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Rechtspopulismus

Rassismus in Deutschland

Rassismus in Deutschland ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern auch heute noch Realität. 2018 zählte das Bundesamt für Verfassungsschutz mehr als 19.000 rechtsextremistisch motivierte Straftaten – darunter Körperverletzungen, Propagandadelikte und Volksverhetzung.

Von Andrea Böhnke

Rassismus in Deutschland hat sich verändert

Im Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke vor seinem Wohnhaus von einem Rechtsextremisten mit einem Pistolenschuss getötet. Lübcke hatte sich 2015 für die Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt. Im Oktober 2019 erschoss ein Rechtsextremist in Halle zwei Menschen, nachdem er keinen Zugang zu einer Synagoge bekommen hatte, in der er Angehörige des jüdischen Glaubens ermorden wollte.

Im Februar 2020 tötete in Hanau ein Rechtsextremist zehn Menschen, neun von ihnen hatten einen Migrationshintergrund. Vor der Tat hatte er das Pamphlet "Botschaft an das gesamte deutsche Volk" geschrieben, in dem er unter anderem vor einer angeblichen "Überfremdung" Deutschlands durch Menschen muslimischen Glaubens warnte.

Zwischen 2000 und 2007 ermordeten vorerst Unbekannte deutschlandweit zehn Menschen. Eines der Opfer war Enver Şimşek. Erst Jahre später stellte sich heraus, dass die Täter der rechtsextremen Szene angehörten und die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gegründet hatten.

Für Şimşeks Tochter bestätigte sich mit der Überführung der Täter etwas, was sie schon lange ahnte: "Mein Vater musste sterben, weil er schwarze Haare und eine dunklere Haut hatte als seine Nachbarn, weil auf seinem Auto ein nichtdeutscher Name stand", sagte sie in einem Interview mit der Funke Mediengruppe.

Enver Şimşeks Geschichte machte eines deutlich: Rassismus in Deutschland ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern Realität. Trotzdem wird heute nur selten offen von Rassismus gesprochen. Stattdessen ist häufig von Fremdenfeindlichkeit die Rede.

Das liegt vor allem daran, dass der Begriff Rassismus in Deutschland eng mit der Rassenideologie der Nationalsozialisten verknüpft ist.

Die Nationalsozialisten glaubten, die Menschheit lasse sich in verschiedene Rassen einteilen. Sie unterschieden zwei Rassen, die angeblich miteinander unvereinbar seien: die Arier und die Juden. Die Arier waren für die Nazis vollkommen. Sie hielten sie für den Juden körperlich und geistig überlegen und daher zum Herrschen über diese bestimmt.

Die Arier hatten ihrer Ansicht nach auch das Recht, die Juden zu vernichten. Die Nationalsozialisten meinten, nur so könne die Qualität der Arier erhalten bleiben und sich die Menschheit höher entwickeln.

Der Rassismus, der sich in Deutschland heute beobachten lässt, hat mit der Rassenlehre der Nationalsozialisten wenig zu tun. Er geht von einer anderen Grundannahme aus.

Demnach lassen sich die Menschen nicht minder- und höherwertigen Rassen, wohl aber verschiedenwertigen Kulturen und Religionen zuordnen. Es handelt sich sozusagen um einen Rassismus ohne Rassendenken.

Das bestätigen auch verschiedene Wissenschaftler. Der Historiker Christian Geulen weist etwa darauf hin, dass der heutige Rassismus vor allem ein sogenannter Kulturrassismus sei. Dieser propagiere keinen Rassenkampf, sondern einen Kulturkampf.

Rassistische Gewalt gibt es immer noch

In Deutschland äußert sich der Kulturrassismus vor allem in einer Feindlichkeit gegenüber Angehörigen des Islams. Das besagt eine Statistik der Bundesregierung. Im Jahr 2018 gab es 184 Fälle islamfeindlich motivierter Gewalt, das heißt: Statistisch gesehen wurde jeden zweiten Tag eine Moschee, eine muslimische Einrichtung oder ein Angehöriger muslimischen Glaubens angegriffen.  

Auch Antisemitismus gibt es in Deutschland weiterhin. Die meisten dieser Taten lassen sich im rechtsextremen Milieu verorten. Das bestätigt auch eine Aufstellung des Bundesamts für Verfassungsschutz.

Allein 2018 zählte es mehr als 19.000 Straftaten, die rechtsextremistisch motiviert waren – darunter Körperverletzungen, Propagandadelikte und Volksverhetzungen.

Rechtsextreme werben um Nachwuchs

Rechtsextreme Gruppierungen wie die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) werben heute zum Teil offen um Nachwuchs. Vor allem auf Kinder und Jugendliche haben sie es abgesehen.

Im Internet, auf der Straße oder in der Schule versuchen sie, die jungen Menschen für sich zu gewinnen. Den Kindern und Jugendlichen ist dabei oft nicht klar, mit wem sie es zu tun haben.

