Chinesisches Propagandaplakat mit Mao und Anhängern, die die Mao-Bibel schwenken

Mao Zedong

China unter Mao: 1949-1966

Mao ist in die Geschichte als Begründer der chinesischen Volksrepublik eingegangen. Doch der "Große Vorsitzende" war auch ein Diktator, der Millionen Chinesen den Tod brachte und unsägliches Leid über das Land.

Von Gregor Delvaux de Fenffe

Der "Große Sprung nach vorne" war eine unerbittliche Industrialisierungskampagne, die in der größten Hungersnot der Menschheit endete. Die "Proletarische Kulturrevolution" von Mao verordneter Terror, der China ein Jahrzehnt lang ins Chaos stürzte und Millionen Chinesen zu Opfern und Tätern machte.

Die große Bodenreform

Als Mao am 1. Oktober 1949 in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens die Volksrepublik China proklamiert, liegt das Reich der Mitte am Boden. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 54 US-Dollar gehört es zu den ärmsten Ländern der Erde. 70 Prozent der Bevölkerung sind besitzlose Bauern, Tagelöhner und Wanderarbeiter.

Zunächst verbucht die beginnende kommunistische Diktatur zarte Erfolge. Die Wirtschaft erreicht wieder Vorkriegsniveau, die dramatische Inflation wird eingedämmt. 1949 bis 1952 wird eine große "Bodenreform" durchgeführt. Kleine und große Landbesitzer werden systematisch enteignet, das Land an arme Bauern verteilt.

Die wenigen industriellen Großbetriebe des Landes, zumeist im Besitz ausländischer Investoren, werden verstaatlicht. Die Kleinbauern werden von der kommunistischen Partei aufgestachelt und aufgefordert, sich gewaltsam Land anzueignen und an ihren ehemaligen Unterdrückern Rache und Vergeltung zu üben.

Schwarzweiß-Foto: Zahlreiche chinesische Bauern auf einem Feld

Die Kleinbauern sollen auf Maos Geheiß Rache üben

Gelenkter Volkszorn

Die Bodenfrage ist für viele Chinesen existentiell, die Bodenreform längst überfällig. Fast die Hälfte des Bodens wird neu verteilt, die Kommunisten weisen den verelendeten Kleinbauern Zugang zum Boden. Sie erlauben und fördern die gewaltsame Aneignung des Bodens durch die Besitzlosen – und das öffnet der Willkür Tür und Tor.

Jahrhunderte lang angestaute Ungerechtigkeit, Hass, Verzweiflung suchen sich jetzt ein Ventil im "Ge Ming" – im Umsturz, der Umkehrung der Verhältnisse. Eine Welle der Gewalt ergießt sich über China. Überall im Land kommt es zu Schauprozessen und Hetzkampagnen, zu Übergriffen. Tausende Menschen werden in aller Öffentlichkeit vorgeführt, gedemütigt, gefoltert und getötet.

"Ge Ming" – der gewaltsame Umsturz schlechter Herrscher und korrupter Herrschaftsverhältnisse – war schon in der Kaiserzeit wohl bekannt und ist in Chinas Geschichte tief verwurzelt. Dessen ist sich Mao bewusst, und er versteht es bei der brachialen Umsetzung der Bodenreform, den kanalisierten Volkszorn gezielt einzusetzen und für sich zu nutzen.

Mao im herzlichen Gespräch mit chinesischen Bauern

Mao im Gespräch mit chinesischen Bauern

Maos 100 Blumen

"Lasst hundert Blumen blühen, lasst hundert Schulen miteinander wetteifern" – so heißt die Kampagne, die Mao 1956 ins Leben ruft. Sieben Jahre nach der Machtübernahme laden die Kommunisten die Menschen zur konstruktiven Kritik am System, an der Partei, an der politischen Führung ein. Die Idee dahinter ist, dass China seine intelligenten Eliten, seine Experten braucht, um den Aufbau des Landes voranzutreiben.

Doch ideologisch sind die Intellektuellen und Fachleute den Bauern und einfachen Arbeitern untergeordnet und seitens der kommunistischen Regierung klar benachteiligt. Mao will Chinas Intelligenz mit der Aussicht auf mehr Freiheit aus der Reserve locken, um sie besser in den kommunistischen Apparat einzubinden und für den Aufbau des Landes zu gewinnen. Doch der Schuss geht nach hinten los.

Anfangs wird Kritik nur sehr zurückhaltend geäußert, doch allmählich kommt eine Bewegung ins Rollen, die den Kommunisten gefährlich wird. China hat die teils enormen Repressalien durch die Einparteiendiktatur satt. Die Menschen stehen auf, fordern die Beseitigung der kommunistischen Diktatur und gehen für demokratische Reformen, Presse-, Rede- und politische Freiheit auf die Straße.

1957 greift die Partei zur Notbremse und aus der Hundert-Blumen-Kampagne wird eine gnadenlose Anti-Rechts-Kampagne. Die Kritiker, die sich mit ihrer Systemkritik geoutet haben, werden nun rigoros verfolgt, mundtot gemacht, verschleppt, eingesperrt und hingerichtet. Hunderttausende kommen um oder werden in Arbeitslager interniert.

