treibende Wikinger waren für die Skandinavier die wichtigste Informationsquelle. Und von den Händlern hörte man sagenhafte Geschichten über schlecht bewachte Reichtümer im fremden Mitteleuropa, die man mühelos rauben könne.
Solche Verheißungen reizten die mobilen Männer aus dem Norden, sie rüsteten Schiffe aus, bildeten lockere Fahrgemeinschaften und begaben sich auf Beutefahrt. Gleich die ersten Beutezüge waren so erfolgreich, dass die Wikinger von nun an regelmäßig vor Europas Küsten erschienen.
Wikinger auf Beutezug
Der Handel der Wikinger
Wikinger waren in Mitteleuropa aber nicht nur mit kriegerischen Absichten unterwegs, sondern sie waren auch Händler, die im Mittelalter Küstengebiete und Inseln Europas anliefen, teilweise kolonialisierten und in Europa und im Orient ein dichtes Handelsnetz errichteten.
Diese fahrenden Händler wollten nicht Beute machen, sondern Geschäfte. Die Händler der Wikinger tauschten Güter wie Honig, Wachs, Bernstein, Felle, Tierhäute und Waffen gegen Edelmetalle, Silber, Seide, Brokat, Gewürze, Helme und Rüstungen.
Auch Sklaven wurden bis in den vorderen Orient verkauft. Dafür nahmen die Wikinger viele Menschen auf ihren zahlreichen Beutezügen gefangen.
Edelmetalle als Waren
Das Ende der Wikingerzeit
Die Wikingerzeit endete mit dem 11. Jahrhundert. Norwegen, Dänemark und Schweden wurden große Königreiche, die Nordmänner begannen sesshaft zu werden. Auch die Missionierung der Skandinavier, die Hinwendung zum christlichen Glauben, führte zu einer grundlegenden Befriedung der einstigen Krieger.
Gleichzeitig veränderte sich die europäische Welt, die Wikinger verloren ihr Monopol und ihre militärische Überlegenheit im Schiffsbau.
Die Wikinger haben die mitteleuropäische Ordnung spürbar beeinflusst. Im Jahr 911 erhielt der dänische Wikingerführer Rollo die französische Normandie als Lehen vom französischen König. Zwar verlor der König dadurch Land an die Skandinavier, dafür stellten diese aber die Verwüstungen und Plünderungen rund um Paris ein.
Eine weitere Abmachung beinhaltete außerdem den Schutz Frankreichs vor künftigen Wikingerüberfällen durch den skandinavischen Vorposten in der Normandie. Die Normannen assimilierten sich schnell. Das heißt, sie nahmen die französische Sprache und französische Bräuche an, sie fügten sich geschmeidig in die französische Kultur ein.
Der normannische Herzog Wilhelm der Eroberer startete 1066 seine berühmte Expedition gegen England: In der Schlacht bei Hastings gelang ihm die Eroberung der britischen Insel. Selbst Süditalien und Sizilien nahmen die Normannen damals in Besitz.
Der normannische Dom von Monreale auf Sizilien
Quelle: SWR | Stand: 21.04.2020, 13:44 Uhr