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Immer mehr Menschen ziehen in die Stadt. Planet Wissen . 15.03.2018. 01:44 Min.. Verfügbar bis 15.03.2023. WDR.
Stadtentwicklung
Städteboom – der Kampf um Wohnungen
Von Martin Horn
Viele Städte wachsen, während die Dörfer und Gemeinden auf dem Land ausbluten. In den Zentren fehlt es aber oft an Wohnungen.
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Viele Leute verlassen ihre Heimat
Die Stadt Dessau im Osten Deutschlands wirkt wie eine Geisterstadt. Häuser stehen leer, Industrien liegen brach.
Fast ein Viertel der Bevölkerung Dessaus ist nach der Wende abgewandert (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2012). Die Stadt ist nur ein Beispiel von vielen in den neuen Bundesländern. Die Leute gehen, weil sie in ihrer Heimat kaum Arbeit finden.

Der Braunkohletagebau Cottbus Nord (stillgelegt 2015)
In der Industrie, vor allem im Erz- und Kohlebergbau, sind die meisten Arbeitsplätze verloren gegangen. Die Altindustrie ist hier kaum wettbewerbsfähig gewesen gegenüber der Konkurrenz aus dem Westen. Die Folge: Viele Betriebe gingen Pleite.
Wer jung ist und Arbeit sucht, findet diese meist in den Städten West- und Süddeutschlands. Jobs gibt es vor allem im Dienstleistungsbereich, aber weniger in der Industrie.
Abwandern gen Westen
Auch im Westen Deutschlands verlassen Menschen ihre Heimat. So haben beispielsweise Städte wie Essen, Dortmund und Bochum im Ruhrgebiet seit einigen Jahrzehnten Einwohner verloren.
Wie im Osten gehen auch im Westen Arbeitsplätze in der Industrie verloren: Zechen und Stahlwerke schließen und mit ihnen eine ganze Reihe an Unternehmen, die Stahl weiterverarbeitet haben, darunter das Opelwerk in Bochum.

Das Opelwerk in Bochum
Die Konkurrenz kommt vor allem aus China. Die Unternehmen hier produzieren Stahl, der wenig kostet. Das ist ein Grund, warum mancher Betrieb in Deutschland seine Produktion ins Ausland verlagert hat.
Eine Besserung ist für diese Städte nicht in Sicht. Bis 2030 werden sie laut Prognose an Einwohnern verlieren: Essen 3,7 Prozent, Dortmund 3,9 Prozent und Bochum sogar 6,4 Prozent, schätzte die Bertelsmann-Stiftung 2012.

Wachsende und schrumpfende Städte und Gemeinden
Großstädte sind wie Magneten
Es gibt aber auch Städte, die wachsen. Das sind vor allem jene Städte, die ihre Probleme mit dem Strukturwandel bewältigt haben. Sie ziehen vor allem junge Menschen an, die vom Land kommen.
Städte wie Hamburg, Köln oder Bonn sind sehr beliebt. Viele Studierende zieht es hierher, wenn sie etwa an der Uni einen Studienplatz finden. Wer während des Studiums jobben will, findet hier oft die Möglichkeit dazu.

Universitätsstädte ziehen besonders junge Menschen an
Auch kulturell haben Städte viel zu bieten: Konzerte, Clubs und Bars – wer sich austoben will, findet in der Großstadt genügend Gelegenheiten dazu. Und so zieht es immer mehr junge Menschen in die Stadt.
Für den Wohnungsmarkt ist das gleichzeitig gut und schlecht. Während sich die Vermieter über steigende Mieten freuen, müssen die Studierenden tiefer in die Tasche greifen.
Mieten und Grundstückspreise steigen
Die Nachfrage nach Wohnungen ist oft größer als das Angebot. Die Folge: die Mieten und Grundstückspreise steigen. Manche Mieter berappen mehr als 13 Euro pro Quadratmeter im Monat, wenn sie eine Wohnung in der Stadt mieten.
Wer gut verdient, kann sich das vielleicht noch erlauben. Alle anderen müsse sich aber weiter außerhalb eine Bleibe suchen. Gentrifizierung nennen Forscher diese Entwicklung.

Am Anfang kommen sie: Pioniere
Der Ablauf eines solchen Wandels läuft häufig nach einem typischen Muster ab, sagt der Soziologe Jürgen Friedrichs. Während die Mietpreise in der Stadt zunächst niedrig sind, werden die Stadtteile für "Pioniere" attraktiv, also für Studierende und Künstler.
Durch deren Zuzug verändert sich das Image des Viertels. Investoren und Besserverdiener, die Gentrifier, werden auf die Stadtteile aufmerksam. Sie stecken Geld in die Gebäude, bauen neue Heizungen ein, Bäder oder Aufzüge.

Planung von neuen Eigentumswohnungen
Die Folgen einer solchen Aufwertung: Die Miet- und Immobilienpreise steigen – und immer mehr Mietwohnungen werden zu Eigentumswohnungen.
Die Menschen, die hier ursprünglich gewohnt haben, als auch die Pioniere, die den Stadtteil erst attraktiv gemacht haben, können sich die Mieten nicht mehr leisten – der Umzug in noch bezahlbare Stadtteile ist häufig die Konsequenz.
Berlin: Stadt im Wandel
Der Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ist ein Beispiel dafür, sagt der Sozialwissenschaftlers Andrej Holm. Mitte der 1990er begannen hier die Modernisierungsarbeiten. Heute wohnt hier nur noch ein Fünftel der Ursprungsbewohner.
Wer hier heute lebt, hat oft einen hohen Bildungsabschluss und verdient viel. Der Prenzlauer Berg hat sich gewandelt: von einem der ärmsten Stadtteile Berlins zu einem der wohlhabendsten.

Modernisierte Wohnungen in Berlin-Prenzlauer Berg
Lag das Durchschnittseinkommen in dem Stadtteil 1993 noch bei etwa 75 Prozent des Berliner Durchschnitts, betrug es 20 Jahre später fast 140 Prozent (Stand 2010).
Mit dem Geld im Viertel steigt auch die Anzahl an Gaststädten und Geschäften. Wo einst Szenekneipen und Designerläden standen, gibt es heute Filialen großer Marken wie Nike oder Adidas.

Groß statt klein, teuer statt billig: Flagshipstores
Es mangelt an Wohnungen
Aber wohin sollen die Menschen ziehen, die sich die hohen Mietpreise wie in Prenzlauer Berg nicht mehr leisten können? Und wo finden die Menschen eine Wohnung, die es in den kommenden Jahren in eine der Boomtowns verschlägt, sei es wegen des Studiums oder des Jobs?
Der Bedarf an Wohnungen in Deutschland ist größer als das Angebot. Das Bundesbauministerium beziffert den jährlichen Neubaubedarf in Deutschland auf mindestens 350.000 Wohnungen, darunter mehr als 80.000 Wohnungen, die auch für den Otto-Normal-Verdiener noch bezahlbar sind.

Gentrifizierungsgegner beim Protest gegen Mieterhöhungen
Der Bestand von sozialen Wohnungsbauten geht immer weiter zurück. Die Zahl der Fertigstellungen pro Jahr liegt nur noch etwa 10.000 Sozialwohnungen. Das ist eindeutig zu wenig, um genug Wohnraum für ein Leben aller Gesellschaftsschichten in den Städten zu ermöglichen.
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WDR | Stand: 04.06.2019, 10:41