Nationalsozialistische Rassenlehre
Vordenker der Nazi-Rassenlehre
Die Rassenlehre der Nazis stützte sich auf zwei pseudowissenschaftliche Ansätze aus dem 19. Jahrhundert. Schon damals hatten Forscher mit verschiedenen Theorien versucht, die Menschheit in verschiedene Rassen einzuteilen.
Von Andrea Böhnke
Rassentheoretiker: Es gibt eine herrschende Rasse
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts versuchten Forscher weltweit, die Menschheit in verschiedene Rassen einzuteilen. Sie erhoben Daten und stellten Theorien auf. Bekannt wurden damals vor allem die Überlegungen des Schriftstellers Arthur de Gobineau, der zwischen 1853 und 1855 vier Bücher zum Thema veröffentlichte.
Gobineau teilte die Menschheit in drei Rassen ein: Er unterschied eine weiße, eine gelbe und eine schwarze Rasse. Die weiße hielt Gobineau für die überlegene Rasse. Er bezeichnete sie auch als arische Ur-Rasse, die zum Herrschen über die anderen bestimmt sei.
Zugleich warnte er vor einer Vermischung der Rassen. Diese sei zwar faktisch gegeben, gefährde aber die Qualität der arischen Ur-Rasse sowie der Menschheit insgesamt. Nur in Skandinavien sei die Ur-Rasse noch rein.
Gobineaus Theorie fand seinerzeit großen Anklang. Viele Wissenschaftler und Gelehrte nutzten sie, um eigene Abhandlungen zum Thema zu verfassen.
Einer von ihnen war Houston Stewart Chamberlain. 1899 veröffentlichte der Brite ein Buch, in dem er die rassentheoretischen Annahmen Gobineaus auf ein neues Level hob. Er verband sie mit einem radikalen Antisemitismus: Chamberlain erklärte die Juden zu einer eigenen Rasse und – mehr noch – zum Hauptfeind der arischen Ur-Rasse. Daher müsse die Ur-Rasse sie vernichten. 1908 heiratete Chamberlain die Tochter des deutschen Komponisten Richard Wagner, der ebenfalls als überzeugter Antisemit galt.
Sozialdarwinisten: Nur die Stärksten überleben
Andere Rassentheoretiker, wie etwa die Sozialdarwinisten, gingen noch einen Schritt weiter als Gobineau und Chamberlain. Sie erklärten den Rassenkampf zu einem Naturgesetz. Für ihre These beriefen sie sich auf den Naturforscher Charles Darwin.
Darwin war davon ausgegangen, dass in der Natur ein stetiger Kampf ums Dasein herrsche. Diesen überlebten Darwins Ansicht nach nur die Arten, die sich am besten an ihre Umwelt anpassen konnten. Alle anderen seien zum Aussterben verurteilt.
Dadurch würden ungünstige Merkmale automatisch ausgelöscht und die Arten könnten sich langfristig höher entwickeln. Darwin nannte dieses Prinzip "natürliche Auslese" oder auch "der am besten Angepasste überlebt" ("survival of the fittest").
Die Sozialdarwinisten glaubten, dass auch die Menschen in einen stetigen Kampf ums Dasein verwickelt seien. Nur die Stärksten könnten diesen gewinnen. Es sei daher von der Natur vorher bestimmt, dass kranke, schwache und arme Menschen nicht überleben dürften. Nur so könne sich die Menschheit höher entwickeln.
Rassenhygieniker: Zucht der Menschheit
Der Sozialdarwinismus war der Ausgangspunkt für eine noch radikalere Theorie: die der sogenannten Rassenhygiene. Sie entwickelte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Ihre Vertreter meinten, die natürliche Auslese werde durch die zunehmende Zivilisation behindert: Kranke, schwache und arme Menschen würden sich ungehindert fortpflanzen. Dadurch sei die "Qualität der Menschheit" gefährdet.
Die Rassenhygieniker planten daher, in den natürlichen Auswahlprozess einzugreifen und ihn zu unterstützen. Sie schlugen hierfür zwei Vorgehensweisen vor: Sie wollten die Fortpflanzung von Erbgesunden fördern und die von Erbkranken verhindern. Schon bald gab es entsprechende Unternehmungen.
1905 gründete der Mediziner Alfred Ploetz die Gesellschaft für Rassenhygiene. Diese sollte die Rassenhygiene wissenschaftlich begründen. Vier Jahre später verfassten der Jurist Karl Binding und der Psychiater Alfred Hoche die Schrift "Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens".
In dieser rechtfertigen sie die Tötung bestimmter Neugeborener: "Die unheilbar Blödsinnigen (...) haben weder den Willen zu leben noch zu sterben. So gibt es ihrerseits keine beachtliche Einwilligung in die Tötung, andererseits stößt diese auf keinen Lebenswillen, der gebrochen werden müsste. Ihr Leben ist absolut zwecklos (...) Für ihre Angehörigen wie für die Gesellschaft bilden sie eine furchtbare schwere Belastung. Ihr Tod hinterlässt nicht die geringste Lücke."
In den darauffolgenden Jahren stieg die Akzeptanz der Rassenhygiene nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und auch Amerika. 1923 entstand in München der erste Lehrstuhl für Rassenhygiene. Kurz darauf wurde es auch zum Pflichtfach für Medizinstudenten.
(Erstveröffentlichung: 2014. Letzte Aktualisierung: 04.06.2020)
Quelle: WDR