Fotografie von Cosima und Richard Wagner, die sich an der Hand halten

Richard Wagner

Schattenseiten der Wagners

Richard Wagner gilt als Prototyp des deutschen Künstlers: genial, besessen, aufopferungswillig. Doch er und seine Familie verkörpern auch die Schattenseiten der deutschen Geschichte: Antisemitismus, Nationalsozialismus und Hitler-Verehrung.

Von Ingo Neumayer

Der Antisemit Richard Wagner

Richard Wagner selbst hat ein gespaltenes Verhältnis zum Judentum. Auf der einen Seite arbeitet er mit vielen Juden zusammen und betraut den Dirigenten und Rabbinersohn Hermann Levi mit der Uraufführung des "Parsifal". Andererseits macht er immer wieder durch judenfeindliche (antisemitische) Ausfälle von sich reden.

1850 veröffentlicht er unter dem Pseudonym K. Freigedank den Aufsatz "Das Judenthum in der Musik", der vor rassistischen und antisemitischen Tiraden nur so strotzt. Sein erklärtes Ziel: "den Einfluss der Juden auf unsere Musik (...) zu bekämpfen".

Wagner hat große Vorbehalte gegen jüdische Komponisten wie Felix Mendelssohn Bartholdy und Giacomo Meyerbeer. 1868 veröffentlicht er den Aufsatz erneut, diesmal unter eigenem Namen. Damit trifft er den damaligen Zeitgeist.

Hinzu kommen seine Vorliebe für germanische Heldensagen, christliche Mystik und sein immer wiederkehrendes Thema der politischen und menschlichen "Erlösung", wodurch er noch zu Lebzeiten zum Lieblingskomponisten und Vordenker vieler nationalistisch gesinnter Deutscher wird.

Nach seinem Tod führt seine Witwe Cosima nicht nur sein musikalisches, sondern auch sein politisches Vermächtnis fort. Sie verkehrt in deutschpatriotischen Kreisen und macht aus ihrem Antisemitismus keinen Hehl.

Auf Du und Du mit Hitler

Auch die nachfolgende Generation hängt nationalistischem und rassistischem Gedankengut an. So heiratet Richard Wagners Tochter Eva 1908 den britischen Autor Houston Stewart Chamberlain.

Chamberlain hat 1899 mit den "Grundlagen des 19. Jahrhunderts" Aufsehen erregt. Das Buch bindet rassistische und antisemitische Thesen in ein philosophisch-theoretisches Grundkonzept ein und bildet so eine wichtige intellektuelle Grundlage für den späteren Nationalsozialismus.

Chamberlain, der 1915 die deutsche Staatsbürgerschaft annimmt, tritt schon früh in Kontakt mit Adolf Hitler. 1923 trifft er Hitler in Bayreuth und stellt ihn der Familie Wagner vor. Besonders Siegfried Wagners Frau Winifred ist von dem aufstrebenden und charismatischen Politiker beeindruckt.

Als Hitler wenig später nach dem erfolglosen Putsch von München ins Gefängnis kommt, versorgt Winifred ihn mit Schreibmaterial und Papier – angeblich verfasst er auf genau diesem Papier "Mein Kampf".

Winifred tritt 1926 in die Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (NSDAP) ein und unterstützt ihren Duzfreund Hitler nach Kräften. Nachdem Hitler 1933 an die Macht kommt, ist er als Freund der Familie mit dem Spitznamen "Wolf" Dauergast in Bayreuth.

Er verspricht den Wagners einen pompösen Neubau des Festspielkomplexes, der allerdings nie realisiert wird. Dennoch werden die Wagner-Festspiele zunehmend zu Propagandaveranstaltungen für das Dritte Reich. Gleichzeitig setzen die Nazis bei Aufmärschen, Ansprachen und Rundfunksendungen gezielt Wagners Musik ein.

Fotografie von Winifred Wagner

Winifred Wagner (hier 1977) musste die Festspielleitung 1949 abgeben

Als der Zweite Weltkrieg beginnt, wird der zukünftige Erbe des Grünen Hügels, Wieland Wagner, auf Hitlers Anordnung vom Dienst an der Front befreit. Sein jüngerer Bruder Wolfgang muss jedoch im Polenfeldzug antreten und wird kurz nach Kriegsbeginn verwundet. Hitler besucht ihn angeblich zweimal im Krankenhaus.

Die NS-Führung sorgt dafür, dass bis 1944 Aufführungen in Bayreuth stattfinden können, sogenannte "Kriegsfestspiele". Im Zuschauerraum sitzen vornehmlich verwundete Soldaten und Rüstungsarbeiter, der Kartenverkauf wird von der NS-Organisation "Kraft durch Freude" (KdF) organisiert.

