Zeitgesetz von 1978: Vom Sinn und Unsinn der Zeitumstellung WDR ZeitZeichen 25.07.2023 14:57 Min. Verfügbar bis 25.07.2099 WDR 5

Download Podcast

Zeitrhythmus des Menschen

Wie die Sommerzeit uns aus dem Takt bringt

Zweimal im Jahr wird an der Uhr gedreht: Wir stellen sie im Frühjahr um auf die Sommerzeit und im Herbst wieder zurück. Das sorgt regelmäßig für Diskussionen. Denn auch wenn es nur eine Stunde ist: Die Umstellung wirkt sich auf den Menschen aus.

Von Sabrina Loi

Keine Gewöhnung an Sommerzeit

Zwei Mal im Jahr wird in Deutschland an der Uhr gedreht: Am letzten Wochenende im März stellen wir sie auf Sommerzeit. Statt auf 2 Uhr springt die Uhr dann gleich auf 3 Uhr. Uns wird in der Nacht eine Stunde geklaut.

Erst am letzten Oktoberwochenende bekommen wir die Stunde wieder zurück, wenn die Uhren von der Sommer- wieder auf die Winterzeit – oder korrekt ausgedrückt Normalzeit – zurückgestellt werden.

Der Sonntag, an dem das geschieht, hat dann 25 Stunden – eine Wohltat für unseren Körper und unsere innere Uhr. Bei den meisten Menschen folgt sie nämlich einem 25-Stunden-Rhythmus. Die Umstellung im Herbst bereitet den meisten Menschen daher weit weniger Probleme als die Umstellung im Frühjahr.

Wer hat an der Uhr gedreht? | Bildquelle: dpa

Das hat auch eine Studie der Chronobiologen Thomas Kantermann und Till Roenneberg gezeigt. Sie beobachteten für ihre Studie 50 Personen: Vier Wochen vor und nach der Umstellung im Frühjahr und vier Wochen vor und nach der Umstellung im Herbst. Sie wollten wissen, welchen Einfluss die Umstellung der Uhrzeit auf den Schlaf-Wach-Rhythmus der Personen hat sowie auf ihr Verhalten.

Dabei zeigte sich: Die innere Uhr stellte sich auf die Sommerzeit nicht richtig ein. An den Wochenenden, also wenn die Probanden selbst entscheiden konnten, wann sie schlafen gehen und wann sie aufstehen – und nicht vom Wecker und äußeren Faktoren wie Arbeitszeiten geleitet wurden – entsprach ihr Rhythmus weiterhin der vorhergehenden Normalzeit.

An der inneren Uhr lässt sich also nicht so einfach drehen wie an einer Küchen- oder Armbanduhr. Das ist gut, denn so finden wir nach einer Nacht, in der wir schlecht geschlafen haben oder lange gefeiert haben, schnell wieder in unseren alltäglichen Rhythmus.

Aber bei der Umstellung auf die Sommerzeit bereitet uns das Probleme: Wir sind morgens müder als sonst und entsprechend auch unkonzentrierter, wenn der Wecker de facto eine Stunde früher klingelt als üblich. Dass sich die innere Uhr nicht so leicht an die Sommerzeit gewöhnt, hängt damit zusammen, dass ihr wichtigster Taktgeber sich von der Umstellung der Uhrzeit nicht beirren lässt: das Sonnenlicht.

Taktgeber Sonnenlicht

Die innere Uhr tickt bei jedem etwas anders – bei dem einen etwas schneller, beim anderen etwas langsamer – und ist abhängig von der genetischen Veranlagung. Dieser Grundrhythmus wird anhand des Sonnenlichts jeden Tag neu gestellt. Das Licht synchronisiert und eicht unsere inneren Uhren auf einen 24-Stunden-Rhythmus.

Statistische Untersuchungen von Kantermann und Roenneberg mit mehr als 55.000 Personen zeigen, dass diese Einstellung im Winter sehr gut funktioniert: Je später der Sonnenaufgang, desto später gehen wir schlafen. Und wenn es nach der Sonnenwende regelmäßig etwas früher hell wird, passen sich unsere Schlafenszeiten entsprechend an.

Diese Fähigkeit, uns am Sonnenlicht zu orientieren, wird durch die Umstellung auf die Sommerzeit jedoch kaputtgemacht. Plötzlich wachen wir morgens wieder im Dunkeln auf – zu einer Zeit, in der die innere Uhr für uns eigentlich noch Schlaf vorgesehen hat. Das hat Folgen.

