Ein Mann sieht das Video der historischen Pressekonferenz

Geteilte Stadt Berlin

Schabowskis Zettel

Ein Zettel macht Geschichte: Einige handschriftliche Notizen las der ostdeutsche Politiker Günter Schabowski 1989 auf einer Pressekonferenz vor. Danach war in der DDR nichts mehr wie vorher.

Von Gabriele Trost

"Ausreisegenehmigungen werden kurzfristig erteilt"

Es ist der frühe Abend des 9. November 1989. Am Ende einer internationalen Pressekonferenz kramt Günter Schabowski, Mitglied des Politbüros der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), einen Zettel hervor und beginnt einen Ministerratsbeschluss über eine neue Reiseregelung vorzulesen:

"Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Versagungsgründe werden nur in besonderen Ausnahmefällen angewandt.

Die zuständigen Abteilungen Pass- und Meldewesen der VPKA (Volkspolizeikreisämter) in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass dafür noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen.

Die Antragstellung auf ständige Ausreise ist wie bisher auch bei den Abteilungen Innere Angelegenheiten möglich. Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD beziehungsweise zu Berlin (West) erfolgen. Damit entfällt die vorübergehend ermöglichte Erteilung von entsprechenden Genehmigungen in Auslandsvertretungen der DDR beziehungsweise die ständige Ausreise mit dem Personalausweis der DDR über Drittstaaten."

Foto von Günter Schabowskis Notizzettel

Im Haus der Geschichte: Schabowskis Zettel

Historischer Irrtum

"Wann tritt das in Kraft?", will einer der anwesenden Journalisten wissen.

Schabowski schaut zunächst etwas ratlos, sucht in seinen Papieren und meint dann "Nach meiner Kenntnis – ist das sofort, unverzüglich..." Wie sich erst später herausstellte, sollte die neue Reiseregelung keineswegs an jenem 9. November verlesen werden, sondern, wenn überhaupt, erst einen Tag später. Wer genau sie verabschiedet hatte, ist bis heute ungewiss.

Schabowski selbst schien keine Ahnung zu haben, welche weit reichenden Folgen seine Mitteilung haben würde. Der Zettel, von dem Schabowski vorlas, beinhaltete laut Überschrift auch nur eine "Veränderung der Situation der ständigen Ausreise von DDR-Bürgern nach der BRD über die CSSR."

Hatten die Mitglieder des Ministerrates eher aus Versehen einem derart weit reichenden Beschlussvorschlag zugestimmt? Damit, dass sich die Beamten an den Berliner Grenzübergängen ohne konkrete Anweisungen nur wenige Stunden später den Menschenmassen beugen mussten und die Grenzen öffneten, hatte wohl keiner gerechnet. Wer weiß, welchen Verlauf die deutsch-deutsche Geschichte genommen hätte, hätte Günter Schabowski nicht jenen Zettel aus seinen Unterlagen gekramt.

Portrait von Günter Schabowski

Günter Schabowski

Quelle: SWR | Stand: 20.09.2019, 13:30 Uhr

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