Normannenpalast in Palermo

Sizilien

Sizilien unter normannischer Herrschaft

Die Normannen kamen aus dem hohen Norden, waren als grobschlächtige Raufbolde verschrien und schufen sich auf Sizilien ein blühendes Königreich, das im europäischen Mittelalter seinesgleichen suchte.

Von Tobias Aufmkolk

In nur vier Generationen machten die Normannen Sizilien zur reichsten Region Europas und trieben Handel, Wissenschaften und Architektur zu ungeahnter Blüte. Als sie nach gut 100 Jahren von der Bildfläche verschwanden, sollten sie die letzten Herrscher gewesen sein, die der Insel Wohlstand und Reichtum brachten.

Hilferuf der Araber

Es ist das Jahr 1061. Der Emir von Syrakus reist nach Apulien und berichtet dem normannischen Grafen Robert Guiskard von dem heillosen Durcheinander im arabisch besetzten Sizilien. Er selbst sei von seinem Schwager vertrieben worden und bitte nun um militärischen Beistand.

Das lässt sich der kriegerische Normanne nicht zweimal sagen und schenkt die Insel kurzerhand seinem jüngeren Bruder Roger, der seit einiger Zeit den Süden Italiens – und damit Roberts Reich – unsicher macht.

Roger muss Sizilien allerdings noch erobern. Noch im selben Jahr setzt der junge Normanne von Kalabrien nach Messina über. In nur 30 Jahren bringt Roger die gesamte Insel unter seine Kontrolle. Eine Leistung, für die seine Vorgänger noch 100 Jahre benötigten. Doch was veranlasste Wikinger aus dem hohen Norden dazu, ihr Glück so fern der Heimat zu suchen?

Kirche der Abtei von Monreale.

Der normannische Dom von Monreale

Eine kinderreiche Familie

Seit dem 8. Jahrhundert suchen immer wieder Wikinger aus Nordeuropa Frankreich auf. Die von den Franzosen "Normannen" genannten Krieger befahren mit ihren Schiffen die Flüsse, verwüsten ganze Landstriche und ziehen mit reicher Beute wieder ab.

911 hat der französische König Karl der Einfältige genug davon. Er macht den Normannen ein Angebot: Die Gebiete, die sie überfallen, gehören fortan ihnen.

Die Normannen nehmen dieses Angebot dankend an, lassen sich in Frankreich nieder und gliedern sich schnell in das französische Feudalsystem ein. Sie werden zu kleinen Adligen, die Land bestellen und Dorfgemeinschaften gründen.

Irgendwann wird der Bevölkerungsdruck jedoch zu groß und die oft zahlreichen Söhne der Normannen machen sich wieder auf die Suche nach Gebieten, die sie überfallen können.

Einer jener Dorfadligen ist Tankred d'Hauteville. Er hat zwölf Söhne, unter denen er unmöglich sein Land aufteilen kann. Drei der älteren Söhne machen sich früh auf, um nach neuen Betätigungsfeldern zu suchen.

Sie landen in Süditalien, nehmen ein paar Landstriche in Besitz und nennen sich fortan Grafen. Ihnen folgt bald der vierte Bruder, Robert Guiskard, der nach dem frühen Tod seiner älteren Brüder alleine als Herzog über ganz Kalabrien und Apulien herrscht.

Auch sein jüngster Bruder Roger kommt bald mit einer Kriegerschar nach Italien nach. Doch für die beiden ehrgeizigen Männer ist nicht genug Platz in Süditalien. Da kommt die Nachricht von den zerstrittenen Arabern auf Sizilien gerade Recht.

Historischer Schwarzweiß-Stich: Vier Ritter in Rüstung auf Pferden vor einem Heer aus Fußsoldaten.

Tankred d'Hauteville (rechts) während des ersten Kreuzzugs

Roger I. – Sizilien wird normannisch

Roger erobert zunächst die Stadt Messina, die dem italienischen Festland am nächsten liegt. Im Laufe weniger Jahre fällt eine sizilianische Stadt nach der anderen, bis 1091 mit der Stadt Noto auch das letzte arabische Bollwerk unterliegt.

Die Eroberungen führt Roger mit brutaler Gewalt durch. Er verkauft zahlreiche Kinder und Frauen als Sklaven, tötet Gefangene und deportiert Tausende von Arabern.

Doch als die gesamte Insel unter seiner Kontrolle ist, wendet sich das Blatt. Die kleine Schar der Normannen kann das hoch explosive Völkergemisch auf Sizilien nicht auf Dauer mit Gewalt kontrollieren. Also räumt Roger der Bevölkerung weitgehende Freiheiten ein. Er lässt den meisten Arabern ihre Besitztümer und Burgen und behält das maßvolle arabische Steuersystem bei.

Juden, Griechen, Lateiner und Araber dürfen weiterhin frei ihre Religion ausüben und nach ihren eigenen Gesetzen Recht sprechen. Schlüsselpositionen in Kirche und Verwaltung besetzt er jedoch durchweg mit normannischen Gefolgsleuten.

Die Titel, die er vergibt, sind jedoch nicht erblich. So können sich keine neuen Adelsdynastien auf Sizilien etablieren. Roger I. regiert Sizilien als Graf und absoluter Herrscher.