Die Rechtsextremen gehen geschickt vor. Statt offene Propaganda zu betreiben, verpackten sie in den vergangenen Jahren ihre Ideologie zum Beispiel in harmlos wirkende Angebote wie Zeitungen oder so genannte Schulhof-CDs, die gezielt an Schüler verteilt wurden.

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien verbot mehrere "Schulhof-CDs" wegen ihres schwer jugendgefährdenden Inhalts – und weil viele der Texte rassistisch oder gewaltverherrlichend und damit strafbar waren.

Eine Frau hält in ihren Händen eine CD der NPD und ein Begleitheft.

Die NPD verteilte CDs an junge Leute

Nachwuchs suchen die Neonazis aber nicht nur auf der Straße. Heute finden solche Aktionen hauptsächlich im Internet, in den Sozialen Medien, statt. Hier können rechte Gruppierungen leicht mit anderen Personen in Kontakt treten und versuchen, ihnen ihre rechtsextremen Ideologien schmackhaft zu machen. Das ergab eine Untersuchung von jugendschutz.net.

In Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung und der Online-Beratung gegen Rechtsextremismus beobachten Vertreter des Portals, wie Neonazis das Internet nutzen.

Auch im Alltag lebt der Rassismus weiter

Offene Gewalt gegen Angehörige eines anderen Kulturkreises oder einer anderen Religion stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Auch im Alltag gibt es Rassismus. Er ist unter anderem ein Bestandteil der deutschen Sprache. Ein Beispiel hierfür ist der Begriff "Mischling".

In der Alltagssprache wird er oft dazu verwendet, um ein Kind schwarzer und weißer Eltern zu beschreiben. Seinen Ursprung hat der Begriff aber in der Rassentheorie. Er basiert auf der Annahme, weiße und schwarze Menschen gehörten unterschiedlichen Rassen an. Ein Gedanke, der wissenschaftlich längst widerlegt ist.

Ein weiteres Beispiel für Alltagsrassismus liefert die Mordserie, der auch Enver Şimşek zum Opfer fiel. Die Medien bezeichneten sie damals als "Döner-Morde" oder "Mordserie Bosporus".

Damit spielten sie auf den Migrationshintergrund der Ermordeten an – acht von ihnen waren türkischer und einer griechischer Herkunft.

Die Medien unterstellten den Opfern zudem einen Bezug zum Drogenmilieu. Völlig zu Unrecht, wie sich später herausstellte. Die Täter waren Mitglieder des selbst ernannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU), einer rechtsextremen Gruppierung.

2011 kürte eine Jury aus Sprachwissenschaftlern den Begriff "Döner-Morde" zum Unwort des Jahres.

Ein Man notiert auf seinem Ipad den Satz: "Unwort des Jahres 2011: Döner-Morde".

Unwort des Jahres 2011: Döner-Morde

Der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU)

Der NSU ist eine rechtsextreme Gruppierung, die seit den 1990er Jahren zahlreiche Mordanschläge auf Zivilisten begangen hat. An der Spitze des NSU, auch "Zwickauer Zelle" genannt, standen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe.

Neben der Mordserie, der Enver Şimşek zum Opfer fiel, geht auch das Nagelbombenattentat von 2004 auf ihr Konto. In einem Viertel von Köln, in dem vor allem türkische Menschen leben, zündete die Terrorgruppe eine Nagelbombe und verletzte damit mehr als 20 Menschen.

Der NSU ist auch für den Mord an einer Polizistin aus Heilbronn im Jahr 2007 verantwortlich.

Jahrelang konnten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe ihre Angriffe planen und durchführen, ohne von der Polizei entdeckt zu werden. Erst im November 2011 flog die Zwickauer Zelle auf.

Nach einem Banküberfall in Eisenach waren Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in ihr Wohnmobil geflohen, das in einiger Entfernung stand. Durch die Mithilfe der Bevölkerung fanden die Polizisten das Wohnmobil. Sie hörten zwei Schüsse, dann ging das Fahrzeug in Flammen auf.

Ermittlungen ergaben, dass sich die Täter selbst erschossen hatten. In den Trümmern des Wohnmobils fanden die Beamten unter anderem die Waffe, mit der die Polizistin aus Heilbronn getötet worden war.

Einige Stunden später gab es eine Explosion in einem Wohnhaus in Zwickau. Hier hatten die beiden toten Männer zusammen mit Beate Zschäpe gelebt. Von Zschäpe fehlte zunächst jede Spur. Vier Tage später, am 8. November 2011, stellte sie sich jedoch der Polizei. Nach einem fünf Jahre dauernden Prozess wurde sie 2018 wegen Mordes, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und schwerer Brandstiftung zu lebenslanger Haft verurteilt.

Auf einem Tisch im Gericht steht ein Namensschild von Beate Zschäpe.

Beate Zschäpe musste sich vor Gericht verantworten

(Erstveröffentlichung 2015. Letzte Aktualisierung 17.04.2020)

Quelle: WDR

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