Auch hier gibt es enge familiäre Bindungen zum Wagner-Clan: Der KdF-Leiter Bodo Lafferentz heiratet 1943 Verena Wagner, die Schwester von Wieland, Wolfgang und Friedelind. Lafferentz und Wieland arbeiten gegen Kriegsende zusammen in einer Bayreuther Außenstelle des Konzentrationslagers Flossenbürg, wo Zwangsarbeiter Raketensysteme fertigen sollen.

Entnazifizierung: die Wagners auf der Anklagebank

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fällt es den eng mit dem Nazi-Regime verbundenen Wagners zunächst schwer, wieder Fuß zu fassen. Die Alliierten beschlagnahmen Vermögen, Festspielhaus und den Familiensitz Wahnfried, viele wertvolle Unterlagen und Dokumente gehen verloren.

In den Entnazifizierungsprozessen, die die alliierten Siegermächte abhalten, stehen auch die Wagners vor Gericht. Winifred wird zunächst als "Aktivistin" eingestuft, ein Berufungsverfahren kommt zu einem milderen Urteil und sieht sie als "Minderbelastete". Allerdings wird ihr bis 1951 untersagt, ein Unternehmen zu führen, worauf sie die Leitung der Festspiele 1949 an ihre Söhne übergibt.

Wolfgang und Wieland, den die Alliierten als "Mitläufer" einschätzen, übernehmen die Leitung der Festspiele. Daraufhin gibt die bayerische Regierung das eingefrorene Familienvermögen frei. Der Betrieb am Grünen Hügel kann wieder starten.

Siegfrieds Frau Winifred Wagner und ihre vier Kinder 1938

Guter Kontakt zu Hitler und den Nazis: Winifred (rechts) und ihre Kinder

Boykott in Israel

Doch es gibt auch innerhalb der Familie Kritik an der Nähe zum Nazi-Regime. So distanziert sich Friedelind Wagner bereits vor dem Zweiten Weltkrieg von der Familie und zieht in die Schweiz. In einem Brief warnt sie ihre Mutter: "Du wirst schon sehen, wohin euer Hitler euch führt, also nämlich in den Abgrund, in den Verderb."

Später emigriert sie in die USA, wo sie sich an Anti-Nazi-Propagandasendungen beteiligt und dem Geheimdienst hilft, ein psychologisches Profil von Adolf Hitler zu erstellen, den sie aus nächster Nähe erlebt hat. 1944 veröffentlicht sie ihre Erinnerungen "Heritage Of Fire" (deutscher Titel: "Nacht über Bayreuth"), die nach dem Krieg in Deutschland erscheinen und dem Ansehen der Familie weiter schaden.

Auch ihr Neffe Gottfried, ein Sohn Wolfgangs, bricht mit der Familie aufgrund ihrer Vergangenheit.

Auf dem Grünen Hügel werden die Verbindungen zu Hitler und zur NSDAP kleingeredet. Man ist sich keiner Schuld bewusst. Wolfgang schreibt später in seiner Autobiografie, es gebe keinen Grund für ihn und seinen Bruder, sich aufgrund ihres Verhaltens im Dritten Reich reumütig auf die Brust zu klopfen.

Winifred verkehrt auch nach dem Krieg weiterhin in nationalistischen Kreisen. Sie empfängt Ilse Heß, die Frau von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, und Adolf von Thadden, Parteichef der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). 1975 schwärmt sie in einem Fernsehinterview von ihrem Freund Hitler: "Der Teil von ihm, sagen wir mal, den ich kenne, den schätze ich auch heute noch, genauso wie früher."

Das Image der Wagners ist durch die Nähe der Familie zum NS-Regime und die fehlende Distanzierung und Aufarbeitung nach dem Zweiten Weltkrieg für viele nachhaltig beschädigt. Dadurch wird auch das Werk Richard Wagners, Hitlers erklärtem Lieblingskomponisten, in Mitleidenschaft gezogen.

So herrscht in Israel jahrzehntelang die Übereinkunft, Wagners Werke in der Öffentlichkeit nicht aufzuführen. Als der Dirigent Daniel Barenboim dieses Tabu 2001 bricht und als Zugabe eines Konzertes in Jerusalem die Ouvertüre von "Tristan und Isolde" spielt, wird er von den höchsten Repräsentanten des israelischen Staates scharf kritisiert.

Richard Wagner gilt weiterhin als künstlerische und moralische Reizfigur und wird das vermutlich noch lange Zeit bleiben.

(Erstveröffentlichung: 2009. Letzte Aktualisierung: 31.03.2020)

Quelle: WDR

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