Durch die Reichtümer, die er bei seinen Beutezügen und der Eroberung der Insel angehäuft hat, kann er sich ein stehendes Heer und die stärkste Flotte seiner Zeit leisten. Als er 1101 stirbt, ist Sizilien befriedet und unermesslich reich.

Roger II. – auf dem Höhepunkt der Macht

Thronfolger Roger II. ist erst vier Jahre alt, als sein Vater stirbt. Zwölf Jahre lang übernimmt seine Mutter Adelasia die Staatsgeschäfte für ihn.

Die Witwe kann sich in dieser Zeit vor Heiratsangeboten kaum retten. Das reiche Sizilien wäre für zahlreiche Herrscher Europas eine willkommene Mitgift. Sie schlägt jedoch alle Angebote aus und übergibt 1113 ihrem 17-jährigen Sohn die Macht.

Roger II. ist sehr gebildet, spricht fließend Griechisch und Arabisch und weiß schon mit jungen Jahren seine Macht zu nutzen. Er hält den Landadel weiterhin klein, trifft alle Entscheidungen in seinem Reich selbst und sieht seine Autorität – im Gegensatz zu anderen europäischen Herrschern – als gottgegeben an. Ärger mit dem Papst geht er ebenso wenig aus dem Weg wie Ärger mit verschiedenen byzantinischen und deutschen Kaisern.

Im Gegensatz zu seinem Vater verfolgt er eine expansive Außenpolitik. In Nordafrika bringt er weite Küstenstriche im heutigen Tunesien und Libyen unter seine Kontrolle und nennt sich sogar "König von Afrika". Auf dem Höhepunkt seiner Macht lässt er sich mit Billigung von Papst Anaklet II. 1130 zum König von Sizilien, Apulien und Kalabrien krönen.

Der Reichtum von Roger II. gründet auf einem ausgedehnten Handel im gesamten Mittelmeerraum. Zudem kann er sich eine starke Kriegsflotte leisten und erhebt Steuern auf alle Schiffe, die Sizilien passieren wollen. Die Herstellung von Seide sowie die Gewinnung von Salz und Schwefel bringen enorme Gewinne. Außerdem treibt Roger II. die landwirtschaftliche Produktion weiter voran.

Seinen Hof baut er zu einem Zentrum der Wissenschaften aus, Gelehrte aus Ost und West gehen in Palermo ein und aus. Roger II. gilt zu seiner Zeit als der reichste Mann Europas; Außenstehende beschreiben Sizilien als friedliches und blühendes Reich.

Zerfall des normannischen Reiches

Als Roger II. 1154 nach über 40 Jahren Alleinherrschaft stirbt, übernimmt sein Sohn Wilhelm I. den Thron. Dieser zeigt jedoch weit weniger Interesse an den Staatsgeschäften als sein Vater.

Wilhelm I. überlässt Entscheidungen lieber seinen Ministern und Gefolgsleuten. Er liebt rauschende Feste und überschwänglichen Luxus. Mit der Zeit bringt er den Kleinadel gegen sich auf und erweist sich als nicht autoritär genug, dessen Ansprüche zurückzuweisen.

In seine Regentschaft fällt nicht nur der Verlust aller nordafrikanischen Gebiete. Auch zahlreiche Araber werden von den aufmüpfigen christlichen Adligen von der Insel vertrieben, ihr Besitz konfisziert und unter den Christen aufgeteilt. Mit der religiösen Toleranz auf Sizilien scheint es zu dieser Zeit zu Ende zu gehen.

Auch sein Sohn Wilhelm II., der 1172 den Thron besteigt, kann dieser Tendenz nicht mehr entgegenwirken. Zu groß ist die Macht des Adels und der selbst ernannten Erzbischöfe geworden. Zudem stagniert der jahrzehntelang florierende Handel. Sizilien macht zum ersten Mal unter den Normannen Schulden.

Als Wilhelm II. 1194 kinderlos stirbt, ist das Ende der normannischen Herrschaft endgültig besiegelt. Sizilien fällt dem Königshaus der Staufer aus Deutschland zu.

Prächtig verzierte, filigrane Säulen im Kreuzgang von Monreale.

Wilhelm II. ließ den Kreuzgang von Monreale errichten

Normannische Hinterlassenschaften

Heute kann man auf Sizilien noch zahlreiche Hinterlassenschaften aus der normannischen Zeit bewundern. Bis zu dem Zeitpunkt, als die Normannen die Herrschaft über die Insel übernahmen, waren Kunst und Kultur Siziliens griechisch, byzantinisch und arabisch geprägt.

Die Normannen verbanden diese Kunststile mit dem romanischen Stil, den sie aus Nord- und Mitteleuropa kannten. Sie bauten zahlreiche Kirchen und Paläste, die ein einzigartiger Mix aus östlichen und westlichen Stilelementen sind.

So sind die meisten Bauwerke nach außen hin im schlichten und wuchtigen romanischen Stil erbaut. Im Inneren dagegen finden sich byzantinische Mosaiken, griechisch anmutende Säulen und arabische Deckenkonstruktionen.

Die schönsten Beispiele normannischer Architektur sind der Normannenpalast und der Dom in Palermo, die Abtei und der Dom in Monreale, die Kathedrale Rogers II. in Cefalù sowie die Lustschlösser Cuba und Zisa im Außenbereich von Palermo.

Dom von Palermo

Der Dom von Palermo

(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 22.06.2021)

Quelle: WDR

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