Schwarzweiß-Foto: Armeemitglieder mit einem Gefangenen, der vor ihnen kniet und ein Schild um den Hals hat

Mao kennt keine Gnade mit seinen Gegnern

War die Hundert-Blumen-Kampagne am Ende ein geschickter Schachzug Maos, um seine potentiellen Kritiker aus der Reserve zu locken und zu entlarven, um sie gezielt zu liquidieren? Bis heute wird diese These unter Historikern diskutiert.

Wahrscheinlicher ist, dass Mao in grenzenloser, selbstherrlicher Naivität aus allen Wolken fiel, als die Menschen aus Protest gegen ihn und seine Politik aufstanden. Mao hatte wohl gar nicht erst mit ernsthafter Kritik gerechnet, dazu war er viel zu sehr von sich selbst und der Richtigkeit seiner Politik überzeugt.

Der "chinesische Weg"

Zwischen 1953 und 1957 etabliert die chinesische Führung den ersten Fünfjahresplan. Nach sowjetischem Vorbild soll durch landesweite Entfesselung der Arbeitskräfte die Schwerindustrie auf Kosten der Landwirtschaft entwickelt und gefördert werden. Dagegen steht die rapide anwachsende chinesische Bevölkerung, die eine Steigerung landwirtschaftlicher Erzeugnisse dringend notwendig macht.

Die kommunistische Parteiführung beginnt sich in zwei Lager zu teilen: Die Pragmatiker verfolgen die wirtschaftliche und industrielle Entfaltung Chinas, als Bedingung für eine künftig erfolgreiche Kollektivierung zur Errichtung sozialistischer Strukturen.

Dagegen stehen die Vertreter des idealistischen Lagers, allen voran Mao Zedong. Für Mao sind realpolitische und wirtschaftliche Argumente zweitrangig. Für ihn steht die ständige Revolutionierung des Bewusstseins, die Erziehung zum "Neuen Menschen" im Vordergrund, um einen raschen Übergang zum Sozialismus zu erwirken.

Im Gegensatz zum "Großen Bruder UdSSR" formuliert Mao Zedong einen eigenen, den "chinesischen Weg" der Revolution: Nicht das Proletariat, sondern die Bauern stellen die revolutionären Massen. Chinas Bauern sollen sich organisieren und mobilisieren und funktionierende, autarke kleine Gemeinwesen bilden.

Mao erzwingt den "chinesischen Weg" mit gravierenden Maßnahmen, die tief ins Leben der chinesischen Bevölkerung einschneiden. Besitzverhältnisse und jahrhundertelang gewachsene Gesellschaftsstrukturen der traditionell familiär ausgerichteten Landbevölkerung werden rücksichtslos zerschlagen, die Bauern zwangskollektiviert und in genossenschaftlichen Großverbänden zusammengefasst.

Die Menschen verlieren jegliches Recht auf Selbstbestimmung. Die Eigentumsverhältnisse aufgelöst, Arbeitspensum und Arbeitszeit streng hierarchisch organisiert, degradiert Mao die Bauern zu rechtlosen Befehlsempfängern. Sie müssen den mitunter chaotischen, korrupten oder schlicht absurden Arbeitsanweisungen unbedingt Folge leisten.

Der "Große Sprung" in die Katastrophe

Der offiziell proklamierte "Große Sprung nach vorne" soll China aus seiner ländlichen Rückständigkeit herausreißen und als wirtschaftliche Großmacht etablieren. Zur Überwindung der industriellen Schwierigkeiten ruft Mao das Land auf, auf jedem Bauernhof, in jedem Hinterhof unter Heranziehung selbst primitivster Arbeitsmittel Hochöfen zu errichten und Stahl zu produzieren.

Doch statt im ehrgeizigen Ziel einer schwerindustriellen Überflügelung Großbritanniens mündet Maos groß angelegtes Sozialexperiment in eine Katastrophe. Statt ihre Felder zu bewirtschaften und die dringend benötigten Ernten einzufahren, produzieren die Bauern nach Maos unerbittlicher Vorgabe auf selbstgebauten Stahlkochern nur minderwertiges, nutzloses Eisen. Ein Großversuch bei dem landesweit selbst unentbehrliche landwirtschaftliche Werkzeuge eingeschmolzen werden.

Schwarzweiß-Foto: Chinesen stehen um einen Haufen Altmetall herum

"Großer Sprung": Die Bevölkerung muss ihr Werkzeug einschmelzen

Die Folge der vernachlässigten und zerstörten Landwirtschaft sind brachliegende Felder. So schlittert China 1960 bis 1962 in die größte Hungersnot der Menschheitsgeschichte: Millionen Menschen verlieren ihr Leben, sie essen buchstäblich Rinde und Blätter von den Bäumen.

Durch die verheerenden Folgen des "Großen Sprunges" hat Mao sich als politischer Führer diskreditiert und vorerst ins Abseits manövriert. Die Pragmatiker um Deng Xiaoping übernehmen das Ruder und führen China in ruhigere Gewässer. Unfreiwillig ins zweite Glied gerückt, sinnt Mao auf seine Chance, wieder in die vorderste Reihe zu gelangen und seine politischen Konkurrenten auszuschalten.

Im Jahr 1966 sieht Mao seine Chance gekommen, er ruft die "Große proletarische Kulturrevolution" aus. In den kommenden beiden Jahren tobt in China der Bürgerkrieg. Bis zu Maos Tod 1976 herrscht in China die bleierne Zeit der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Stagnation. Mao hat China paralysiert.

(Erstveröffentlichung 2006. Letzte Aktualisierung 30.06.2021)

Quelle: WDR

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