Sonnenlicht synchronisiert die innere Uhr | Bildquelle: dpa/Peter Steffen

Risikofaktor Sommerzeit

Unsere innere Uhr entscheidet nicht nur, wann wir müde oder wach sind, sondern taktet in diesem Zuge alle unsere Körperfunktionen: Nachts sorgt sie dafür, dass unsere Körpertemperatur sinkt, das Schlafhormon Melatonin produziert wird und wir somit müde werden. Außerdem senkt sie unseren Blutdruck und Puls, damit wir zur Ruhe kommen.

Diese Systeme müssen morgens wieder hochgefahren werden: Hormone sorgen dafür, dass der Stoffwechsel in Gang kommt und Blutdruck und Puls wieder steigen, damit wir Energie für den Tag haben. Wenn es nach unserer inneren Uhr geht, dann weckt sie uns zu der Zeit, wenn sie all diese Aufgaben erledigt hat – wenn der Körper also bereit ist aufzustehen.

Im Sommer klingelt der Wecker eine Stunde früher | Bildquelle: dpa/Patrick Pleul

In der Regel leben wir aber nicht nach unserer inneren Uhr, sondern nach dem äußeren Wecker: Der reißt uns aus dem Schlaf – und nach der Umstellung auf die Sommerzeit tut er das eine Stunde früher als sonst. Der Körper muss früher auf "Wachmodus" umstellen als gewohnt.

Gerade bei Personen, die Probleme mit dem Herz-Kreislauf-System haben, kann das zur Gefahr werden: Für sie steigt das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, direkt nach der Umstellung auf die Sommerzeit an.

Ein weiteres Risiko ist, dass viele Personen aufgrund der fehlenden Stunde morgens unausgeschlafen und entsprechend unkonzentrierter sind. Das spiegelt sich unter anderem in den Unfallstatistiken wider: Am Montag nach der Umstellung passieren acht Prozent mehr Unfälle als an anderen Montagen.

Und das Problem hält noch länger an: Der Automobilclub Europa hat die Unfallstatistiken des Statistischen Bundesamts analysiert und kommt zum Schluss, dass im gesamten April nach der Zeitumstellung deutlich mehr Unfälle passieren als noch im März.

In dieser Zeit gibt es auch mehr Wildunfälle auf den Straßen. Die Autos sind eine Stunde früher unterwegs als sonst – die Fahrer sind nicht nur müder, sondern es ist auch noch dunkler als in den vorangegangenen Wochen. Dann sind noch viele Wildtiere unterwegs. Genauso wie unsere innere Uhr wissen schließlich auch die Tiere nichts davon, dass wir an der Uhrzeit gedreht haben.

Schlafmangel, Herz-Kreislauf-Probleme und auch Verdauungsstörungen können direkt im Anschluss an die Umstellung auftreten. Ob sich die Umstellung auf die Sommerzeit allerdings auch langfristig auf unsere Gesundheit auswirkt, ist noch nicht klar.

Chronobiologen sprechen sich dafür aus, die Sommerzeit abzuschaffen.

Im Winter ereignen sich wieder mehr Wildunfälle | Bildquelle: dpa/Julian Stratenschulte

Sommerzeit auf dem Prüfstand

Erstmals wurde die Sommerzeit im Jahr 1916 im Deutschen Reich eingeführt. Kurze Zeit später wurde die Umstellung wieder abgeschafft, um dann im Zweiten Weltkrieg wieder für einige Jahre eingeführt zu werden. Seit 1980 gilt die Sommerzeitregelung in Deutschland ununterbrochen. Die in der Europäischen Union (EU) geltende Regelung gibt es seit 1996.

Grund für die Einführung war damals der Gedanke, dass dadurch Strom gespart werden könnte: Ist es abends länger hell, müssten die Menschen keine Lampen anknipsen. Darauf weist auch der englische Begriff "Daylight Saving Time" hin.

Allerdings ist längst klar, dass die Rechnung nicht aufgeht. Das sagt beispielsweise auch das Umweltbundesamt in einer Stellungnahme von 2007: Zwar wird am Abend Energie gespart, weil es zu späterer Stunde noch hell ist. Morgens ist es im Frühjahr und Herbst dagegen noch dunkel und kühler, wenn die Menschen aufstehen müssen. Deshalb wird zu diesen Zeiten mehr geheizt. Die so verbrauchte Energie hebt die anderen Einsparungen wieder auf.

Anfang 2019 sprach sich das EU-Parlament dafür aus, die Zeitumstellung bis zum Jahr 2021 abzuschaffen. Doch die endgültige Entscheidung trifft jeder EU-Staat selbst.

Die Sommerzeit steht auf dem Prüfstand | Bildquelle: dpa/Patrick Pleul

(Erstveröffentlichung: 2018. Letzte Aktualisierung: 01.04.2021)