Die Katakomben in Paris

Paris

Der Pariser Untergrund

Der Untergrund von Paris ist etwas Besonderes: In 35 Metern Tiefe erstreckt sich über 300 Kilometer ein Geflecht aus Höhlen und Gängen, ein Reich der Dunkelheit, das auch als "schrecklicher Keller" bezeichnet wird.

Von Kathrin Schamoni

Wie das Höhlensystem entstand

Nur die Leichenkammer, ein relativ kleiner Teil des Pariser Untergrunds, wird als Katakomben bezeichnet – und nicht die gesamte Unterwelt. Die Katakomben entstanden Ende des 18. Jahrhunderts, als die Toten vom Friedhof in das unterirdische Höhlensystem umgebettet wurden. Der Untergrund mit seinen Steinbrüchen, den sogenannten "carrières", existiert aber schon seit gut zwei Jahrtausenden.

Die Römer begannen bereits im 1. Jahrhundert nach Christus mit der Ausbeutung des Kalksteinvorkommens im Untertagebau. Für das antike Paris, das damals noch Lutetia hieß, wurde Baumaterial zur Errichtung von Thermen, Tempeln und Palästen benötigt.

Auch im Mittelalter war Stein für den Bau repräsentativer Gebäude gefragt. Im 12. Jahrhundert wurde der Steinabbau für die Stadtmauer, die Louvre-Festung und Notre-Dame vorangetrieben. Während des Ancien Régime war sogar von einem regelrechten "Baufieber" die Rede.

Das Leben eines Steinbrucharbeiters war schwer: Die körperlich sehr anstrengende Tätigkeit wurde nicht nur schlecht bezahlt, sondern war auch sehr gefährlich. Die Stollen waren nicht gesichert, so dass tödliche Unfälle an der Tagesordnung waren. Das Tageslicht bekamen die Menschen, die im Untergrund arbeiteten, kaum zu Gesicht.

Historischer Stich: Menschen in den Pariser Katakomben, umgeben von Totenschädeln und Gebeinen.

Die Katakomben waren lange Zeit ein Friedhof

So wie das unterirdische Höhlensystem über die Jahrhunderte wuchs und wuchs – über die genaue Ausdehnung des Gewirrs an Gängen und Verstecken wusste kaum jemand genau Bescheid –, so nahm auch die dichte Bebauung in der Stadt zu.

Doch es kam, wie es kommen musste: Durch fehlende Sicherheitsmaßnahmen geriet der Boden ins Wanken. Vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stürzten ganze Straßenzüge in sich zusammen, weil der Untergrund nachgab.

1777 wurde daher die "Inspection des carrières" gegründet, mit dem Ziel, die Steinbrüche zu sichern. Eine jahrhundertelange Aufgabe, wie sich herausstellte. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der letzte aktive Pariser Steinbruch geschlossen.

Vom Steinbruch zur Knochenkammer

Dafür fanden die stillgelegten Steinbrüche eine neue Bestimmung als unterirdischer Friedhof. Paris hatte lange Zeit ein unappetitliches Markenzeichen: seinen Gestank. Die Friedhöfe waren überfüllt, die Stadt erstickte fast am Geruch der Verwesung.

Besonders schlimm war es im Zentrum, wo sich der "Cimetière des Innocents" (Friedhof der Unschuldigen) befand. Im Jahre 1780 gab im Keller eines benachbarten Hauses eine Begrenzungsmauer dem Druck der Friedhofserde nach, so dass die Leichen in den Keller inmitten von Fässern und Vorräten stürzten. Es musste sich schnell etwas ändern.

1785 wurde der "Cimetière des Innocents" endgültig aufgelöst. Aber wohin mit den Gebeinen? Die zum Teil schon stillgelegten unterirdischen Steinbrüche stellten sich als idealer Ort heraus. Ein 11.000 Quadratmeter großer Bereich, der damals von der "Inspection des Carrières" bereits konsolidiert war, wurde zu Katakomben umfunktioniert.

Auch die anderen Pariser Friedhöfe wurden nach und nach geschlossen, die Leichen umgebettet. Über Jahre fand nachts der Transport von Skeletten in das unterirdische Höhlensystem statt. Die Knochenkammer im Pariser Untergrund beherbergt seitdem die Gebeine von mehr als sechs Millionen Menschen.

Eine Säule ist aus Knochen und Schädeln errichtet.

Gebeine von mehr als sechs Millionen Menschen

Inspiration für Literaten

Héricart de Thury war ab 1809 Generalinspekteur der Carrières und ließ die Katakomben sehr sorgfältig herrichten. Zuvor waren die Skelette häufig einfach übereinander geschüttet worden, um überhaupt der Masse Herr zu werden. "Ein Sauhaufen", befand Thury, der schließlich eine ästhetische Anordnung von Knochen und Schädeln schaffte. Besucher wollte er anlocken; die Katakomben wurden zum Museum.

