Drachenfliegen
Thermik – der Schlüssel zum Fliegen
Vier, fünf Schritte Anlauf am Hang, dann lassen sich Drachenflieger von einer Klippe in den Aufwind fallen. Bei gutem Aufwind können sie sich bis zu 4000 Meter nach oben schrauben. Die Wolken sind dabei das Geheimnis. Denn sie verraten den Drachenfliegern den besten Ort für den Aufstieg.
Von Annika Zeitler
Ein Aufstieg wie im Fahrstuhl
Drachenflieger schrauben sich mithilfe der Thermik in den Himmel. Das bedeutet: Wenn die Sonne die Luft direkt über dem Boden erwärmt, wird die warme Luft leichter als die kalte. Sie steigt also nach oben, während die kalte Luft nach unten sinkt. Dieser warme Aufwind ist so stark, dass er Drachenflieger nach oben in die Höhe saugt.
Die beste Thermik finden Drachenflieger in Schäfchenwolken. Dort geht es wie in einem Aufzug ruckzuck nach oben. Unter optimalen Bedingungen wird der Drachenflieger genauso schnell wie ein Flugzeug beim Start. Das entspricht einer Geschwindigkeit von fünf bis acht Metern pro Sekunde.
An den Vögeln orientieren
Kornfelder oder Felsen werden von der Sonne schneller aufgewärmt als dunkle Wälder oder Seen. Es entsteht eine warme Luftblase, die anfangs am Boden haftet, bis sie sich an einer Stelle vom Boden löst und nach oben steigt.
Aber nicht immer kann ein Drachenflieger Thermik gleich erkennen, denn nicht immer gibt es am Himmel Schäfchenwolken. Bei strahlend blauem Himmel orientieren sich die Piloten zum Beispiel an den Vögeln. Diese haben einen Instinkt für Thermik. Dort, wo sie sich kreisförmig nach oben schrauben, können auch Drachenflieger gut aufsteigen.
Pommes- und Eukalyptusthermik
Manchmal können Drachenflieger den warmen Aufwind auch riechen. Denn die Luft nimmt den Geruch des Ortes an, von dem aus sie aufsteigt. In den Bergen riecht die Thermik dann nach Tannen und im australischen Outback nach Eukalyptus.
Die Weltmeisterin im Drachenfliegen, Corinna Schwiegershausen, ist auch schon mit Pommesthermik geflogen. In Darmstadt gibt es nämlich eine Chips-Fabrik, dort duftet warmer Aufwind nach Fritten. Am unangenehmsten fand sie bisher die Erdölthermik während einer Weltmeisterschaft in Texas.
Wenn Drachenflieger die Thermik weder riechen noch sehen können, hilft ein Blick auf ihr Variometer. Das ist ein Apparat, den sie neben ihrem GPS-Gerät (Global Positioning System) mit auf ihre Flüge nehmen. Das Variometer hilft dabei, Aufwinde aufzuspüren und unerwünschte Abwinde anzuzeigen. Je höher es geht, desto schneller wird der Signalton des Geräts.
Thermik kann auch stinken
Gefahren der Luft
Doch das Spiel mit der Thermik will beherrscht sein. Die Piloten sind vom Wetter abhängig und müssen sich deshalb vor jedem Flug genau darüber informieren. Bei stärkerem Wind, Föhn oder Gewitter zu fliegen, kann sowohl für Drachen- als auch für Gleitschirmflieger sehr gefährlich sein.
In einer Gewitterwolke läuft die Wolkenbildung mit großer Heftigkeit ab. Wenn der Nachschub mit Feuchtigkeit vom Boden nicht abreißt, kann eine Gewitterwolke bis auf eine Höhe von 14 Kilometern nach oben schießen. Dazu kommen Aufwinde von bis zu 100 Kilometern pro Stunde.
Feuchtwarme Luftmassen bauen eine Gewitterwolke auf
Gefangen in der Gewitterwolke
Wie gefährlich ein Flug bei Gewitter sein kann, musste zum Beispiel die Gleitschirmfliegerin Ewa Wisnierska 2007 erfahren. Während eines Trainingsflugs in Australien entwickelte sich eine scheinbar harmlose Wolke zu einer Gewitterwolke. Durch den Regen war viel Feuchtigkeit in der Luft, die Wolken quollen auf.
Doch Ewa Wisnierska flog weiter. Sie wurde von den Aufwinden der Gewitterwolke nach oben gesaugt und verlor die Kontrolle über ihren Schirm. Im Inneren der Wolke wurde sie hin- und hergeschleudert und von Regen und Hagelkörnern getroffen. Die Temperatur sank unter minus 40 Grad.
In nur wenigen Minuten stieg Ewa Wisnierska von 760 Metern auf rund 10.000 Meter. Das ist die Höhe, in der Flugzeuge fliegen. Sie wurde bewusstlos und trieb mehr als eine halbe Stunde lang durch eisige Höhen.
Schließlich ließ das Gewitter nach und Ewa Wisnierska sank wieder nach unten. Sie war noch auf 6900 Metern Höhe, als sie wieder aufwachte. Mit letzter Kraft schaffte sie es zu landen und kam mit Erfrierungen an Ohren und Beinen sowie ein paar blauen Flecken davon. Sie hatte riesiges Glück. Wenige Tage nach ihrem Unfall war sie schon wieder in der Luft.
Gleitschirmfliegerin Ewa Wisnierska
(Erstveröffentlichung 2012, letzte Aktualisierung 13.05.2020)
Quelle: WDR