Doch welche Dimensionen offenbart der Untergrund wirklich? Wer hat sich dort versteckt? Was ist alles gelagert? Der Fantasie der Bevölkerung waren und sind keine Grenzen gesetzt.

Verständlich, dass "die Stadt unter der Stadt" seit jeher auch die Literaten inspiriert hat. Thury hat mit seinem Buch "Déscription des catacombes de Paris" eine ausführliche Beschreibung und Anordnung des Höhlensystems geliefert und ihnen damit eine Grundlage geboten.

Patrick Süskind beschreibt am Anfang seines berühmten Buches "Das Parfum" (1985) sehr eindringlich die Atmosphäre des stinkenden Paris. Alexandre Dumas beschäftigte sich in seinem Roman "Les Mohicans de Paris" (1854) mit revolutionären Kräften im Untergrund; Schauplatz sind die Pariser Katakomben.

Die katastrophale Situation der Arbeiter in der Unterwelt soll Victor Hugo zu seinem Werk "Les Misérables" (1862) animiert haben, in dem ein Aufständischer von der Polizei durch die finstere Kloake gejagt wird.

Hugo lieferte seinerzeit ein genaues Bild des Pariser Kanalsystems. Und auch "Das Phantom der Oper" (1911) nach der Vorlage von Gaston Leroux führt in die Unterwelt – die der Pariser Oper, wo sich ein entstelltes Wesen verborgen hält.

Großes Banner "Les Miserables" am Musical Theater in Duisburg

Das Musical "Les Miserables" basiert auf einem Roman

Partykeller und Kinosaal

Schmugglern und Straßenräubern diente das Stollensystem unter dem Eiffelturm als Zuflucht. Der berüchtigte Bandenchef Cartouche, 1721 hingerichtet, bezog unter Montmartre Quartier.

Eine mörderische Menschenjagd mit den Regierungstruppen lieferten sich die Kommunarden – so wurden die Mitglieder der Pariser Kommune von 1871 genannt, die nach dem Deutsch-Französischen Krieg für eine sozialistische Gesellschaft kämpften. Und die Résistance plante von hier unten ihren Widerstand im Zweiten Weltkrieg.

Während der 1980er-Jahre sorgten vor allem die Kataphilen, zu deutsch "Höhlenfreunde", für Trubel. Sie drangen in verbotene Bereiche des Untergrunds ein und veranstalteten dort ihre Partys. In den Medien wurde damals vieles hochstilisiert: Von "schwarzen Messen", "Satans-Orgien", "Sex und Drogenkonsum in gruseligen Grüften" war die Rede.

Jacques Chirac, damaliger Bürgermeister von Paris, verbot das bunte Treiben im Untergrund – zu groß sei die Gefahr, dass man von herabfallenden Steinbrocken getroffen würde oder sich im Dunkeln des verzweigten Höhlensystems verirrte. Zahlreiche Zugänge wurden daraufhin zugeschweißt. Die Polizei kontrollierte regelmäßig. Wer erwischt wurde, hatte mit einem Bußgeld zu rechnen.

Um die Kataphilen ist mittlerweile Ruhe eingekehrt, auch wenn 2004 die Polizei eine noch große Entdeckung machte: Ein vollständig eingerichteter Kinosaal verbarg sich 20 Meter unter dem Chaillot-Palast gegenüber dem Eiffelturm – mit Filmrollen, Bar und einer Botschaft: "Sucht uns nicht!"

Der Untergrund heute

Heute ist ein kleiner Teil der Katakomben für Besucher zugänglich. Wie in einem Museum sind hier die säuberlich aufgestapelten Knochen und Schädel zu sehen.

Bei der Untergrundtour zu empfehlen: festes Schuhwerk und Kleidung, die schmutzig werden darf. Im Großteil der Schächte, die nicht zugänglich sind, liegen Wasser- und Stromleitungen. Ein Teil wurde für die Métro ausgebaut. Und sogar ein Schatz ist im Untergrund verborgen: Die Nationalbank lagert hier ihr Gold.

Auch ein Teil der "Egouts de Paris", dem von Eugène Haussmann entwickelten labyrinthartigen Kanalisationsnetz, kann von der Öffentlichkeit besichtigt werden. Auf einem 500 Meter langen Weg begleitet man die Kanalarbeiter. Darüber hinaus gibt es Informationen: von der Geschichte der Pariser Abwasserkanäle zu römischer Zeit bis in die Gegenwart.

Eine Wand, nur aus Knochen und Schädeln bestehend, zieht sich durch den Keller.

Reich der Dunkelheit: Im Keller sind die Knochen aufgebahrt

(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 18.03.2020)

Quelle: WDR

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